11.12.2024

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Für die FDP stellt sich wieder einmal die Existenzfrage

Sollen die Liberalen die Koalition verlassen oder ihren derzeitigen „Opfergang“ fortsetzen? Wie ginge es dann weiter – und welche Folgen hätte dies für die FDP?

Werner J. Patzelt
10.04.2024

Lange Zeit war es wirklich schön, ein FDPler zu sein. In der alten Bundesrepublik regierte man fast immer mit, zuerst mit der Union, später mit der SPD, schließlich mit Helmut Kohl. Auch als die zwei einst „großen Volksparteien“ wegen des Aufkommens der Grünen und dann auch noch der AfD zu Schatten ihrer selbst geworden waren, profitierte die FDP weiterhin. Denn wo Union und SPD sich zum Regieren meist auf Dreierbündnisse einlassen müssen, kann man die FDP gut gebrauchen.

Doch das Mitregieren wird dann anstrengend. In der gegenwärtigen Bundesregierung zeitigen Versuche zur Sicherung der wirtschaftlichen Grundlagen unseres Sozialstaates Konflikte mit sozialdemokratischen Ausbauwünschen und grünen Transformationsvisionen. Und darüber, ob man dem Bürger mehr Geld lassen oder die Steuern erhöhen oder die Schuldenbremse lockern sollte, zerstreitet sich die FDP mit beiden Partnern.

Doch bei den derzeitigen FDP-Problemen geht es nicht nur um „die Sache“ oder um Taktik. Es geht schlicht um die Parteiexistenz. 1969 führte der Wechsel von der Union zur SPD die Liberalen zu großen Mitgliederverlusten. Ebenso war es 1982 beim Schritt an die Seite Helmut Kohls. Wechsel oder gar Brüche einer Koalition sind für die FDP schlicht lebensgefährlich. Für praktizierte Koalitionstreue gilt das aber auch. Am Ende der zunächst so „natürlich“ anmutenden Koalition mit Angela Merkel flog die FDP aus dem Bundestag. Ähnliches widerfährt ihr immer wieder bei Landtagswahlen. Verließe die FDP nun die Ampelregierung, wäre das vielleicht sogar ein Sprung ins politische Nichts. Anders als 1982 könnte nämlich keine starke Union mehr die FDP auffangen. Bei Neuwahlen im Herbst drohte gar ein Zerschellen an der Sperrklausel.

Und eine Regierungsbildung nach Koalitionsbruch ohne Neuwahlen? Könnte da ernstlich „Jamaika“ zum Notnagel werden – ausgerechnet nach koalitionszermürbendem Streit mit den Grünen? Oder will jemand hoffen, nach einem „Ende mit Schrecken“ werde sich die „Ampel“ mit veränderter Vertragsgrundlage neu zusammentun? Eher geht es dann weiter ohne die FDP – oder, falls die Reißleine von den Grünen gezogen würde – ohne die Vizekanzler-Partei.

Verschiedene Szenarien
In beiden Fällen könnte der SPD-Kanzler zwar eine Minderheitsregierung anführen. Gesetzgeberisch wäre die aber kaltgestellt. Und ohne Etat bliebe sie auf die „vorläufige Haushaltsführung“ angewiesen, in deren Rahmen sich monatlich ein Zwölftel des Vorjahresetats ausgeben lässt. Durchhalten kann man das allenfalls, wenn aufs politische Gestalten verzichtet wird. Das würden sich viele Deutsche nach den törichten Ampelexperimenten mit Heizgesetz, Kindergrundsicherung und Cannabisfreigabe wohl sogar wünschen. Doch mit Russlands Krieg in der Ukraine müsste man trotzdem umgehen, auch zur defensiven Kriegstauglichkeit der NATO beitragen, desgleichen Deutschlands schwächelnde Wirtschaft stärken. Mit einer Minderheitsregierung könnte man, ganz im Wortsinn, dabei „nicht viel Staat machen“. Also bräuchte es Neuwahlen.

Wie bekäme man die? Im für die FDP wohl weisesten Fall würde deren Führung den Kanzler bei einem Gesetzesvorhaben so provozieren, dass diesem wenig anderes übrigbliebe, als die FDP-Minister zu entlassen. So hielt es einst Helmut Schmidt. Verkaufen könnten die Liberalen das mit einem Slogan folgender Art: „Die FDP geht voll ins Risiko, wenn Deutschlands Zukunft auf dem Spiel steht!“

Falls anschließend nicht die Union in eine SPD-geführte Koalition eintritt, oder wenn die SPD nicht einen CDU-Politiker zum Kanzler wählen mag, bleibt Scholz nur noch die Vertrauensfrage. Die wird dem Kanzler vom Bundestag gewiss abschlägig beschieden. Anschließend ist der Bundespräsident in einer Zwickmühle. Er kann sagen: Kanzler, weitermachen! Das wird dem Land aber nichts nutzen. Also löst er wohl besser den Bundestag auf. Die Neuwahl wird dann die Union an die Macht bringen und der AfD eine größere Bundestagsfraktion als die jetzige bescheren.

Um das zu vermeiden, könnte der Kanzler zurücktreten. Dann würden neue Koalitionsverhandlungen fällig. Die ermöglichten vielleicht den Erfolg eines konstruktiven Misstrauensvotums. Doch wahrscheinlicher ist, dass sie nicht zur Regierungsbildung mit absoluter Mehrheit führen. Als Ausweg kennt das Grundgesetz glücklicherweise die Wahl eines Bundeskanzlers mit nur relativer Bundestagsmehrheit.

Den Gewählten kann der Bundespräsident dann zum Kanzler ernennen. Auf diese Weise entstünde eine Minderheitsregierung nicht durch Zerfall der bisherigen Mehrheit, sondern durch präsidiale Ernennung. Wiederum wäre diese wenig handlungsfähig. Doch sie hätte wohl eine veränderte parteipolitische Färbung und könnte beim Fortgang laufender Krisen vielleicht mehr Zuversicht stiften als ein von der FDP im Stich gelassener Kanzler der SPD. Will aber der SPD-Bundespräsident dennoch keine CDU-Minderheitsregierung, so wird er den Bundestag auflösen und vieles von dem herbeiführen müssen, was oben beschrieben wurde.

Es käme dann zu einem Wahlkampf, in dem die FDP – unter Verweis auf ihren „Opfergang“ – jenes Vertrauen wiederzugewinnen versuchte, das sie in der Ampelkoalition verspielt hat. Ob das gelingt, ist offen. Misslänge der FDP ihr Wiedereinzug in den Bundestag, wäre das durchaus tragisch für diese Partei. Im Jahr 2017 nämlich, beim Ringen um eine Jamaikakoalition, konnte der FDP-Vorsitzende sich noch leicht der Übernahme von womöglich parteischädigender Regierungsverantwortung mit dem Satz entziehen, nicht zu regieren sei besser, als schlecht zu regieren. Doch 2021, nach der Merkel-Ära, war die CDU so schwach, dass kein verantwortbarer Weg an einer von der FDP ermöglichten Machtübernahme von Rot-Grün vorbeiführte. Jetzt ist dafür der Preis zu entrichten. Also wird die FDP wohl ein zweites Mal zum „Opfer Merkels“.


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