11.12.2024

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Dr. Uwe Rose referierte über das Leben und Wirken Immanuel Kants an einem gewöhnlichen Tag
Foto: A.G.Dr. Uwe Rose referierte über das Leben und Wirken Immanuel Kants an einem gewöhnlichen Tag

Historisches Seminar der Landsmannschaft Ostpreußen

Fünf von fünf Sternen

„Stationen ostpreußischer Geschichte“ – die Teilnehmer in Helmstedt waren sehr zufrieden

Andreas Galenski
18.10.2024

Die östliche Hälfte der ehemaligen Provinz Preußen bildet seit dem 1. Januar 1878 eine eigene Provinz: Ostpreußen. Die Provinz liegt im Norddeutschen Tiefland, ist aber keineswegs flach, sondern weist einen großen Wechsel von Hügelland und Ebenen auf, die in der südlichen Hälfte von der Ostpreußischen Seenplatte durchzogen werden. So vielfältig wie die topographische Gliederung des Landes sind auch die Geschichte und die Menschen der Region. Aus dieser Quelle schöpfte die Landsmannschaft Ostpreußen (LO) ihre Themen für das bereits neunte Seminar mit dem Titel „Stationen ostpreußischer Geschichte“.

Ein Wochenende lang lauschten fünfzig Teilnehmer den Ausführungen der kompetenten Referenten, die Dr. Sebastian Husen, Geschäftsführer der LO, gewinnen konnte. Nach der obligatorischen Vorstellungsrunde der Teilnehmer folgte am Freitag der erste Vortrag.

Der Maler Alfred Partikel
Jan Rüttinger M.A., Kustos und stellvertretender Direktor des Ostpreußischen Landesmuseums, stellte das Werk des Malers Alfred Partikel vor. Der 1888 in Goldap geborene und 1945 in Ahrenshoop verschollene Maler war ein bedeutender Darsteller der ostpreußischen Landschaft, insbesondere der masurischen Hügellandschaft südlich seiner Heimatstadt. Rüttinger ging auf die verschiedenen Wirkungsstätten des Malers ein, beginnend mit seiner abgebrochenen Ausbildung an der Königsberger Kunstgewerbeschule, dem Wechsel an die Königsberger Kunstakademie, über Stationen in München, Weimar, Berlin oder Rom bis zu seiner Berufung als Professor für die Landschaftsklasse an die Königsberger Kunstakademie. An den Wirkungsstätten lernte er bedeutende Maler seiner Zeit kennen und erprobte sich in verschiedenen Stilrichtungen. Das Interesse an zeitgenössischen Künstlern führte ihn von der klassischen Landschaftsmalerei zum Expressionismus und Kubismus, um sich dann der Neuen Sachlichkeit zuzuwenden. Im Zuge der nationalsozialistischen Aktion „Entartete Kunst“ wurden Partikels Bilder aus mehreren Museen entfernt. Heute hängen seine Werke im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg, in der Kunsthalle Mannheim, in der Berliner Galerie, in Rostock und in Ahrenshoop.

Prof. Dr. Bernd Ulrich Hucker eröffnete das Programm am Sonnabend mit seinem Vortrag über die Entstehung des Deutschen Ordens in Palästina und Preußen. Ein spannendes Thema, nicht minder spannend ist Huckers eigener Werdegang. Der Historiker und Erzählforscher lehrte mittelalterliche Geschichte an den Universitäten Bamberg, Berlin, Konstanz, Basel, Osnabrück und Vechta, war Mitbegründer des Instituts für Geschichte und Historische Landesforschung, dessen Direktor er siebzehn Jahre lang gewesen ist, und hat es als „Deutscher Forscher Waldemar Isfeld“ sogar in einen viel beachteten Roman geschafft.

Die Geschichte des Deutschen Ordens, der heute seinen Hauptsitz in Wien hat, begann in Palästina. Dort gründeten bremische und lübische Kaufleute während des dritten Kreuzzuges um 1190 in der Stadt Akkon ein Hospital. Aus den Segeltüchern der Bremer Koggen, die übrigens sehr effiziente Großkampfschiffe waren, entstand ein Feldlazarett. In diesem wurden die Kranken und Verwundeten vom Orden der Brüder vom Deutschen Hospital Stankt Mariens in Jerusalem behandelt und gepflegt. Papst Innozenz III. bestätigte 1199 die Umwandlung der Hospitalgemeinschaft in einen Ritterorden. Der Orden breitete sich zunächst im Mittelmeerraum und in Siebenbürgen aus.

Die Goldene Bulle von Rimini war der Auslöser für das Engagement des Ordens im Preußenland. Mit dieser Bulle belehnte der römisch-deutsche Kaiser Friedrich II. den Deutschen Orden 1226 mit der Herrschaft über das Kulmer Land östlich der unteren Weichsel zwischen dem Gebiet des Herzogs von Masowien und dem der Prußen. Der Kaiser beauftragte den Orden mit der Bekämpfung des heidnischen Prußenstammes und sicherte ihm die Landeshoheit über das noch zu erobernde Gebiet zu. Die Bulle erklärte das gesamte Land als Teil des römisch-deutschen Reiches. Straff geführt von den Hochmeistern und dank einer effizienten Verwaltung entwickelte sich der Ordensstaat zur stärksten Macht im Ostseeraum.

Deportationsjahre in Sibirien
Sehr persönlich war der Vortrag von Gerd-Helmut Schäfer. Das Thema lautete: „Otto Schäfer aus dem Memelland - Seine Deportationsjahre in Sibirien (1949-1958)“ und handelte von seinem Vater. Aber auch Ottos Frau und der kleine Gerd-Helmut wurden deportiert.

Die Kontakte zum Bund der Vertriebenen, das Engagement in der Landsmannschaft Ostpreußen und die Verbindungen zum Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge waren bei der Aufarbeitung der Familiengeschichte sehr wichtig. Die wechselvolle Geschichte des Memellandes in der Zwischenkriegszeit wurde dargestellt. Der Sonderstatus des Memellandes nach der Annexion durch Litauen machte aus Otto Schäfer einen „litauischen Bürger des Memellandes“. Nach 1945 erfolgte durch die neuen russischen Machthaber die Kollektivierung der Landwirtschaft, der auch der 100 Morgen (etwa 25 Hektar) große Hof der Schäfers zum Opfer fiel. Im Zuge der Umsiedlungsaktionen unter dem Decknamen „Весна“, was so viel wie Frühling bedeutet, wurde die Familie nach Sibirien deportiert. Die Umstände der Deportation ähnelten vielen deutschen Schicksalen jener Zeit: Zusammengepfercht in Viehwaggons, ohne Essen und Trinken, fuhr die menschliche Kriegsbeute ins Ungewisse. Viele Tote, zu viele Tote – sie wurden einfach aus dem Zug geworfen.

Die Schäfers und eine weitere deutsche Familie kamen in eine russische Kolchose. Hier kamen den ostpreußischen Verschleppten ihre landwirtschaftlichen Kenntnisse zugute. Otto fügte sich gut in die Kolchosengemeinschaft ein und durfte sogar mit Hilfe anderer Dorfbewohner ein kleines Blockhaus bauen. Die Deportation endete nach neun Jahren und neun Monaten, als Otto Schäfer mit seiner Familie wieder deutschen Boden betrat. Das war am 22. Dezember 1958.

Alltagskultur in Königsberg
Die Historikerin und Ausstellungskuratorin Mareike Schönle war einigen Seminarteilnehmern bereits bekannt, hatte sie doch im vergangenen Jahr ihre Arbeit für die Kantausstellung in Bonn und Lüneburg vorgestellt, als deren Ergebnis die Ausstellungsbesucher mit Hilfe einer Virtual-Reality-Brille Immanuel Kant bei seinem Spaziergang durch die Straßen Königsbergs begleiten können.

Diesmal trug die Referentin allerdings den Titel Dr. des. - ein Doktorgrad, der zwischen dem Abschluss des Promotionsverfahrens und der Veröffentlichung der Dissertation geführt werden darf. Und das Thema der Dissertation war auch das Thema ihres Vortrags „Königsberg im Kaiserreich. Alltagskultur einer Metropole um 1900“. Die auf sieben Hügeln erbaute Stadt vereinte viele unterschiedliche soziale Gruppen. Sie war Hansestadt, Universitätsstadt, Garnisonsstadt, es gab Unternehmer, Handwerker, Beamte, Kaufleute, Angestellte und Arbeiter – insgesamt 189.483 Einwohner. Grundlage für die Auswertung waren die Adressbucheinträge mit genauer Berufsbezeichnung und Wohnstraße. Die nicht immer eindeutige Abgrenzung der Stadtbezirke musste im Einzelfall neu definiert werden, um die sozialen Gruppen in ihren Quartieren widerzuspiegeln. Es gab Wohnquartiere, die überwiegend von Kaufleuten, Handwerkern oder Arbeitern bewohnt wurden. Durch die Überlagerung der einzelnen Gruppen ergaben sich mehr oder weniger große Schnittmengen.

Die empirische Studie zur Gesellschaftsgeschichte der Stadt Königsberg ist ein Schlüssel zum Verständnis der östlichsten deutschen Großstadt und ihrer Strukturen um 1900. Damals wie heute gilt jedoch: Menschen prägen Städte und Städte prägen Menschen.

Immanuel Kant an einem gewöhnlichen Dienstag
Im Kantjahr soll natürlich auch an den Königsberger Aufklärer und Weltdenker erinnert werden. Allerdings nicht mit reißerischen Überschriften wie „Kant – Mit Sex und Kanzlerrede“ (Die Zeit) oder „300 Jahre Kant: Sex und Gender“, wie unlängst ein Philosophie-Blog titelte, sondern sachlich und akribisch recherchiert. Schlicht „Ein Tag im Leben Immanuel Kants“ lautete der Titel des Vortrags von Dr. Uwe Rose. Der Referent wählte einen gewöhnlichen Wochentag, Dienstag, den 14. Oktober 1794. Kant war zu diesem Zeitpunkt bereits 70 Jahre alt. Er wohnte in einem Haus in der Prinzessinnenstraße, gleich hinter dem Schloss. Ihm zur Seite stand der treue Diener Martin Lampe, der nach seinem Abschied aus der preußischen Armee in Kants Dienste getreten war. Seine Hauptwerke hatte Kant bereits veröffentlicht, die „Metaphysik der Sitten“ und die Abhandlung „Zum ewigen Frieden“ sollten noch folgen.

Es ist viertel vor fünf, als Lampe mit dem Weckruf „Es ist Zeit!“ Kants Schlafzimmer betritt und die Vorhänge des Fensters zur Seite zieht. Um fünf setzt sich Kant an seinen Teetisch, trinkt Tee und zieht an seiner Pfeife. Von sieben bis neun, manchmal auch von acht bis zehn, hält er Vorlesungen in seinem Haus. Danach zieht er sich zurück, um an seinen Schriften zu arbeiten. Um Viertel vor eins folgt das Mittagessen, zu dem er Freunde und Kollegen eingeladen hat. Anschließend unternimmt Kant einen einstündigen Spaziergang zur Festung Friedrichsburg. Danach widmet er sich seiner Korrespondenz, liest Zeitungen und Reisebeschreibungen. Um zehn Uhr geht er zu Bett, um sieben Stunden später wieder aufzustehen und den Kreislauf von neuem zu beginnen.

Rose, studierter Philosoph und Germanist, gab auch eine Kostprobe aus seinem Buch „Verliebt in die Metaphysik“, das kein Fachbuch ist, sondern ein leicht verständliches Lebensbild Kants.

Die philosophischen Gespräche dieses Tages dauerten bis in die späten Abendstunden und endeten in der Bierklause nach einigen geistreichen Getränken mit neuen Sichtweisen und Erkenntnissen.

Polonisierung, Indoktrination und sozialistischen Erziehung
Das Schicksal elternloser Kinder in Ostpreußen nach dem Zweiten Weltkrieg war das Thema von Dr. Teresa Willenborg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin der Universität Magdeburg. Ein Thema voller Leid und Entbehrungen, erzählt an drei konkreten Schicksalen, denen von Horst Beling, Amalie B. und Alfred Czesla. Sie wurden durch Kriegshandlungen zu Waisen, gingen in den Wirren des Krieges verloren oder wurden ihren Eltern gewaltsam entrissen, wie im Internierungs- und Arbeitslager für Deutsche in Potulice.

Viele der Kinder wurden in polnische Familien eingegliedert, von Russen verschleppt und russifiziert, zur Zwangsarbeit in polnische Arbeitslager gezwungen oder als billige Arbeitskräfte von einem polnischen Kleinbauern zum anderen gegen Geldzahlungen weitergereicht.

Der Staat machte es sich zur Aufgabe, ein ethnisch reines Polen zu schaffen. Die Kinder sollten zwangsweise in den polnischen Staat assimiliert werden. Sie kamen in polnische Heime und Pflegefamilien, erhielten polnisch klingende Namen, sollten die Sprache lernen. Da Kinder aus Masuren ohnehin als „eingedeutschte Polen“ galten, betrieb man eine „Reintegration in die polnische Gesellschaft“.

Die eingangs erwähnten Kinder Horst, Amalie und Alfred haben die Maßnahmen der Polonisierung, Indoktrination und sozialistischen Erziehung auf unterschiedliche Weise über sich ergehen lassen. Die Erstgenannten fanden nach langer Zeit in der Bundesrepublik eine neue Heimat. Alfred hingegen blieb in Polen, zerrissen zwischen zwei Identitäten. Für seine Arbeit als Mitbegründer der Organisationen der deutschen Minderheit in der Region Ermland-Masuren sowie der Masurischen Evangelischen Gesellschaft erhielt der „deutsche Masure“ Dr. Alfred Czesla sogar das Bundesverdienstkreuz.

In der anschließenden Fragerunde kam ein Zeitzeuge zu Wort, der die Verhältnisse im Lager Potulice aus der Sicht seiner internierten Eltern schilderte. Die gewaltsame Wegnahme der Kinder von ihren Müttern, die Verbringung der Leichen in die Massengräber und der ständige Hunger. Er habe auch an Gedenkveranstaltungen in Potulice teilgenommen, die aber schon lange nicht mehr stattfänden. Solche Veranstaltungen passen wohl auch nicht in das Bild von Polen als Opferstaat.

Kopernikanische Wende
Prof. Dr. Marie-Luise Heckmann von der Universität Potsdam erläuterte die Kometenwahrnehmung in Preußen und im südlichen Ostseeraum im 16. und 17. Jahrhundert und die kopernikanische Wende.

Ausgehend von der Feststellung, dass Kometen in der kopernikanischen Lehre kaum eine Rolle spielten, ging Heckmann auf die Wissenschaftler der Folgezeit ein. Anhand der veröffentlichten Schriften zeigte sie das Spannungsfeld auf, in dem sich die Kometenforscher bewegten. Hin- und hergerissen zwischen Astronomie, Heiliger Schrift, Mathematik und Physik suchten sie nach Antworten in ihrer Kometenforschung. Ein Prozess, der bis in die heutige Zeit reicht und zeigt, dass eine wissenschaftliche These nur so lange Gültigkeit hat, bis sie widerlegt wird.

Das gemeinsame Singen des Ostpreußenliedes mit Akkordeonbegleitung bildete den offiziellen Abschluss des wie immer lehrreichen und kurzweiligen Bildungswochenendes.

Das Seminar wurde aus Mitteln des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien über das Kulturreferat des Ostpreußischen Landesmuseums Lüneburg gefördert.

Allgemeines Fazit der Teilnehmer: Das Seminar war sehr interessant und hilfreich. Die Referenten waren sehr kompetent. Bewertung: fünf von fünf Sternen.


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