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Fremde Töne in Wagners Reich?

Bayreuther Festspiele – Wenn Claudia Roths „woke“ Ideen wahr werden, pilgern Wagnerianer bald nicht mehr zum Grünen Hügel

Jolanta Lada-Zielke
04.08.2024

Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) behauptet, die Bayreuther Festspiele sollen „vielfältiger, bunter und jünger“ werden. Deshalb sollte man das Programm über Wagner hinaus erweitern und zum Beispiel Humperdincks „Hänsel und Gretel“ auf dem Grünen Hügel aufführen. Diese „woke“ Aussage hat viel Widerspruch hervorgerufen – und das zu Recht.

Eigentlich ist die Idee nicht neu. Bereits Nike Wagner, die Tochter des Wagner-Enkels und früheren Festspielleiters Wieland Wagner, hatte vor 20 Jahren ähnliche Pläne, als sie hoffte, die künstlerische Leitung der Festspiele übernehmen zu können. Sie schlug auch vor, dass im Festspielhaus ganzjährig Aufführungen stattfinden. Doch ihr Onkel Wolfgang, der damalige künstlerische Leiter, ließ dies nicht zu und ernannte seine Tochter Katharina zu seiner Nachfolgerin. Diese hat wenigstens das Wagner-Repertoire beibehalten. Die Art und Weise, wie sie es präsentiert, kann fragwürdig sein.

Die Umsetzung solcher „innovativen“ Änderungen, wie der Vorschlag von Roth, könnte den Bayreuther Festspielen mehr schaden als nutzen. Schließlich erdachte Richard Wagner selbst dieses Theater und konzipierte es für die Aufführung seiner Werke. Wenn man hier die Opern anderer Komponisten aufführen würde, würde sich das Festspielhaus anderen Opernhäusern angleichen und seinen einzigartigen Charakter verlieren.

Übrigens ist die Nutzung dieser Bühne zu anderen Jahreszeiten aus technischen Gründen nicht möglich. Im Winter ist es in dem Gebäude zu kalt. Man kann dort weder Klimaanlage noch Heizung installieren, sonst würde das Holz aus dem 19. Jahrhundert dem Druck nicht standhalten und Risse bekommen.

Staatsministerin Roth möchte ein jüngeres Publikum für diese Veranstaltung gewinnen. Doch seit 2009 läuft bei den Bayreuther Festspielen das Projekt „Wagner für Kinder“, bei dem jedes Jahr eine Oper Wagners in einer angepassten Fassung für die jüngsten Zuschauer aufbereitet wird. Die Aufführungen werden von Kindern, Eltern und ganzen Schulklassen mit Lehrern gut besucht. So zieht man dort zukünftige Wagnerianer heran.

Seit der Pandemie haben die Wagner-Festspiele an Popularität verloren, zumal die Eintrittskarten inzwischen leichter erhältlich geworden sind. Früher wartete man darauf so lange „wie auf einen Trabi in der DDR“, wie Markus Blume, Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst in einem Interview für Deutschland Funk scherzhaft bemerkt hatte. Die Ursache steckt jedoch in den letzten erfolglosen Inszenierungen von dem „Ring des Nibelungen“. In der Produktion von Valentin Schwarz (2022) gibt es zu viel Gewalt auf der Bühne, vor allem in der „Götterdämmerung“, was beim Publikum ein Gefühl des Abscheus zurückließ. Frank Castorf hat in seiner Version von 2013 viele unverständliche Anspielungen auf die DDR gemacht, die für den Inhalt des Librettos nicht relevant waren.

Am falschen Ende gespart
Die beste und universellste Interpretation von dem „Ring“ der letzten 20 Jahre bot dem Bayreuther Publikum Tankred Dorst zum 130. Jahrestag der Uraufführung des Werks am Grünen Hügel im Jahr 2006. Der Regisseur ließ sich vom Königsberger Autor E. T. A. Hoffmann inspirieren und stellte die beiden Welten – die fantastische und die zeitgenössische – als parallele Realitäten dar, die auf der Bühne nebeneinander existieren, ohne sich gegenseitig zu stören. Solche Aufführungen erwartet man in Bayreuth, keine Tatort-Nachbauten oder Netflix-Serien. Wagnerianer sind intelligent und möchten ernst genommen werden.

Dieses Jahr wurde der Festspielchor von 143 auf 121 Mitglieder verkleinert – angeblich aus finanziellen Gründen, aber in diesem Fall wurde am falschen Ende gespart. Schließlich geht es bei Opernproduktionen in erster Linie auch um den Gesang. Anstatt den Chorsängern das Brot wegzunehmen, wäre es nicht besser, das Bühnenbild zu reduzieren? Zum Beispiel in der „Tristan und Isolde“-Neu­inszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson gibt es – im zweiten und dritten Akt – zu viele Gegenstände, die überhaupt nichts zum Verständnis beitragen. Man könnte ohne Weiteres auf einen Teil der Ausstattung verzichten und stattdessen den „Tannhäuser“ und „Fliegenden Holländer“ mit einer vollen Chorbesetzung versehen. Das Ensemble klingt zwar schön und ausreichend A cappella. Doch wenn das Orchester dazu kommt, fehlt dem Chor die frühere Durchschlagskraft.

Die Attraktivität der Bayreuther Festspiele kann man wiederherstellen, indem man die goldene Mitte zwischen der Bewahrung der Wagnerschen Tradition und der Anreicherung mit zeitgenössischen Inhalten finden würde. Es ist erlaubt und sogar notwendig, nach den aktuellen Konnotationen der in den Werken Wagners enthaltenen Botschaften zu suchen. Das bedeutet aber nicht, dass man sie abwerten oder vereinfachen darf. Man muss die Regisseure, Bühnenbildner, Dirigenten und Solisten sorgfältig auswählen und darf auf keinen Fall an guten Chorsängern sparen.

Die mit Wagner verbundenen Komponisten wie Humperdinck, Liszt oder Cornelius kann man während der Festspiele auf kleineren Bühnen aufführen, von denen es in Bayreuth genug gibt. „Hänsel und Gretel“ eignet sich nicht für das Festspielhaus. Für dessen Raum ist selbst die Orchesterbesetzung dieser Oper nicht ausreichend.

Die Bayreuther Festspiele müssen bleiben, wie sie sind. Die Wagnerianer pilgern dorthin wegen der Musik ihres Meisters, ansonsten wollte niemand sich in dem nicht-klimatisierten Festspielhaus und auf unbequemen Holzstühlen stundenlang quälen. Entweder wird Richard Wagner weiterhin ungeteilt am Grünen Hügel herrschen oder sein Reich wird verloren gehen.


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