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Nobeladresse am Harvestehuder Weg: In der Horschitz-Villa lebte der Großvater von Tucholskys Verlobter Kitty
Foto: twsNobeladresse am Harvestehuder Weg: In der Horschitz-Villa lebte der Großvater von Tucholskys Verlobter Kitty

Liebschaften

Geboren im Januar

Auf der Suche nach der verlorenen Verlobten Kitty Frankfurther – Kurt Tucholsky und die Frauen

Bettina Müller
08.01.2023

Hamburg, du schönste deutsche Stadt!“, schwärmte Kurt Tucholsky in seinem am 19. August 1928 in der „Vossischen Zeitung“ erschienenen Artikel „Es ist heiß in Hamburg“ über den Ort, mit dem er so gut wie nie in Verbindung gebracht wird. Tucholsky, der am 9. Januar 1890 im Berliner Stadtteil Moabit geboren wurde, gilt als „Urberliner“. Doch vor allem den feinen Harvestehuder Weg an Hamburgs Außenalster kannte er gut, weil dort sein alter Kriegskamerad „Jakopp“ wohnte, der eigentlich Hans Fritsch hieß und mit dem ihn seit ihrer gemeinsamen Militärzeit im Ersten Weltkrieg in Kurland eine enge Freundschaft verband.

In diesem Harvestehuder Weg stand und steht auch heute noch die opulente Villa des Kaufmanns Salomon Horschitz. Und dieser Kaufmann, so sollte es sich herausstellen, war der Großvater mütterlicherseits von „Kitty Frankfurther“, der mysteriösen Dauerverlobten Tucholskys. Weil sie zu Lebzeiten nicht wollte, dass ihr richtiger Name publik wurde, hatte sie in Berlin den Namen ihres Stiefvaters angenommen und ihren richtigen Namen zumeist verschwiegen. Ein Brief Kittys an die Schriftstellerin Elisabeth Castonier aus dem Jahr 1963, der im Literaturarchiv Marbach aufbewahrt wird, verriet ihn der Autorin als Katharina Liefmann oder auch „Kitty Liefmann“.

Katharina Liefmann kam am 1. Januar 1890, und somit nur acht Tage vor Tucholskys Geburt, in Hamburg zur Welt. Als „Kitty“, wie man sie bald nannte, zwei Jahre alt war, starb am 7. Dezember 1892 ihr leiblicher Vater Rudolf Liefmann in Hamburg-Rotherbaum. Zurück blieben seine Witwe Agnes Sofie mit Kitty und ihrer sechs Jahre älteren Schwester Lilly.

Hamburger Pseudo-Adel

Agnes Sofie heiratete kurze Zeit später den Berliner Kaufmann Adolf Frankfur­ther und zog mit ihren beiden Töchtern in die Reichshauptstadt. 1911 starb Frankfurther, und im selben Jahr scheint die Verlobung zwischen Kitty und Tucholsky erfolgt zu sein, so datiert in der Tucholsky-Forschung. 1912 widmete Tucholsky seinen Roman „Rheinsberg“ „K.F.“ und „C.P.“, das waren Kitty Frankfurther und „Claire Pimbusch“. Mit der ominösen „Claire“ war wiederum seine spätere erste Ehefrau Else Weil gemeint.

Tucholsky und Kitty schienen sich durch die durch den Ersten Weltkrieg bedingte räumliche Trennung entfremdet zu haben, zumal Tucholsky es mit der Treue nie so genau nahm und in Kurland ein doch sehr großes Auge auf die junge Baltin Mary Gerold geworfen hatte.

War „Kitty“ ihm nun etwa lästig geworden? Als Tucholsky wieder nach Berlin zurückkehrte, trennte er sich jedenfalls sogleich von seiner Dauerverlobten.

1918 erlosch die Monarchie in Deutschland unwiderruflich, und dieser gesellschaftliche und politische Umbruch besiegelte in gewisser Weise auch das Ende der jahrelangen Verlobungszeit von Tucholsky und Kitty, die sowieso nie die einzige Frau in dem Leben des Schriftstellers gewesen war. Somit verschwand Kitty aus seinem Leben.

Der familiäre Hintergrund der Familie Horschitz, aus der Kittys Mutter stammte, eine Hamburger (Pseudo-)Adelsfamilie, schien zudem so gar nicht zu Tucholskys anti-monarchischem Weltbild, zu seiner pazifistischen und demokratischen Grundeinstellung zu passen. Kittys Großvater, ein Großkaufmann, der unter anderem in Hamburg ein großes Salzlager in der Brandstwiete 7 besaß, war einer der wenigen Juden in Deutschland gewesen, der einen Adelstitel vorweisen konnte. Es war jedoch ein italienisches Baronat und Horschitz war bereits vor Ort in Italien – aufgrund seiner Glaubenszugehörigkeit – auf Widerstand gegen seine Erhebung in den Adelsstand gestoßen.

In Deutschland war die damals überhaupt nicht gern gesehene Verleihung eines Adelstitels an einen Juden in der Regel mit einer (inoffiziellen) Bedingung verbunden, dass derjenige sich im Vorfeld dafür als eine Art „Gegenleistung“ taufen ließ. Erhalten hatte Horschitz das Baronat schließlich doch – auch ohne Taufe –, aber erst nach einer sehr großzügigen Spende an ein Florentiner Krankenhaus, die er 1872 dem Bürgermeister in Form von 40.000 Francs geschickt hatte, damit vor Ort ein Hospital für Augenleidende errichtet werden konnte. Victor Emmanu­el II., der König von Italien, erließ per Dekret vom 15. Juni 1872 die Verleihung des Titels des Barons an Sally Horschitz, der zudem ein adliges Wappen im Schilde führen durfte. Offiziell verliehen wurde der Titel schließlich am 19. Februar 1873, der sich dann nach dem Recht der Erstgeburt nur auf seinen männlichen Nachkommen übertrug.

„K.F.“ existiert nicht mehr

Das ganze Procedere war vom Hamburger Senat äußerst misstrauisch beäugt worden, zudem in diesem Fall auch gar kein Übertritt zum christlichen Glauben erfolgt war und Baron Sally Horschitz bis zu seinem Tod am 18. März 1883 im Stadtteil Harvestehude der jüdischen Religion treu blieb. Ihm wurde schließlich auch nicht gestattet, die Nobilitierung in den Hamburger Personenstandsregistern und im Bürgerbuch nachzutragen.

Daraufhin beauftragte und bevollmächtigte Horschitz den Rechtsanwalt Antoine Feill, ihn in dem Rechtsstreit mit dem Hamburger Senat zu vertreten. Feill schickte am 8. Juni 1874 ein entsprechendes Schreiben an den Senat, doch das Gesuch von Horschitz wurde schließlich sehr zügig mit Datum vom 19. Juni 1874 abgeschmettert, wie aus den Senatsprotokollen hervorgeht.

Ob Tucholsky den Herrn Baron persönlich kannte, ist nicht überliefert, zumindest wird er den genauen familiären Hintergrund seiner Verlobten gekannt haben. In einer in den Werken Tucholskys sehr seltenen Erwähnung ihres Namens wirft er in „Schrei nach Lichtenberg“ in der „Vossischen Zeitung“ vom 25. Januar 1931 nicht gerade ein gutes Licht auf sie. Kitty erscheint darin als verwöhnt, egoistisch und materialistisch.

Tucholsky musste mit dem Bücherverkauf sozusagen seine Seele verscherbeln, um die Verlobte zufriedenzustellen: „Und Kitty brauchte eine goldne Armbanduhr. Und da ging ich hin ... ich schäme mich ja furchtbar, aber es ist doch wahr ... und verkaufte einen Arm voller Bücher. Und kaufte ihr die Uhr und bekam einen dicken Kuß, und es war alles sehr schön.“

Kitty, die Zeit ihres Lebens unverheiratet bleiben sollte, emigrierte nach der Machtergreifung nach England, wo sie im Londoner Stadtteil Kensington ansässig wurde. Zwei Jahre später starb Tucholsky in Schweden an einer Überdosis Veronal, da waren seine Briefe an Kitty schon längst in Rauch aufgegangen, von ihr selber vernichtet.

Und auch mit ihrem früheren Leben hatte sie abgeschlossen: „K.F.“ existiert schon nicht mehr seit über 40 Jahren“, schrieb sie aus England an eine Bekannte in Deutschland. Ihr Geburtsland hat sie nie wieder gesehen, das hatte sie mit Tucholsky gemeinsam. Ihren Alterswohnsitz suchte sich die durch ihren familiären Hintergrund nicht unvermögende Frau, die seit dem 4. Mai 1948 britische Staatsbürgerin war, im hohen Alter in der südenglischen Grafschaft Surrey aus.

Die Seniorenresidenz Clare Park in der Nähe von Farnham, ein opulentes Herrenhaus in riesiger Parklandschaft, war bis zum 3. Juni 1980 Kittys letzte Adresse in England. Wie Tucholsky sehnte auch sie sich in ihren letzten Lebensjahren nach Abgeschiedenheit. Ihre letzte Ruhe fand Kitty auf dem Margravine Cemetery im heutigen Londoner Stadtteil Hammersmith and Fulham. Das Geheimnis um ihre Liebesgeschichte mit Kurt Tucholsky hat sie mit ins Grab genommen.


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Kommentare

Kersti Wolnow am 08.01.23, 11:42 Uhr

Wenn ich das so lese, fällt mir auch Friedrich Wolf ein und viele andere. Und dann muß ich darüber nachdenken, welche Kreise in Rußland die Scheidung gleich nach der Revolution eingeführt und in den uSA ständig vereinfacht haben. Bringe mich einer darauf!

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