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Zum 100. Geburtstag von Josef Beuys wollten sich Museen mit Ausstellungen gegenseitig übertreffen – Vorerst bleibt alles geschlossen
Kein anderer deutscher Künstler fand zu Lebzeiten mehr Beachtung als der am 12. Mai 1921 in Krefeld geborene Joseph Beuys. Dafür sorgte er mit provokanten Ankündigungen wie „Dürer, ich führe Baader + Meinhof persönlich durch die documenta V“ (1972), rätselhaften Werken aus für die Kunst ungewöhnlichen Materialien wie Fett, Filz und Blutwurst sowie der irritierenden Botschaft: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“
Der Mann mit dem Filzhut polarisiert „bis heute derart, dass die Diskurse, ob wissenschaftlich oder populär, eher von Sympathien beziehungsweise Antipathien denn von kritischer Distanz geprägt sind“, wie Bettina Paust, die lange das Beuys-Museum Schloss Moyland leitete, treffend urteilt.
Paust gibt zusammen mit dem Düsseldorfer Kunstgeschichtsprofessor Timo Skrandies das erste umfassende Nachschlagewerk über Beuys heraus. Es weist 84 Artikel von 52 Autoren auf und erscheint anlässlich des vom Land Nordrhein-Westfalen ausgerufenen Beuys-Jahres. An ihm beteiligen sich 20 Museen und andere Kultureinrichtungen des Landes mit geplanten Sonderausstellungen und weiteren Veranstaltungen, die nun Pandemie-bedingt ebenso ruhen wie außerhalb von NRW die Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart und im Hessischen Landesmuseum Darmstadt.
Beitrag zur „Stadtverwaldung“
Beide Museen verfügen über Beuys-Räume, die der Künstler persönlich mit seinen Werken ausgestattet hat. Auch das Münchener Lenbachhaus, das Krefelder Kaiser-Wilhelm-Museum, das Städtische Museum Abteiberg Mönchengladbach und die Neue Galerie in Kassel verfügen über von Beuys eingerichtete Räume.
Zu Kassel hegte Beuys eine besonders enge Beziehung. Seit der documenta III (1964) war er Dauerteilnehmer der Kasseler Weltkunstausstellung. Seinen Raum in der Neuen Galerie hat er 1976 mit Zeichnungen, Objekten und seiner allerersten Installation bestückt. Sie heißt „The pack (das Rudel)“ (1969) und besteht aus einem verrosteten VW-Bus, aus dem heraus sich 24 Holzschlitten einen Weg durch den Raum bahnen. Jeder Schlitten ist mit einer Filzrolle, einem Stück Talg und einer Taschenlampe ausgestattet, die symbolisch für Wärmeschutz, Nahrung und Orientierung stehen, während der gleichsam gegen die Wand gesteuerte VW-Bus Skepsis gegenüber dem technischen Fortschritt wecken soll. Von der Lichtleiste über der Installation hängt die Arbeit „2 x Spaten mit zwei Stielen“ (1964) herab. Die beiden doppelstieligen Spaten sind ein Aufruf zu gemeinschaftlichem Handeln.
Auch das Paradebeispiel für das von Beuys postulierte und mit zahllosen Reden über den „Erweiterten Kunstbegriff“ und die „Soziale Skulptur“ vorbereitete gemeinschaftliche Handeln zum Wohle aller befindet sich in Kassel. Es heißt „7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“. Im neu erschienenen Buch „Beuys 100“ würdigen vornehmlich Kasseler Autoren den Künstler und legen ihr Hauptaugenmerk auf die Pflanzaktion. Sie erstreckt sich über 300 Standorte im Stadtgebiet und Umland. Neben jedem Baum steht eine Basaltstele, gepflanzt und aufgestellt von Beuys und freiwilligen Helfern, die sich aus Bürgerinitiativen, Vereinen, Kirchengemeinden, Studenten, Arbeitslosen, Strafgefangenen und Anwohnern rekrutierten. Die Aktivisten haben nicht nur Eichen, sondern auch viele andere Baumarten gepflanzt.
Die Aktion startete zur documenta 7 (1982). Beuys lagerte vor dem Museum Fridericianum 6999 Basaltstelen, die zusammen eine Keilform bildeten, deren Spitze auf die erste von Beuys gepflanzte Eiche und die daneben aufgerichtete Stele wies. Den erfolgreichen Abschluss der Aktion erlebte der am 23. Januar 1986 gestorbene Beuys nicht mehr. Sein Sohn Wenzel pflanzte zur Eröffnung der documenta 8 (1987) die letzte Eiche neben die erste.
Gründungsmitglied der Grünen
Beuys sagte über die „7000 Eichen“: Es „ist eine Plastik, die sich auf das Leben der Menschen bezieht, auf ihre alltägliche Arbeit. Das ist mein Kunstbegriff, den ich den erweiterten Kunstbegriff oder die soziale Skulptur nenne. Dieser Kunstbegriff schließt auch meine Arbeit bei den Grünen ein. Es geht darum, ausgehend von einem anderen Kapitalbegriff, die Gesellschaft zu verändern. Nicht Geld ist das Kapital, sondern die Fähigkeit des Menschen.“
Beuys war Gründungsmitglied der Grünen. Er wollte 1983 auf ihrer Liste in den Bundestag einziehen. Da die Grünen ihn jedoch auf einen aussichtslosen Listenplatz abschoben, nahm er Abstand von der Kandidatur.
Mit der „Fähigkeit des Menschen“ meinte Beuys die in jedem vorhandene schöpferische Kraft. Daher sein Ausspruch: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Nach seiner Vorstellung sollen alle Menschen gemeinsam an der künftigen „Sozialen Skulptur“ arbeiten, für die die „7000 Eichen“ das erste verwirklichte Modellprojekt sind. Museumschefin Paust bezeichnet im Beuys-Nachschlagewerk die „Soziale Skulptur“ als das immaterielle Hauptwerk des Künstlers und charakterisiert sein Auftreten als „Selbstinszenierung mit Heilsversprechen“.
Das mit basisdemokratischem und gemeinwohlorientiertem Anspruch ausgestattete immaterielle Hauptwerk ziele auf eine gesamtgesellschaftliche Umwandlung. Zwar benenne Beuys die wesentlichen gesellschaftlichen Problemfelder: die militärische, ökologische, ökonomische, politische Krise sowie die Bildungskrise. „Jedoch in der Benennung seiner ‚Lösungsmodelle' bleibt er sehr allgemein“, wie Paust anmerkt. Beuys' jahrzehntelangen Kasseler Mitstreiter Heiner Georgsdorf, den ehemaligen Lehrer an der Kunsthochschule, stört das nicht: „Mag das Beuys'sche Natur- und Politik- und Weltverständnis falsch oder richtig sein, für mich ist es der Treibsatz für bewundernswerte künstlerische Höhenflüge in vorher nicht gekannte Sphären.“
• Neue Beuys-Bücher Philip Ursprung: „Joseph Beuys“, C.H. Beck Verlag, 336 Seiten, 29,95 Euro; Volker Schäfer: „Beuys 100“, euregioverlag, 152, Seiten, 20 Euro; Timo Skrandies, Bettina Paust (Hrsg.): „Joseph Beuys: Leben – Werk – Wirkung“, J.B. Metzler-Verlag, 99,99 Euro (ab August); Susanne Gaensheimer: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, Hatje Cantz Verlag, 336 Seiten, 48 Euro. Weitere Beuys-Ausstellungskataloge erscheinen im selben Verlag im Laufe des Jahres: www.hatjecantz.de. Auch der Steidl Verlag bietet einen ähnlichen Programmschwerpunkt mit etwa 18 Publikationen zu Beuys, von denen die Hälfte bereits erschienen ist: www.steidl.de.
• Beuys in NRW www.beuys2021.de
sitra achra am 11.05.21, 10:19 Uhr
Die Bandbreite der Kunst ist groß. Künstlerische Freiheit und Provokation gehören dazu. Joseph Beuys war sicherlich ein Provokateur, der den Kunstbetrieb in Frage stellte.
Vergöttern und anbeten sollte man ihn deshalb nicht.
Genießen wir einfach die Vielfalt. Und das Gute und Schöne existiert ja auch weiterhin.
Chris Benthe am 11.05.21, 07:03 Uhr
ER STEHT WIE KEIN ANDERER FÜR DIE DEKONSTRUKTION DES BEWÄHRTEN, GUTEN UND SCHÖNEN, KURZ: FÜR DIE ABSCHAFFUNG WAHRER, GROßER KUNST. ER MACHTE NIE EINEN HEHL DARAUS, DAS WAR EINER SEINER VORZÜGE. DER ZUDEM GELDGIERIGE WIRD NOCH IMMER ANGEBETET WIE EIN GOTT.
Siegfried Hermann am 10.05.21, 08:03 Uhr
....Der Mann mit dem Filzhut polarisiert bis heute.......
Punktlandung!
Wo ich mich noch dran erinnern kann, war eben in Kassel.
Da lag auf dem Boden ein großflächiges korrodiertes Kupferblech -- auf dem ich unbedarft drüber gelascht bin-- Was soll´s!?
Und postwendend traf mich der Kunstgott- Huldiger Blitz. "Was ich mir erlaufen über das "Kunstwerk" vom Künstlergott drüber zu laufen!? Der Typ hatte vor aller Öffentlichkeit auf dem Blech drauf gepisxt und nannte das "Kunst".
Ich habe das bis heute nicht verstanden und versteht die Leute auch nicht, die das für "Kunst" halten.
DAS Paralleluniversum werd ich wohl nie erreichen und bin auch glücklich drüber!