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Arzneimittel

Gefährliche Abhängigkeiten in Zeiten von Corona

Deutschlands Versorgungssicherheit ist von Indiens Pharmaindustrie abhängig. Die wiederum benötigt Lieferungen aus China

Wolfgang Kaufmann
15.04.2020

Deutschland galt einmal als die „Apotheke der Welt“. Die hiesigen Pharma-Firmen Merck, Boehringer, Schering, Bayer und Hoechst waren unangefochten globale Marktführer. Aber damit ist es nun schon seit geraumer Zeit vorbei. Während der letzten Jahre stieg die Produktion von Arzneimitteln in Indien und China unablässig an, wohingegen der Ausstoß der Pharmawerke in der Bundesrepublik genauso kontinuierlich zurückging. Dadurch mutierte Indien quasi zur „Apotheke Deutschlands“.

Aus dem asiatischen Staat kommt inzwischen ein erheblicher Teil der bei uns eingesetzten Krebsmedikamente, Narkose- und Schmerzmittel, Blutdrucktabletten, Virostatika und Antibiotika. Rund 20 000 Pharmaunternehmen gibt es derzeit in Indien. Mit ihnen nimmt das Land nun den weltweit vierten Platz unter den Medikamentenherstellern ein – gleich nach den USA, Japan und China. Mittlerweile betragen die jährlichen Umsatzzuwächse fast zehn Prozent.

Überaus günstig produzieren Firmen wie Bharat Biotech, Biocon, Dr. Reddy's oder Sun Pharmaceutical. So kostet das in Indien hergestellte Antibiotikum Ciprofloxacin beispielsweise nur ein Sechzigstel dessen, was US-Unternehmen für das gleiche Mittel verlangen.

Engpässe bereits vor Corona

Die niedrigen Herstellungskosten erhöhen zweifellos die Konkurrenzfähigkeit der indischen Pharmaindustrie. Doch der Erfolg der USA zeigt, dass auch Hochpreisländer eine erfolgreiche pharmazeutische Industrie haben können. Höhere Herstellungskosten als in Indien können also nicht der einzige Grund dafür sein, dass zunehmend weniger Medikamente aus Deutschland kommen. Mindestens genauso nachteilig wirkt sich die Überregulation in der Bundesrepublik aus.

Immer neue Zulassungsauflagen, Zwangsrabatte und Ähnliches schmälern den Gewinn und machen es dadurch schwerer, in Forschung und Entwicklung zu investieren. Unabhängig von der Finanzierung gelten für Letztere in Deutschland so hohe Hürden wie sonst nirgendwo auf der Welt. Außerdem herrscht in der Bundesrepublik schon seit Längerem eine ausgeprägt pharmafeindliche Stimmung. Im rot-grün dominierten Meinungsklima werden die Arzneimittelhersteller ebenso zum Sündenbock für wirtschaftliche und soziale Fehlentwicklungen gestempelt wie die Banken.

Die Folge sind Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten, die bereits weit vor der Corona-Krise bestanden. So waren im Sommer des vergangenen Jahres 2016 teils lebenswichtige Präparate auf Dauer nicht mehr lieferbar, ohne dass dies die hiesigen Gesundheitspolitiker in irgendeiner Weise gekümmert hätte.

Indischer Exportstopp

Und nun wird alles noch schlimmer, weil die indische Generaldirektion für Außenhandel (DGFT) am 3. März einen Exportstopp für 26 pharmazeutische Wirkstoffe und daraus hergestellte Medikamente verhängt hat. Darunter fallen das viel verwendete Schmerzmittel Paracetamol und therapeutisch unverzichtbare Antibiotika wie Erythromycin, Clindamycin und Metronidazol.
Die DGFT entschied so, weil die Lieferkette bei den wirksamen pharmazeutischen Inhaltsstoffen, den sogenannten API (Active Pharmaceutical Ingredients) infolge des Corona-Ausbruchs in China abriss. Daraufhin begannen indische Händler die Substanzen zu horten, um bei einem Fortschreiten der Pandemie märchenhafte Gewinne einfahren zu können.

Immerhin werden in der zwei Monate lang abgeriegelten zentralchinesischen Provinz Hubei nicht weniger als 153 Wirkstoffe für die Medikamentenherstellung produziert. Insgesamt bezieht Indien 70 Prozent der im eigenen Lande verarbeiteten API aus China. Wegen dieser Abhängigkeit „muss Indien niesen“, „wenn China sich erkältet“, um es mit der „Deutschen Apothekerzeitung“ zu sagen.

Das Virus hat Indien erreicht

Jetzt wird zwar die Produktion in Hubei wieder hochgefahren, aber dafür hat die Corona-Welle nun auch Indien erreicht, was sicher mit einem weiteren Produktionsrückgang verbunden sein wird. Die Bundesrepublik dürfte also noch längere Zeit unter Lieferschwierigkeiten ihrer Apotheke in Asien leiden.


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