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Polen an der Ostgrenze der Bundesrepublik fordern einen Kleinen Grenzverkehr – Demonstrationen in mehreren Grenzorten
Katarzyna W. erhält eine Nachricht auf Facebook, sie solle sich am 24. April auf der Görlitzer Altstadtbrücke einfinden, um für die Grenzöffnung zu demonstrieren. Die Anfang 40-Jährige lebt mit ihrem 13 Jahre alten Sohn im polnischen Teil der niederschlesischen Neißestadt. Ihr Arbeitsplatz liegt aber im deutschen Teil. „Seit Wochen arbeite ich von zuhause. Es wäre nicht das Schlimmste, aber mein Arzt ist auf der anderen Seite“, so die Alleinerziehende. Sie darf zwar in die Bundesrepublik, eine Rückkehr wäre aber problematisch, denn nach jedem Besuch in der Bundesrepublik müsste sie sich in eine zweiwöchige Quarantäne in der Republik Polen begeben. Ihr Arbeitgeber hätte ihr eine Bleibe in der Bundesrepublik bezahlt, berichtet sie, doch Katarzyna hat ein Häuschen mit Garten zu betreuen und ihr Sohn wollte nicht nach Deutschland. Deshalb will Katarzyna, die als schwer Erkrankte auf Medikamente und ärztliche Versorgung angewiesen ist, für die Öffnung des Kleinen Grenzverkehrs demonstrieren.
Etwa 400 Menschen finden sich auf der Altstadt-Grenzbrücke in Görlitz ein. Sie stehen von beiden Seiten des provisorischen Zauns, der die Brücke zweiteilt. Viele halten polnische Fahnen in den Händen. Die Menschen auf der polnischen Seite tragen diszipliniert ihren Mundschutz und auf beiden Seiten singen sie laut die polnische Nationalhymne. Besonders innig wird die Zeile angestimmt: „Unter deiner Führung vereinen wir uns mit der Nation.“ Herzzerreißende Szenen spielen sich auf der Brücke ab, als ein etwa dreijähriger Junge auf der polnischen Zaunseite seinen Vater sieht. Joanna Kowalczyk, die Mutter des Jungen, sagt in die Kamera von TVN24: „Mein Kind hat seinen Vater einen Monat lang nicht gesehen.“ Während ihr Ehemann in der Bundesrepublik arbeitet, muss sie mit dem Jungen zu Hause bleiben, denn sie pflegt ihre kranke Schwiegermutter.
Auch an anderen Grenzübergängen wurde demonstriert. In Frankfurt an der Oder [Slubice], in Guben [Gubin], in der geteilten polnisch-tschechischen Stadt Teschen [Cieszyn] oder im Dreiländereck Zittau wollen die Menschen die Grenzschließung nicht länger erdulden.
Kein Blick für die Probleme der Grenzbewohner
In Zittau hält ein junger Pole mit Mundschutz eine Rede. Er beklagt, dass die polnische Regierung die Probleme der Grenzbewohner nicht sehen will. „Es sind deutsche Kommunen, die uns helfen, die uns einen vorübergehenden Wohnsitz in Deutschland geben. Deutsche Schulen organisieren Internatsaufenthalte, damit unsere Kinder ihren Unterricht fortführen können. Und was macht die polnische Regierung? Die machen den Polen Angst, dass das Virus aus dem Westen kommt. Im Zuge der wirtschaftlichen Lockerungen hat die Regierung bislang keinen Bezug auf die Grenzöffnung genommen“, bedauert der Redner. Er fordert die Abschaffung der zweiwöchigen Quarantäne für Arbeiternehmer im Ausland, die Öffnung des Kleinen Grenzverkehrs, das Ermöglichen einer privaten Warenübergabe an allen Grenzübergängen. Das ist zum Beispiel bei Medikamenten notwendig, die nicht per Post versendet werden dürfen.
In Neu Rosow [Rosowek] bei Pölitz [Police] unweit von Stettin forderten etwa 200 Protestler auch die Einrichtung zusätzlicher Grenzübergänge für den privaten Autoverkehr, unter anderem im polnischen Marienhof [Lubieszy] und dem deutschen Neu Linken, berichtete Radio Eska aus Stettin.
„Lasst uns zur Arbeit, lasst uns nach Hause!“, war das Motto der Demonstration am Grenzübergang Guben. Die Zeitung „Gazeta Lubuska“ berichtete von einigen Hundert Versammelten am dortigen Grenzübergang Theaterinsel. Unter den Protestlern war auch Czeslaw Fiedorowicz, der Vorsitzende der Föderation der Euroregionen Polens und des Konvents der Euroregion „Spree-Neiße-Bober“. Für ihn war es nur selbstverständlich, an der Demonstration teilzunehmen: „Wenn es uns erlaubt ist von Grünberg [Zielona Gora] oder Crossen an der Oder [Krosno Odrzanskie] in den polnischen Teil von Guben zu reisen, muss es auch erlaubt sein, die Grenzen der Euroregionen zu passieren“, so Fiedorowicz. Er hat einen Brief an den Vorsitzenden des polnischen Ministerrates gesandt, in dem er auf die Situation der Grenzbevölkerung hinweist und die Grenzöffnung für Arbeitnehmer, Schüler und Studenten, Menschen in medizinischer Behandlung und im Rahmen einer Familienzusammenführung fordert.
Auch die deutschen und polnischen Vertreter der Europastadt Guben haben ein Schreiben an den Innenminister Mariusz Kaminski gesandt mit der Forderung, die Quarantäne für in der Bundesrepublik arbeitende oder sich in Behandlung befindliche Menschen abzuschaffen. Unterzeichnet haben dies Bartlomiej Bartczak und Fred Mahro, die beiden Bürgermeister der geteilten Stadt.