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Berlin: Jeden Tag zwei Attacken auf Homosexuelle – Doch die Täter bleiben meist im Dunkeln
Noch einen Tick bunter als im vergangenen Jahr waren in diesem Jahr die Flaggen, die anlässlich des Tags gegen Homophobie vor öffentlichen Gebäuden in Berlin gehisst wurden. Als ein „sichtbares Zeichen der Solidarität“ hatte die Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung angekündigt, erstmals zum 17. Mai die sogenannte Progressive Pride Flag zu zeigen. Dabei handelt es sich um die bekannte Regenbogenflagge der Schwulenbewegung, die als zusätzliche Farbtöne für „People of Color“ (Farbige) und Transsexuelle auch noch Schwarz, Braun, Hellblau, Rosa und Weiß trägt.
Mit Blick auf den Ukrainekrieg erläuterte Sozialsenatorin Lena Kreck (Linkspartei): „Die Unsichtbarkeit und auch die Diskriminierung queerer Menschen werden vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens einmal mehr deutlich.“ Dem steht laut der Senatorin eine große Hilfsbereitschaft gegenüber: „Das gilt für die Berliner Bevölkerung generell, aber auch insbesondere für die LSBTI-Community, denn sehr viele LSBTI-Geflüchtete sind privat untergekommen.“
Menschenjagd durch Neukölln
Fast zeitgleich, ebenfalls aus Anlass des Tags gegen Homophobie, hat die Opferberatungsstelle Maneo Zahlen vorgelegt, die eine andere Seite von Berlin zeigen. Auf den Straßen der sich gern weltoffen gebenden Millionenstadt kommt es im Schnitt jeden Tag zu zwei Übergriffen auf Homosexuelle. Insgesamt erfasste das Anti-Gewalt-Projekt Maneo im vergangenen Jahr 731 Fälle von Hasskriminalität, die sich gegen Schwule, Lesben oder Transsexuelle richteten.
Die Palette der Delikte reicht von Beleidigungen, Nötigungen und Bedrohungen bis hin zu gefährlichen Körperverletzungen. So wurde beispielsweise ein junger Tourist mit einer Regenbogenfahne im vergangenen Jahr nach dem Berliner Christopher Street Day von einem Mann von hinten angegriffen und getreten, zudem ist ihm mit der Faust ins Gesicht geschlagen worden. Der Tourist erlitt dabei einen dreifachen Kieferbruch. In der Neuköllner Karl-Marx-Straße war es im September 2020 zu einer Menschenjagd gekommen, bei der eine Gruppe junger Männer eine transsexuelle Person zunächst beschimpfte und bespuckte und anschließend mit einem herausgerissenen Verkehrsschild durch die Straße hetzte.
Wie bei Hasskriminalität üblich, übernahm der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamts die Ermittlungen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und Beleidigung. Die Suche nach Tatverdächtigen blieb allerdings wie in der Mehrzahl solcher Fälle ohne Erfolg.
Die Opferberatungsstelle geht davon aus, dass die meisten Taten überhaupt nicht in der Statistik auftauchen. „Das Dunkelfeld liegt unserer Einschätzung nach bei 80 bis 90 Prozent.“ In diesem Jahr ist eine realistische Einschätzung der Lage sogar noch schwieriger geworden als in der Vergangenheit. Maneo hat nämlich erstmals von der Polizei keine anonymisierten Eckdaten zu Tatzeiten, Tatorten und Ereignissen von Übergriffen mehr erhalten. Das Zurückhalten der anonymisierten Polizeidaten geht laut Berichten lokaler Medien auf den Datenschutzbeauftragten der Berliner Generalstaatsanwaltschaft zurück.
Dieser soll rechtliche Bedenken angemeldet haben, dass durch den Abgleich mit den von Hilfsvereinen gespeicherten Datensätzen die Daten nicht anonymisiert, sondern personenbezogen seien. Schon vor Maneo hatten andere Opferberatungsstellen berichtet, sie hätten auch zu antisemitischen Übergriffen keine Daten mehr erhalten.
„Religiöse und rechte Milieus“
Im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wies Maneo-Leiter Bastian Finke auf die Folgen hin, wenn der langjährige Austausch mit der Polizei beendet wird. In der Vergangenheit hätten die übermittelten Polizeiinformationen der Opferberatungsstelle geholfen, durch einen Abgleich Doppelerfassungen von Übergriffen zu verhindern. Folgerichtig kann die Opferberatung für das Jahr 2021 auch nicht verlässlich bewerten, ob es bei der Zahl der schwulenfeindlichen Übergriffe in Berlin im Vergleich zu 2020 nun einen Rückgang oder einen Anstieg gegeben hat.
Finke befürchtet zudem einen negativen Einfluss auf die Partnerschaft mit der Polizei und die Anzeigebereitschaft der Opfer, die sich über die Jahre verbessert hat. Als „sehr dürftig“ bezeichnet der Maneo-Leiter die Datenlage zu den Tätern, die hinter den Taten stehen. Tatsächlich gelingt es Polizei und Staatsanwaltschaft nur bei einem kleinen Teil der Übergriffe, Tatverdächtige zu ermitteln.
Güner Balci, Integrationsbeauftragte des stark von Immigration geprägten Bezirks Berlin-Neukölln, wies allerdings deutlich auf die besondere Rolle „von reaktionären religiösen und rechten Milieus“ hin, deren „Ablehnung und Hass gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensweisen immer wieder sehr ausgeprägt“ seien.