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Abwanderung

Es drohen Geisterstädte

Die Corona-Krise führt zu menschenleeren Innenstädten und bedroht Tausende Geschäfte

Claudia Hansen
29.09.2020

Ob in New York, London oder vielen anderen Großstädten: Die Angst geht um, dass als Folge der Corona-Krise die Zentren veröden und aus einst belebten Citys triste Geisterstädte werden. Tausende Geschäfte und Kaufhäuser, Buchläden, Restaurants und Bistros, Bars und Kneipen haben schon geschlossen oder sind kurz davor. Die Angst vor dem Coronavirus, teils auch politisch geschürt, lässt die Menschen die Innenstädte meiden. Monatelang mussten Geschäfte während der Corona-Welle im Frühjahr bis zum Sommeranfang schließen. New York hatte einen der längsten und härtesten Lockdowns. Gouverneur Andrew Cuomo inszeniert sich als harter Anti-Corona-Kämpfer, gleichzeitig hatte er in seinem Staat mit die höchsten Todeszahlen zu verantworten. Nun dürfen die Geschäfte und Lokale zwar wieder öffnen, doch kommen viel weniger Kunden als zuvor. Mit dem Herbst droht eine Pleitewelle.

Schon mehr als 3000 Geschäfte haben in den vergangenen vier Monaten in New York aufgegeben, vor allem kleine Läden, zeigt die Internetseite Yelp. Modeläden und Schuhgeschäfte, Coffeeshops, Pizzerien oder Wäschereien. Etwa die Hälfte der Geschäftsaufgaben konzentriert sich auf Manhattan. In der Fifth Avenue, der „Millionärsstraße“, hat das große Barneys-Kaufhaus für immer dichtgemacht. Die luxuriösen großen Läden von Victoria's Secret und Kate Spade haben ihre Fenster verrammelt, der Handtaschenladen Valentinos hat entschieden, für immer zu schließen.

Schneise der Verwüstung

Es ist – verglichen mit früher – gespenstisch leer auf den Straßen. In den umliegenden Bürohochhäusern sitzen seit der Corona-Krise nur noch ein Bruchteil der Millionen, die vorher dort arbeiteten. Strömten vor Corona jeden Morgen Menschenmassen ins Zentrum und wälzten sich durch die Straßen, ist dort jetzt sehr viel freier Platz. Reiche New Yorker sind ins Umland geflüchtet. Ganze Häuserblocks in der Upper East Side stehen leer. Auch die Touristenmassen fehlen jetzt im „Big Apple“. Und in vielen Geschäften und Restaurants herrscht totale Flaute. Laut einem Bericht des Wirtschaftsverbands Partnership for New York City, bis die Pandemie endlich überwunden ist, fast ein Drittel der etwa 240.000 kleinen und mittleren Unternehmen schließen müssen. Bislang haben diese Firmen schon mehr als eine halbe Million Mitarbeitern gekündigt.

Auch in London hinterlässt die Covid-Krise eine Schneise der Verwüstung. Tausende Geschäftsleute bangen um die Zukunft, viele haben schon aufgegeben. Im Zentrum sind hunderttausende Büro-Arbeitsplätze verwaist. London ist die Stadt in Europa mit der höchsten Homeoffice-Quote. Noch immer ist nur etwa ein Drittel der Angestellten in ihre Büros zurückgekehrt, die Mehrheit arbeitet von zu Hause – anders als in Paris, Madrid oder Berlin. Für die Londoner Geschäfte ist das ein Riesenproblem. Schon schließt die Bistrokette Pret a Manger, wo Büroangestellte früher ihr belegtes Baguette und Sandwich kauften, mehr als 100 Läden und entlässt 3000 Mitarbeiter.

„Die britischen Stadtzentren könnten zu Geisterstädten werden“, warnte die Chefin des Industrieverbands CBI, wenn der Premierminister nicht mehr tue, um die Leute zurück in die Zentren zu bringen. Große Banken wie NatWest lassen Zehntausende Angestellte bis mindestens Anfang nächsten Jahres zu Hause arbeiten. In den großen Türmen von Barclays und HSBC arbeiten nur wenige 100 Banker statt früher Tausende. Premier Boris Johnson ruft nun schon seit einigen Wochen nach einer „Rückkehr in die Büros“ – doch es gibt auch zahlreiche Bremser.

Nicht nur die Gewerkschaften stellen sich quer. Auch der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan malt die Gefahren durch das Virus besonders groß und warnt vor vollen U-Bahnen und Bussen. Die legendäre Tube, in der vor Corona jeden Morgen und Abend Millionen Pendler dicht gedrängt saßen, soll laut dem Labour-Bürgermeister jetzt nur zu einem Viertel ihrer Transportkapazität genutzt werden, weil er zwei Meter Abstand zwischen Fahrgästen empfiehlt. Ohne die früheren Menschenmengen stehen aber viele Geschäfte und Restaurants, auch die Theater und Kinos vor der Pleite.

„Die Realität ist, dass einige Sektoren wie die Kultur, Gastwirtschaft und Freizeitangebote 100 Prozent Kapazität brauchen, um zu überleben“, weiß Khan. Seine Lösung: Die Regierung solle noch mehr Milliarden-Hilfen über diese angeschlagenen Branchen regnen lassen. Doch die Regierung kämpft schon jetzt mit gigantischen Haushaltsdefiziten. Ende Oktober enden einige Hilfsprogramme – dann könnte es eine Pleitewelle und Massenarbeitslosigkeit geben.

In Deutschland ist die Lage zwar nicht so extrem, doch auch hier kämpfen tausende Einzelhändler und ein Großteil der Restaurants ums Überleben. Das Gastgewerbe rechnet für März bis August mit einem Umsatzeinbruch von mehr als 50 Prozent, so der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga jüngst. Es droht eine Insolvenzwelle. Von den Geschäften haben die allermeisten bislang trotz finanzieller Engpässe durchgehalten. Es gab kaum Geschäftsaufgaben, doch das könnte sich im Herbst ändern, wenn die Umsätze weiter niedrig bleiben.

Heimarbeit leert die Zentren

Zum Umsatzrückgang in den Städten trägt der Trend zu mehr Heimarbeit bei. Arbeitnehmer bleiben in ihren Häusern in den Vorstädten. Vielen hat es gefallen, dass sie während des Lockdowns nicht ins Büro fahren mussten, sondern zu Hause vor dem Computer sitzen konnten. Man spart die Fahrt, hat mehr Zeit mit der Familie. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will sogar einen Gesetzentwurf für „ein Recht auf Homeoffice“ vorlegen. Arbeitnehmern bekämen in einklagbares Recht, von Daheim aus zu arbeiten, wo es technisch und organisatorisch möglich ist.

Aber für die Städte und die Immobilienmärkte bedeutet der Trend zu mehr Homeoffice gravierende Veränderungen. Es könnte zu einem Kollaps der Nachfrage nach Büroflächen kommen, schreibt die Deutsche Bank in einer aktuellen Studie. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland arbeite in den 126 großen Städten in Büros, in ganz Deutschland sind es etwa 15 Millionen. Wenn jeder Zweite gesetzlich das Recht auf flexibles Arbeiten an einigen Tagen pro Woche wahrnehme, könnte die Nachfrage nach Büroraum um 13 Prozent sinken, so Deutsche Bank. Jedes sechste Büro wäre überflüssig, die Folge könnten massenhafter Leerstand und Preisverfall sein.

Die Bank spricht von einem Schock für die Immobilienmärkte. Der Doppelschlag aus leer stehenden Geschäften und leer stehenden Büros dürfte den Innenstädten schwer zu schaffen machen. Noch ist gar nicht ganz abzusehen, was die Langzeitfolgen der Corona-Krise sind.

Boris Johnson hat die Arbeitnehmer im Sommer aufgefordert, wieder an ihre Arbeitsplätze in den Unternehmen zurückzukehren. Angesichts steigender Corona-Infektionszahlen hat nun aber Kabinettsminister Michael Gove eine Kehrtwende verkündet: „Bleiben Sie zuhause, wenn Sie können“, sagte Gove.


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Kommentare

Annegret Kümpel am 04.10.20, 18:52 Uhr

Mein Mann und ich haben in den vergangenen Jahren die eine oder andere Kreuzfahrt unternommen. Auf diesen Reisen haben wir natürlich auch den einen oder anderen Kontakt zum Schiffspersonal gehabt. In der Regel handelt es sich um junge Männer und Frauen, die ihren Lebensunterhalt für sich, ihre Kinder und Familien finanzieren, um ihren Lebensstandard zu erhöhen, meistens um den Kindern eine bessere Bildung zu ermöglichen, damit diese eine Zukunft haben ohne eine wochen- oder monatelange Arbeitszeit auf den Weltmeeren. Rund um die Welt verdienen kleine Händler an den "Kreuzfahrern" , die ihre Souvenirs, Klamotten und viele andere Waren kaufen. Wo kommen jetzt deren kleinen Einkommen her?
Wovon leben jetzt die Näherinnen in Bangladesch?
Ich bin erschüttert mit welcher Brutalität und Menschenverachtung die "Maßnahmen" weltweit durchgezogen werden. Menschen werden hungern und sogar verhungern. Welch zynisches Szenario!
Aber, wo bleiben die Menschen, die sich gegen diesen alles umfassenden Wahnsinn wehren?

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