25.04.2024

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Gartenbau

Gärten in Ostpreußen früher und heute

Im Königsberger Gebiet teilt der Autobauer „Avtotor“ seinen Mitarbeitern Agrarflächen zum Obst- und Gemüsebau zu

Bärbel Beutner
16.07.2022

Es sind schwere Zeiten für alle in diesem Sommer 2022. Die politischen Probleme erreichen den Alltag der Menschen; das Leben wird schwieriger und teurer. Der „Königsberger Express“ vom Juni dieses Jahres berichtet von dem Automobilwerk „Avtotor“, das „seinen Angestellten Grundstücke zum Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung“ gestellt habe. 168 solcher Grundstücke sollen bereits bei Fuchsberg [Cholmogorowka] nördlich von Königsberg verteilt worden sein. Die Belegschaft, so heißt es dazu, „nahm diese Initiative der Werksleitung mit Dank und Begeisterung auf“.

Natürlich freute sich die Belegschaft von „Avtotor“ über die Möglichkeit, anpflanzen und ernten zu können, nicht nur wegen der steigenden Lebensmittelpreise, sondern auch aus Liebe zum Gartenbau. Jeder Russe, so habe ich irgendwo gelesen, sei in seiner Seele ein Bauer.

Seit Jahrhunderten ist Ostpreußen ein Bauernland, in deutscher Zeit die Kornkammer mit der effektivsten Landwirtschaft, so wie Pommern auch, und Gärten in allen Größen und Ausstattungen gehörten immer dazu. Als die früheren deutschen Bewohner in das Königsberger Gebiet reisen durften, sahen sie bei ihren Besuchen vor allem auf dem Lande überall Gärten. Es blühte und wuchs und spendete Früchte. Aber auch die Städter besaßen eine Datscha, wo man eine richtige kleine Landwirtschaft betrieb sowie die Wochenenden und den Urlaub verbringen konnte.

Jeder hat einen Garten

In meinem Heimatdorf hat jeder einen Garten. Unvergesslich ein Tisch bei meinem ersten Besuch 1992. „Alles, was hier auf dem Tisch steht, kommt aus der Heiligenwalder Erde!“, erklärte man mir: die Kartoffeln, das Gemüse und die Früchte. Das Fleisch stammte von den Hühnern, die man hielt. Nur das Konfekt und die Kekse waren aus Memel, wo Verwandte der Hausfrau lebten. „Wir kaufen gern dort ein, wenn wir die Verwandten besuchen“, hieß es. „In Litauen ist das Warenangebot sehr gut!“

Die ersten russischen Lektionen bekam ich im Garten meiner Freundin von ihrer kleinen Tochter, die damals noch nicht zur Schule ging, heute Diplom-Mathematikerin und Mutter eines heranwachsenden Sohnes ist. Klubnika = Erdbeere, malina = Himbeere, morkowka = Mohrrübe, pomidor = Tomate, so lernte und schmeckte ich – und Produkte aus eigenem Garten sind ein besonderes Geschmackserlebnis.

Je mehr ich heimisch wurde in meinem Heimatdorf, das ich nur als russischen Ort kenne, umso besser verstand ich meine deutschen Verwandten und Landsleute. Die verlorenen Gärten in Ostpreußen wurden im Westen wieder gestaltet. Wer ein Haus baute, legte einen Garten an und genoss und verschenkte den eigenen Salat, die eigenen Beeren, Pflaumen und Möhren. Mein Onkel erwarb in Schleswig-Holstein einen Schrebergarten mit Häuschen und machte ein Muster an Schönheit und Fruchtbarkeit daraus. Als Dorfschullehrer in Ostpreußen hatte Gartenland für ihn zur Besoldung gehört. Meine Tante, ebenfalls vom Lande, bereitete gesunde Säfte und köstliche Marmeladen zu. Im Sommer ging es um 5 Uhr morgens in den Garten zum Gießen, von der reichen Ernte wurden Freunde und Nachbarn mitbedacht, wie man das von Ostpreußen gewöhnt war.

Meine Großmutter in Heiligenwalde soll besonders freigiebig gewesen sein, und meine russischen Freundinnen und Nachbarinnen stehen ihr darin nicht nach. Dass Gäste im Garten von allem probieren dürfen und ein Glas mit eingeweckten Pilzen oder Obst mitnehmen müssen, ist heute so selbstverständlich wie früher in deutscher Zeit. Einmal kam eine deutsche Reisegruppe für mehrere Stunden ins Dorf. Die Gäste machten sich selbstständig und gingen die heutigen Bewohner in ihren Häusern und Gärten besuchen. Auf Ostpreußisch heißt das: sie gingen plachandern, das bedeutet: umhergehen und sich mit denen unterhalten, die man trifft.

Wieweit das Plachandern auf Russisch und Deutsch geklappt hat, weiß man nicht, aber alle Gäste stiegen mit Äpfeln, Gurken, Blumen, Pflaumen und sogar mit ein paar Eiern wieder in ihren Touristenbus nach Königsberg. Und Neuigkeiten hatten sie auch reichlich erfahren.

Heimisch geworden im Heimatdorf

Die russischen und die deutschen Heiligenwalder Gärtnerinnen tauschten besonders gern ihre Blumen und Ziersträucher aus. So wuchs und blühte zum Beispiel die Engelstrompete im Osten und im Westen.

Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass Feld- und Gartenarbeit mit viel Mühe verbunden ist. Im alten Ostpreußen gab es im Sommer nur eine kurze Nachtruhe. Davon zeugt das „Lied der Drescher“ aus dem Memelland. „Leute, steht auf, denn die Uhr ist schon drei!“, heißt es da, nachzulesen in dem Buch „Mein Lied, mein Land“, Elberfeld 1955. Man stand mit den Hähnen auf, wenn man einen Garten zu bestellen hatte. Meine Großmutter pflückte im Morgentau Erdbeeren, die einige Stunden kühl und abgedunkelt aufbewahrt wurden, damit sich bis zum Verzehr das Aroma nachhaltig entfalten konnte. Und wie lange am Abend gearbeitet wurde, erzählt das bekannte Volkslied „Es dunkelt schon in der Heide, nach Hause lasst uns gehen. Wir haben das Korn geschnitten mit unserem blanken Schwert.“

Heute erleichtern Maschinen so manche Arbeit, aber die langen ostpreußischen Sommertage werden voll genutzt. Ich war zu Hause in Heiligenwalde [Uschakowo] stets Feriengast und durfte ausschlafen, aber zum Frühstück gab es frisch gepflückte Zucchini, die in dünne Scheiben geschnitten köstlich in der Pfanne angebraten wurden. In einem Sommer war Tante Milla aus Taschkent zu Besuch. Sie schien im Garten zu übernachten, sie war einfach immer dort tätig. Auch bei den Nachbarn im Dorf geht es nach einem gemütlichen Abendessen noch einmal in den Garten, wo es noch genug zu tun gibt, so lange es hell ist.


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