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Im schwarz-roten Haushaltsstreit spekulieren erste Stimmen über ein vorzeitiges Ende der Koalition. Fakt ist: Die Spielräume der Politik werden eng
Ist die Große Koalition ein Vierteljahr nach ihrem Start schon wieder am Ende? Zu dieser Erkenntnis kann kommen, wer sich dieser Tage die Äußerungen führender Repräsentanten von Union und SPD ansieht. Während Kanzler Friedrich Merz (CDU) verkündete, dass „der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ... mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“ sei, lehnte sein Vize und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) ein „Kaputtsparen“ des Sozialstaats klar ab und brachte stattdessen Steuererhöhungen für Menschen mit hohem Einkommen und Vermögen ins Spiel. Auch der neue Generalsekretär der Sozialdemokraten, Tim Klüssendorf, erteilte Einschnitten bei den Sozialausgaben eine Abfuhr.
Auslöser des Streits im engeren Sinne sind dramatische Haushaltslöcher. Mitte Juli berichteten mehrere Medien über ein Klingbeil-Papier, demzufolge der Bundesregierung bis 2029 insgesamt 171 Milliarden Euro im Haushalt fehlen werden – und damit weit mehr als bislang schon angenommen. Allein für das kommende Jahr nannte der Finanzminister dieser Tage eine Haushaltslücke von über 30 Milliarden Euro und forderte deshalb die einzelnen Ressorts in einem Brandbrief zu Sparvorschlägen auf.
Dauerhafter Ausnahmezustand
Im weiteren Sinne wird in dem Streit einmal mehr deutlich, dass mit Schwarz und Rot zwei Partner in der Regierung sitzen, die nicht nur akute Geldsorgen haben, sondern in vielen grundsätzlichen Fragen traditionell konträre Auffassungen vertreten. Union und SPD, das sind – beziehungsweise waren jahrzehntelang – die beiden Pole der deutschen Parteienlandschaft, um die herum sich jeweils breite Anhängerschaften scharrten. Deshalb auch war eine Koalition zwischen ihnen lange Zeit die absolute Ausnahme.
Doch seit nunmehr zwanzig Jahren ist der Ausnahmefall zum (fast durchgehenden) Dauerzustand geworden – und Deutschland damit in einer Art dauerhaftem Ausnahmezustand. Grund dafür ist, dass die bisherigen Koalitionsmodelle – Union und FDP sowie SPD und Grüne – allein keine Mehrheiten mehr erreichen, zugleich jedoch die Wettbewerber an den Rändern des Parteiensystems als nicht koalitionsfähig abgelehnt werden.
Dass zwei vormals konträre Pole eines Parteiensystems so lange gemeinsam regieren wie Schwarz-Rot ist nur auf Basis kluger Kompromisse möglich – oder um den Preis der programmatischen Selbstaufgabe einer der beiden Partner. Im vorliegenden Fall war es vor allem die Union, die unter Führung ihrer Vorsitzenden Angela Merkel nach und nach in Serie vormalige Grundsatzpositionen der Partei auf zentralen Feldern wie Wirtschaft, Soziales, Energie, Mobilität und Migration bis hin zur Familienpolitik abräumte. Auch der neue Kanzler Merz blieb bislang den Beweis schuldig, dass die CDU unter ihm wieder zu altem Kurs zurückkehrt.
Dumm für die Union ist nur, dass ihre Wähler nicht ebenso flexibel in ihren Auffassungen sind wie die Partei und deren Amtsträger. Sie wollen tatsächlich, dass nach einer Wahl auch umgesetzt wird, was zuvor versprochen worden ist. Und wenn ihnen – wie Merz – ein Kandidat im Wahlkampf johlend erklärt, dass die Zeit der „linken Spinner“ vorbei sei, erwarten sie hinterher den versprochenen Politikwechsel und keine Fortsetzung des Kurses der Vorgängerregierung.
Doch auch die Wähler der Sozialdemokratie sind alles andere als zufrieden. Sie stören sich – anders als es die Funktionärsschicht wahrhaben will – weniger daran, wenn die SPD der Streichung von Leistungen des Sozialstaats zustimmt, als vielmehr daran, dass ihre Partei kaum noch als Vertreterin der Gering- und Normalverdiener in Erscheinung tritt, sondern vor allem als Lobbyistin gesellschaftlicher Gruppen, die sehr wahrscheinlich niemals einen Beitrag zu den sozialen Sicherungssystemen leisten werden.
Ist Schwarz-Rot schon am Ende?
Und so hat der fortgesetzte Ausnahmezustand der Großen Koalition auch für die beteiligten Parteien seinen Preis. Fuhren Union und SPD bei der Bundestagswahl 2005 noch 35,2 und 34,2 Prozent der Wählerstimmen ein, so waren es im Februar 2025 nur noch 28,5 und 16,4 Prozent. Und in den wöchentlichen Umfragen werden selbst diese Werte nicht mehr erreicht.
Dass Union und SPD trotz der historischen Neuverschuldung, die sie beim Start ihrer abermaligen Koalition beschlossen und mit der sie offenkundig zahlreiche Probleme mit Geld zudecken wollten, nun schon nach einem Vierteljahr in gigantische Haushaltslöcher blicken, offenbart, dass nicht nur die Geduld der Wähler am Ende ist, sondern auch die Spielräume deutscher Politik. Da auch Finanzminister Klingbeil (wie seine Vorgänger) Rekordeinnahmen an Steuern und Abgaben verzeichnet, sollte klar sein, dass die Lösung nicht in weiteren Belastungen der Bürger liegen kann, sondern darin, dass der Staat endlich mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmengen auskommt (wie es der Herausforderer Merz im Wahlkampf auch verkündete).
Doch wie weiter? Angesichts der eingangs genannten Äußerungen wachsen die Zweifel, ob die Koalitionspartner zu einer ähnlichen Sozialstaatsreform bereit sind, wie es die einst von Rot-Grün auf den Weg gebrachte Agenda 2010 gewesen ist. Bei den Sozialdemokraten stellt sich zudem die Frage, ob sie überhaupt noch die Kraft dazu haben, notwendige Reformen einzuleiten – und damit riskieren wollen, auch noch die Reste ihrer stark geschrumpften Wählerschaft zu vergraulen.
Schon sprechen stets gut vernetzte Kommentatoren wie der „Pioneer“-Gründer Gabor Steingart laut von einem möglichen Platzen der Koalition und einer anschließenden Minderheitsregierung der Union mit wechselnden Mehrheiten. Ob es dazu kommt, wird sich zeigen. Dafür, dass Union und SPD einfach dreieinhalb Jahre weitermachen, fehlt jedenfalls nicht nur die Phantasie – sondern auch (siehe oben) die materielle Grundlage.