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Natur

Es muss nicht gleich ein Löwe sein

Wenn Wildschweine uneingeladen zu Besuch kommen – In Kleinmachnow hat man sich an die tierischen Nachbarn längst gewöhnt

Silvia Friedrich
15.10.2023

Die Gegner, mit denen es die Einwohner zu tun haben, sind bis zu 200 Kilogramm schwer, können 150 Zentimeter hochspringen, im Galopp bis zu 40 Kilometer die Stunde rennen und auch über längere Strecken sehr gut schwimmen. Die Rede ist von Wildschweinen, den schlauen Vorfahren unserer Hausschweine.

Die Löwenposse, die sich in Kleinmachnow bei Berlin im Sommer abspielte und bei der man irrtümlich auf Löwenjagd ging, weil man ein Wildschwein mit dem Savannenbewohner verwechselt hatte, brachte den Ort kurz in die Schlagzeilen. Geblieben ist, dass alle Einheimischen weiterhin „Seite an Borste“ mit den Schweinen leben müssen.

Da können schon mal in der Nacht ein paar Schüsse fallen. Ortsansässige wissen dann, dass die Jäger wieder unterwegs sind. Jedoch nicht in unmittelbarer Nähe, denn Schussabgaben innerhalb des Ortes sind aus Sicherheitsgründen nicht zu verantworten und nur mit Ausnahmegenehmigung erlaubt. Allerdings werden Wildschweine von den Jagdpächtern in den dafür geeigneten Flächen und zu den vom Bundesjagdgesetz erlaubten Zeiten reichlich bejagt. Die von der Gemeinde gegebenen Hinweise, welche Dinge man selbst tun kann, um das Schwarzwild fernzuhalten, sind bekannt: jede Fütterung vermeiden, Eigentum durch starke Zäune schützen, keine Essensreste im Garten kompostieren, Fallobst aufsammeln und keine Grünabfälle öffentlich entsorgen.

Auch die Verhaltensmaßregeln beim plötzlichen Zusammentreffen mit den Borstenviechern kennt man: ruhig verhalten, anderen Weg nehmen, Tiere nicht bedrängen, Fluchtmöglichkeit lassen. Wenn die Schweine in Panik geraten, kann es passieren, dass sie ihr Gegenüber umrennen, was keinen Angriff darstellt, sondern eine angstvolle Flucht. Eine große Gefahr sehen die Schweine in freilaufenden Hunden. Treffen sie mit solchen zusammen, kann es zu schweren Verletzungen kommen, wohlgemerkt der Hunde. Die Tierklinik Düppel in Berlin-Zehlendorf kann ein Lied davon singen.

„Klein-Machnow ist ein reizend gelegenes Dorf, das sich an einem vom Telte­fließ gebildeten See hinzieht“, schwärmte bereits Theodor Fontane auf seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ und ist damals sicher höchst selten einem wilden Schwein begegnet, was sich in der heutigen Zeit komplett geändert hat. Mit dem Dorf, das der Dichter durchwanderte, hat der Ort heute nur noch wenig zu tun.

Nachts mit dem Besen unterwegs
Rund 600 Jahre, bis ins 20. Jahrhundert hinein, bestimmte die Ritterfamilie derer von Hakes die Geschichte Kleinmachnows am südwestlichen Rande Berlins. Zu ihren Zeiten war noch viel Platz für jedes Wild in der waldreichen Umgebung. Während der Teilung Deutschlands war die Ansiedlung an drei Seiten von der Mauer umgeben. Viele West-Berliner wussten nicht, dass sich hinter dem „Schutzwall“ dieser Ort verbirgt. Doch dann änderte sich alles. Alteigentümer kamen zurück und forderten ihre ehemals verlassenen und enteigneten Häuser zurück, viele Familien zogen in diese, auch schon immer bei Künstlern beliebte, grüne Oase.

Die Gemeinde wuchs von 11.600 im Jahre 1990 auf mehr als 20.500 Einwohner heute an. Fast jedes bebaubare Stück Land wurde erobert und Flächenraum mehr und mehr versiegelt. Grünflächen verschwanden auf diese Weise und somit auch der Lebensraum der Wildtiere. Füchse, Waschbären, Marder, Biber und natürlich das Schwarzwild sind hier häufig anzutreffen, weil besonders Letzteres noch immer uralten Wildwechseln folgt und sich erst einmal nicht daran stört, dass da nun Häuser im Wege stehen. Milde Winter, gute Nahrungsmöglichkeiten und keine natürlichen Feinde sorgen dafür, dass die Bachen mehrfach im Jahr Junge bekommen, oft bis zu sieben Frischlinge pro Wurf. Aber eine Wildschweinplage gebe es nicht, meint Berlins Wildtierexperte Derk Ehlert, denn es werde sehr viel geschossen.

Das Kuriositätenkabinett des Miteinanders von Mensch und Wildschwein am Rande Berlins ist prall gefüllt. Zu gerne stürzen die Schweine zur Abholung bereitgestellte Mülltonnen um und durchwühlen die Inhalte, gerne nachts um
2 Uhr. Hausbesitzer sind dann schon mal müde mit dem Besen unterwegs und fegen alles wieder zusammen. Die Schweine sind sogar in der Lage, abgeschlossene Mülltonnen durch mehrfaches Hinwerfen aufzubrechen, um an die Inhalte zu kommen. Ihren starken Rüsseln hält nur wenig stand. Verärgerte Nachbarn nutzten auch schon eine Schreckschusspistole, um dem Treiben der Borstentiere ein Ende zu setzen, was erstens nicht erlaubt ist und zweitens den anderen Nachbarn einen gehörigen Schrecken einjagt. Andere wiederum bemühten Topf und Schlagwerkzeug, um die Schweine zu vertreiben.

Tiere lassen sich nicht austricksen
So etwas strapaziert natürlich die gute Nachbarschaft. Die Wut mancher Bürger trieb schon makabre Blüten. 2022 versuchte ein Wilderer eine hochträchtige Bache per Armbrust zu erschießen, traf sie und überließ das Tier schwerstverletzt seinem Schicksal, bis der Jagdpächter es zum Glück fand und von seinen Qualen erlöste. Diese strafbaren Handlungen erfolgten bereits dreimal im Gebiet, der oder die Täter sind noch nicht ermittelt.

Wer sich keinen geeigneten, wildschweinsicheren Zaun hat machen lassen, wird immer wieder von den Tieren heimgesucht. Die Flächen sind oft so gründlich durchwühlt, dass der Garten komplett zerstört ist und neu angelegt werden muss. Keine Blumenzwiebel, kein Engerling, keine Eichel ist vor ihnen sicher. Da hilft nur Abschotten und Tür und Tor unter Verschluss halten. Alle im Handel angebotenen Dinge wie Wildschwein-Repells, ein unschädliches Vergrämungsmittel, das um das Grundstück ausgestreut wird, akustische Wildschweinschrecks oder Ultraschall-Vertreiber helfen meistens wenig bis gar nicht. Die Tiere sind sehr schlau und erkennen, ob es sich um eine echte Gefahr handelt.

„Bürger, die ins Grüne ziehen, müssen auch eine Bereitschaft entwickeln, mit der Situation Wild umzugehen“, heißt es auf der Internetseite der Gemeinde Kleinmachnow. Richtig! Und es hat ja auch sein Gutes, am Rande einer Millionenstadt in idyllisch grüner Umgebung zu wohnen und die Natur mit allen Vor- und Nachteilen zu genießen, und sei es auch nur vom stabilen, hohen und wildschweinsicheren Zaun aus.


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Kommentare

sitra achra am 24.10.23, 09:34 Uhr

Ein wahrhaft teurer Schildbürgerstreich in Kleinschildow!

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