Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Es klang für die Freunde der ostdeutschen Kultur nach einer großartigen Aktion, das Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung nahm vergangenen Monat zum zweiten Mal an der langen Nacht der Museen in Berlin teil. 75 Häuser beteiligten sich an der Aktion, eines davon war das Dokumentationszentrum, das in besonderer Weise der ostdeutschen Kultur verpflichtet ist. Mitten in dieser lebendigen, quirligen Metropole würde man auch etwas zur schlesischen und ostpreußischen Kultur erfahren, so die Annahme vieler Vertriebener. So wie viele andere Museen auch, hatte das Dokumentationszentrum ein buntes Programm für die Museumsnacht vorbereitet – neben Lesungen und Führungen würde es auch besondere Speisen und Musik geben. Denn auch Esskultur und Volkslieder sind wichtige, geradezu zentrale Bestandteile der gelebten Volkskultur. Was würde die Besucher also an diesem Abend wohl im Dokumentationszentrum erwarten – vielleicht sudetendeutsche Blasmusik aus Böhmen, vielleicht ein pommerscher Fischerchor, vielleicht eine ostpreußische Singegemeinschaft, die „Ännchen von Tharau“ anstimmt?Und welche leckeren Speisen wird es wohl geben – vielleicht Stullen mit ostpreußischer Leberwurst, vielleicht pommersche Lungwurst, vielleicht „Porumbei cu mere şi merişoare“ (Tauben mit Äpfeln und Preiselbeeren), eine Spezialität der Banater Schwaben?
Um 18 Uhr begann in allen Häusern die lange Nacht, auch beim Dokumentationszentrum in der Stresemannstraße erschienen die ersten Besucher. Zu den ersten Attraktionen des Abends gehört eine gemeinsame Lesung der beiden Autoren Andreas Kossert und Karolina Kuszyk, die beiden lasen aus einem Werk einer ukrainischen Schriftstellerin. Dabei war dies nur der erste Streich, im Rahmen der langen Nacht traten Kossert und Kuszyk insgesamt drei Mal auf; und jedes Mal präsentierten sie eine andere ukrainische Autorin. Da fragten sich einige Zuhörer leise, warum man denn nicht eine dieser Lesungen den Gebrüdern Hauptmann und ihrer niederschlesischen Heimat gewidmet hat?
Oder warum man denn nicht in einer dieser Präsentationen den schlesischen Dramatiker und Barock-Dichter Andreas Gryphius vorgestellt hat? Eine solche lange Nacht ist doch auch eine tolle Gelegenheit an die vielen, zumeist unwissenden Besucher ein paar Fakten über ostdeutsche Literaten zu vermitteln. Unstrittig ist die Ukraine ein aktuelles Thema, aber ist das Land auch ein Kerngebiet der ostdeutschen Siedlungsgeschichte? Kossert ist ein bekannter Kenner der Geschichte Ostmitteleuropas, 2020 erschien sein Buch „Flucht. Eine Menschheitsgeschichte“ – ein Werk, das etlichen Vertriebenen so gar nicht gefallen hat.
Keine ostdeutsche Literatur
Die polnische Autorin Kuszyk, die in Berlin lebt und arbeitet, ist bekannt geworden durch ihre Studie „In den Häusern der anderen. Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen“, die seit 2020 auch in deutscher Übersetzung vorliegt und die sich inzwischen zu einem echten Bestseller entwickelt hat. Dabei ist ihre Haltung nicht unproblematisch, denn bei Lesungen hat sie gelegentlich ausgeführt, dass sie ihren Großeltern, die eben die Häuser der deutschen Familien „übernommen“ haben, keinen Vorwurf machen möchte. Die Vertreibung, die Übernahme fremder Häuser sind also kein moralisches Thema?
So schlenderten viele Zuhörer nach dieser ersten Lesung zu den Musikern – in der Hoffnung, dass beispielsweise der Eichendorf-Chor aus Ratibor in Oberschlesien einige erbauliche Volks- und Kirchenlieder anstimmen würde. Doch dieser trat nicht auf, er war überhaupt nicht eingeladen worden, auch keine vergleichbare Singegemeinschaft aus Pommern, Posen oder West- und Ostpreußen. Dafür waren jede Menge andere „Geflüchtete“ zu hören, die sich und ihre Musik präsentierten. Beispielsweise Rabon Aibo aus Afrin in Syrien. Er ist ein in Berlin lebender Künstler, der sich auf Sound, Visuals und Installationen konzentriert. Oder beispielsweise Nikita A. Trachtenberg Zuhkovskiy, nach der Einführung des Homosexuellengesetzes 2013 verließ er Moskau. Jetzt lebt er in Berlin als Medienkünstler und durfte sich im Dokzentrum an diesem Abend produzieren.
Keine ostdeutsche Musik
Verwirrt und enttäuscht ließen jene Besucher, die immer noch auf der Suche nach dem ostdeutschen Kulturteil waren, von dem Musik-Bereich ab und wollten sich der Ess-Kultur zuwenden. Wo gab es denn jetzt einen Teller Kartoffeln mit Königsberger Klopsen oder eine niederschlesische Rohwurst? Es gab überhaupt keine ostdeutschen Speisen. Dafür bot das syrische Restaurant „Kreuzberger Himmel“ an einem Stand orientalische Spezialitäten an. „Geflüchtete Menschen aus verschiedenen Ländern arbeiten hier und präsentieren köstliche Spezialitäten wie veganes Kibbeh, Linsenkebap und Sanbousak“, heißt es in der Ankündigung des Dok-Zentrums. „Interkulturelle Gaumenfreuden“, so der Veranstalter, für die nächtlichen Wanderer.
„Meet the Director“
Also gingen die Freunde der ostdeutschen Lebensart ohne einen Bissen einer niederschlesischen Weißwurst direkt zu einem der nächsten Höhepunkte: „Meet the Director“ – eine Führung durch die Ständige Ausstellung mit Gundula Bavendamm. Seit dem 1. April 2016 ist sie Direktorin der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Jetzt erfuhren die rund 40 Teilnehmer des Rundgangs etwas zum Kern des Anliegens, zur eigentlichen Bedeutung des Hauses. Für viele war dies offenbar Neuland, stumm und ohne weitere Fragen verfolgten die Zuhörer ihre Ausführungen.
Bemerkenswert war jene Stelle, an der sie die Vertreibungen als eine direkte Folge der NS-Kriegs- und Vernichtungspolitik darstellte. Denn aus den Reihen der Zuhörer wurde daran erinnert, dass beispielsweise in den Provinzen Posen und Westpreußen sowie in Oberschlesien die deutschen Volksgruppen so stark vom wiedergegründeten Polen attackiert wurden, dass es eine starke Abwanderung bereits 1919/1921 gegeben hatte – also lange vor der NS-Politik. Manfred Kittel, der langjährige Gründungsdirektor der Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hatte ja einmal postuliert, dass man das Thema Vertreibung nicht auf die Zeitspanne 1939 bis 1945 begrenzen dürfe, sondern mit den von Polen organisierten Vertreibungen 1918/1921 beginnen müsse.
Der Unmut und der Hass etlicher Polen richtete sich nicht nur gegen die evangelischen Deutschen, sondern auch gegen die jüdischen Familien. So wurden in der Provinz Posen 1918/1921 Vertreter der evangelischen und der jüdischen Gemeinde von den polnischen Aufständischen verhaftet und in einem Kranz von rund 24 Konzentrationslagern interniert.
Dazu sagte Bavendamm während der Führung, dass der Einwurf von Kittel sicher zutreffend sei; denn Zwangsmigrationen seien „schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg ein allgemein akzeptiertes Mittel nationalstaatlicher Politik“ gewesen. Gesucht worden sei damals, also nach dem Ersten Weltkrieg, „nach dem idealen Nationalstaat, bei dem territoriale Grenzen in Deckung sind mit ethnischen Grenzen“.
Keine Rede von 1918/21
Beachtenswert ist in der Ausstellung jenes Kapitel, in der die Versprechungen der Parteien in den 1950er und 1960er Jahren vorgestellt werden – wie sich CDU/CSU und SPD als die wahren Interessensvertreter der deutschen Heimatvertriebenen präsentierten. Alles Aussagen, von denen heute keine Partei mehr etwas wissen möchte.
Doch es gibt in der Ausstellung etliche Schattenbereiche, es bleiben offene Fragen: So wird zwar darauf verwiesen, dass man in der SBZ/DDR die Oder-Neiße-Linie nicht in Frage stellen durfte – aber entsprechendes gilt ja auch für die drei Westzonen. Es darf ja nicht vergessen werden, dass Vertreibung und Oder-Neiße-Linie auf der Potsdamer Konferenz mit Zustimmung der USA und Großbritanniens beschlossen wurden.
Schonung der Westalliierten
Hier erhoffen sich viele Besucher präzisere Informationen durch den angekündigten Ausstellungskatalog. Nach jahrelangen Arbeiten soll dieser nun im nächsten Frühjahr druckreif vorliegen, kündigte Bavendamm an. Und angesprochen auf das Fehlen von ostdeutscher Musik und Speisen sagte sie zu, dass man diesen Wunsch gerne im nächsten Jahr mit aufgreifen könne.
So endete für die Freunde der pommerschen, ostpreußischen, schlesischen und sudetendeutschen Kultur ihr Ausflug zur Langen Museumsnacht im Dokumentationszentrum Flucht, Vertreibung, Versöhnung. Tief enttäuscht kehrten sie heim, kein einziges ostdeutsches Lied war erklungen, kein ostdeutscher Schriftsteller wurde vorgestellt, keine einzige ostdeutsche Speise angeboten.
Und es geht so weiter
Dabei war das alles doch mal ganz anders geplant, im Februar 2016 wurde Bavendamm zur neuen Direktorin der Stiftung gewählt. Vor ihrem Amtsantritt beschrieb sie ihr neues Aufgabenfeld: „Für die Stiftungsarbeit ist die Vertreibung der Deutschen nur ein Schwerpunkt, aber in der Dauerausstellung ist sie der Schwerpunkt.“ Aber an diesem Abend war die ostdeutsche Kultur nicht ein Schwerpunkt neben anderen Themen – sie kam schlichtweg in diesem abendlichen Programm nicht vor, wenn man mal von der Dauerausstellung absieht. Dabei muss man staunend festhalten, dass der Publikumszustrom da war; auch um 22 und um 23 Uhr kamen wieder neue Gruppen in das Haus. Doch unklar bleibt, ob diese nächtlichen Wanderer überhaupt verstanden haben, wo sie sich aufhielten. Denn im eigentlichen Nachtprogramm tauchte die ostdeutsche Kultur überhaupt nicht auf.
Und so wurde im Dokumentationszentrum auch schon bei öffentlichen Vorträgen in den vergangenen Monaten verfahren – es ging stets um Flüchtlinge aus aller Herren Länder, aber nicht um Vertriebene aus Danzig und aus dem Sudetenland. Und so steht auch schon die nächste öffentliche Veranstaltung in dem Dokumentationszentrum an, am 13. September will man dort diskutieren. Nein, nicht über die Lage der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen im Vorfeld der Sejm-Wahl im Oktober, sondern zum Thema „Beyond Borders. Afghan Resilience in Europe“. Mark Isaacs will mit zwei Geflüchteten aus Afghanistan sprechen.
Fritz Horn am 07.09.23, 20:12 Uhr
Ist das Doku-Zentrum etwa von der Ampel auf "Roth" geschaltet?
Kersti Wolnow am 07.09.23, 08:09 Uhr
„nach dem idealen Nationalstaat, bei dem territoriale Grenzen in Deckung sind mit ethnischen Grenzen“
Das ist mutwillig nach dem 1. WK zergliedert worden, indem die Sieger sowohl den Nahen Osten als auch Mitteleuropa in Einflußsphären teilten statt die Völker zu berücksichtigen. In wieviel Staaten sind die Kurden aufgeteilt, die Deutschen, die Pashtunen? In Afrika sieht es genauso aus. In der Neuzeit gibt es gar keine Grenzen mehr, aber die kriminellen Gewaltakte haben trotzdem zugenommen.
Ich stelle immer wieder für mich fest, daß wir Deutschen und Vertriebenen (meine Familie kommt aus Ostpreußen) keine Regierung haben, denn sie vertritt nicht unsere Interessen. Es ist auch egal, welche Farbe man wählt, das Resultat ist immer dasselbe.