16.10.2024

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Ein letzter Sieg des Westens? Israels erfolgreiches Vorgehen gegen die Hisbollah im Libanon
Foto: pa/dpa/epa Atef SafadiEin letzter Sieg des Westens? Israels erfolgreiches Vorgehen gegen die Hisbollah im Libanon

Gefährliche Selbstgewissheit

Mit dem entschlossenen Vorgehen gegen seine Feinde demonstriert Israel nicht nur eigene Stärke, sondern auch die westliche Dominanz gegenüber dem Orient. Doch schon auf mittlere Sicht könnte es damit vorbei sein

Alexander Rahr
13.10.2024

Das Jahr 2024 hat für den Westen eine unverhofft positive Wendung genommen. Das jedenfalls möchten uns Medien und Meinungsmacher in Europa und Nordamerika gern glauben lassen.

In den USA scheinen sich Kamala Harris' Chancen, Donald Trump bei der Präsidentenwahl zu schlagen, in den letzten Wochen vor der Ziellinie verbessert zu haben. Damit wäre die Angst vor einem US-Isolationismus gebannt und die NATO als Stützpfeiler der transatlantischen Gemeinschaft gerettet. Auch die Angst vor einem Bündnis Trumps mit rechten Kräften wäre gebannt, was die in der komplizierten Weltlage von heute erforderliche enge Abstimmung zwischen Washington und Brüssel deutlich verbessern dürfte.

Trügerische Selbstgewissheit
Auch im Nahen Osten scheint der Westen in die Erfolgsspur zurückzukehren. Immerhin hat Israel mit einer in der Militärgeschichte einzigartigen Operation seinen Erzfeind Hisbollah dezimiert und steht zudem kurz davor, die Hamas im GazaStreifen auszuschalten. Obwohl die Zahl der zivilen Todesopfer im Gaza-Konflikt die der Toten im Ukrainekrieg bei Weitem überschreitet, hält sich die Kritik am israelischen Vorgehen in Grenzen. Immerhin kämpft das demokratische Israel auch für die westliche Sache. Für den Fall eines Krieges zwischen Israel und dem Iran würde die stärkste Militärmacht der Welt, die USA, ohne Wenn und Aber an der Seite ihres israelischen Verbündeten stehen. Ohnehin sind die USA militärisch wieder unangefochten am Golf präsent, während andere externe Ordnungsmächte im Nahen Osten nicht zu sehen sind.

Auch aus dem Ukrainekrieg hören wir fast nur Hoffnungsvolles. So erhalten westliche Waffenlieferungen das Patt im Krieg zwischen Russland und der Ukraine. Galt das angegriffene Land nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine schnell als verloren, konnte eine breite russische Großoffensive durch ukrainische Widerstandsfähigkeit und dank westlicher Waffenlieferungen vereitelt werden. Zwar rückt Russland schrittweise im Donbass vor, doch halten die Ukrainer seit immerhin schon drei Monaten russisches Territorium in der Region Kursk besetzt und konnten von dort bislang nicht vertrieben werden. Längst ist die Ukraine, zumindest ihr West- und Zentralteil, stärker als jemals zuvor in die westlichen Militärstrukturen inkorporiert. Auch im Ukraine-Konflikt dominiert also der Westen als Ordnungsmacht, während nichteuropäische Mächte wie China, Indien oder die Türkei zwar sichtbar sind, aber bislang nicht als sonderlich handlungsfähig in Erscheinung treten. Und so herrscht in zahlreichen westlichen Hauptstädten noch immer der Glaube, dass die Ukraine mittels immer neuer westlicher Waffen und Raketenbeschuss russischer Gebiete die zweitgrößte Atommacht der Welt besiegen könne.

Und in der Folge all dessen könne von einem Abgesang auf eine pro-westliche regelbasierte Weltordnung in den USA und Europa keine Rede sein.

Eine andere Sicht im Rest der Welt
Die weltpolitische Betrachtungsweise außerhalb Europas verläuft allerdings völlig kon-trär. In den BRICS+-Staaten – also in den Ländern des Globalen Südens, in Lateinamerika und Afrika – ist die westliche Leitlinie einer „werteorientierten Außenpolitik“ in Verruf geraten. Sie steht nach Ansicht der Kritiker vielmehr für westliche Hybris, für einen fundamentalistischen Kulturimperialismus sowie für post-kolonialistische Verhaltensmuster im Umgang mit Ländern der nichtwestlichen Welt.

Wo der Westen tatsächlich steht, zeigen die nachfolgenden Fakten, die sich schwer leugnen lassen: Die wirtschaftspolitische Dominanz der USA und der Europäischen Union ist deutlich schwächer als zu Zeiten des Kalten Krieges. Die Rohstoffabhängigkeit des Westens vom Globalen Süden hat dagegen zugenommen. Es ist auch nicht mehr so wie noch vor wenigen Jahren, dass der Wohlstand in der Dritten Welt vom Export westlicher Technologien abhängt. Diese werden ohnehin kaum noch in Europa und Nordamerika produziert. Dafür ist die weitere erfolgreiche Industrialisierung des Westens, inklusive der grünen Energiewende, sehr viel abhängiger von Rohstofflieferungen aus nichtwestlichen Staaten geworden.

Länder wie Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika sind keine „Schwellenländer“ mehr, sondern führende Wirtschaftsnationen mit größerem Wachstum. Sie sind eigenständige Akteure – autonome Pole – im Geflecht der internationalen Beziehungen. Die multipolare Welt ist nicht im Entstehen, sie ist längst da. Und auf dem zentralen Feld der internationalen Sicherheitspolitik bleibt die Europäische Union ohne den „großen Bruder“ USA ohnehin ein Papiertiger.

Globaler Machtverlust
So gut wie gar nicht beleuchtet werden die Folgen der kaum noch aufzuhaltenden Masseneinwanderung von Menschen aus den demographisch explodierenden Ländern Afrikas und dem Orient. Diese dürften insbesondere Europa in den nächsten Jahren deutlich schwächen. Anstatt durch die versprochenen Facharbeiter neue Impulse zu entfachen, dürfte die Einwanderung in die Sozialsysteme zu einer Zunahme politischer und sozialer Unruhen führen, die zu einer ernst zu nehmenden Herausforderung für den abendländischen Kontinent werden. Die daraus resultierende innenpolitische Instabilität dürfte zu häufigeren Regierungswechseln führen, die wiederum die Instabilität verstärken. Nicht auszuschließen ist eine Identitätskrise der Europäischen Union.

Vor allem jenseits seines Kerngebietes Europa und Nordamerika geht der Westen einem rapiden Machtverlust entgegen. Die NATO wird kaum das einzige kampffähige globale Militärbündnis bleiben. Je mehr sich der Ukrainekonflikt mit Russland hinzieht und je offener sich zudem der Taiwan-Konflikt zuspitzt, umso wahrscheinlicher wird ein chinesisch-russisches Militärbündnis – in welcher organisatorischen Form auch immer – gegen den Westen.

Der Iran mag Israel heute militärisch noch unterlegen sein, doch läuft Teherans fortschreitende Integration in militärische Kooperationen mit Russland und China längst auf eine schrittweise neue Blockbildung in Eurasien hinaus, die letztendlich gegen den Westen gerichtet sein wird.

Rächen für den Westen dürfte sich auch die lange sträfliche Vernachlässigung des Globalen Südens. Dieser wurde vor allem in Europa viel zu lange als politisch uneins und als wirtschaftliches Anhängsel der alten Kolonialmächte empfunden und entsprechend behandelt. Welch ein Trugschluss! Wenn die BRICS+-Organisation als kommendes Korsett einer multipolaren Welt den Ländern des Südens politisch und wirtschaftlich mehr Vorteile verschaffen sollte als der Westen, dürften sich vor allem die Länder des asiatischen Kontinents nicht mehr nach Europa orientieren.

Eine bislang feste Burg westlicher Dominanz war die Stellung des US-Dollars als globale Leitwährung. Dass sich die Weltwirtschaft vom Dollar als Zahlungsmittel abwenden könnte, galt lange Zeit als Utopie. Doch die BRICS+-Staaten scheinen fest entschlossen, die „Dollarisierung“ des Welthandels zu beenden. Sicherlich geschieht dies nicht von heute auf morgen, doch weicht die gesunde Konkurrenz innerhalb der Weltwirtschaft allmählich einer gefährlichen Gegnerschaft. Die USA beginnen ihre einst in Bretton Woods erworbenen Instrumente für einen gerechten und gleichwertigen Welthandel zu eigennützigen Folterwerkzeugen gegen unbotmäßige Konkurrenten und geopolitische Gegner umzuwandeln. Mit Sanktionen gegen „Schurkenstaaten“ wie Nordkorea oder den Iran konnte sich die Weltwirtschaft noch arrangieren. Doch jetzt, wo die USA die gesamte Fülle ihrer finanztechnischen Macht ausspielen, um Russland und China praktisch aus der Weltwirtschaft zu isolieren, wird die Globalisierung, so wie wir sie kennen, in Frage gestellt.

Vergessene Stärken
Dass die größten Konflikte dieser Welt nur über eine Zusammenarbeit der führenden Mächte zu lösen wären, ist eine Binsenwahrheit. Nach alter Manier allein wird der Westen die Probleme der Welt nicht lösen können, auch wenn ein Triumph in einzelnen Konflikten wie im Nahen Osten oder in Südostasien noch immer als realistisch erscheint. Dass indes eine israelische Gewaltlösung den Nahostkonflikt befrieden kann, glaubt selbst im Westen niemand. Ein israelischer Krieg gegen den Iran dürfte Nachbarstaaten wie Syrien, den Libanon und Jemen in den Konflikt hineinziehen. Selbst wenn im nächsten Jahr der pro-israelische Donald Trump die USA anführen sollte – an einer Zwei-Staaten-Lösung für Israel und Palästina kommt niemand mehr vorbei, trotz aller daraus folgenden sicherheitspolitischen Gefahren für Israel.

Dass die neue Weltmacht China auf ihren erklärten Anspruch auf Wiedervereinigung mit Taiwan verzichtet und ihre relative Ohnmacht gegenüber amerikanischen Manövern im Südchinesischen Meer noch lange akzeptiert, ist mehr als fraglich. Pekings erklärtes Ziel ist es, die Handelsrouten zwischen China und Europa – sei es auf dem Land oder auf dem Meer – vollständig zu kontrollieren.

Auch dass Russland ein Abdriften der Ukraine in die NATO und EU akzeptiert, ist unrealistisch. Moskaus erklärtes strategisches Ziel ist die Großmachtwerdung um jeden Preis, auch um den Preis des Krieges mit dem Westen. Daran wird auch ein Machtwechsel im Kreml, den sich so manche Analysten in der EU und in den USA erhoffen, wenig ändern.

Und so stehen westliche Strategen vor einer immensen Herausforderung. Europa kann sich den USA im Ringen mit der multipolaren Weltordnung, in der „Diktatoren und Autokraten“ die Welt mitbeherrschen, anschließen. Moralisch würde dies den Staaten des „alten Kontinents“ gut zu Gesicht stehen. Realistischerweise wird jedoch eine solche Politik die Militarisierung Europas erfordern, für die jedoch schlicht das Geld fehlt – es sei denn, die Kriegsfinanzierung geschieht auf Kosten des eigenen Wohlstands.

Pragmatismus statt Ideologie
Eine alternative Variante wäre, die Welt weniger ideologisch, sondern verstärkt realpolitisch zu begreifen. Eigene Werte – dazu gehört die okzidentale Freiheitskultur – müssen in der multipolaren Welt als fester Bestandteil westlicher Interessen natürlich geschützt bleiben. Zugleich müssen aber auch die Interessen anderer Weltmächte Berücksichtigung finden, selbst wenn diese westlichen Vorstellungen konträr laufen. Europas Anteil an der Weltbevölkerung beträgt nur noch sieben Prozent, vor hundert Jahren waren es noch 25 Prozent. Dabei hat sich die Bevölkerung Europas quantitativ kaum verändert: Sowohl damals als auch heute leben rund 500 Millionen Menschen auf dem alten Kontinent. Doch die Welt um Europa herum ist eine andere.

In den 1990er Jahren hatte der Westen nach dem Triumph im Kalten Krieg die einzigartige historische Chance, aus der Weltgemeinschaft ein friedliches „Global village“ zu machen. Die Welt war damals sogar bereit, sich zur Demokratie zu bekennen – aber nicht unter oberlehrerhafter Aufsicht.

Heute ist die Welt so unruhig wie viele Jahre zuvor nicht mehr. Das vorderste Interesse des Westens darin sollte es sein, alles daran zu setzen, einen zerstörerischen Weltkrieg mit allen Mitteln zu verhindern. Gegenseitige Abschreckung gehört seit Menschengedenken zum Werkzeugkasten internationaler Politik. Aber sie muss einhergehen mit einer funktionsfähigen Entspannungs- und Abrüstungspolitik. Es existieren zwei Nuklearmächte auf der Welt, die unseren Planeten innerhalb weniger Minuten zerstören können. Mit ihnen kann man letztendlich nur verhandeln. Dem Westen sei hier angeraten, seinen diplomatischen Werkzeugkasten von vor fünfzig Jahren wieder in Betrieb zu nehmen. Der Helsinki-KSZE-Friedensprozess von 1975 hatte seine Gegner, doch schließlich läutete er eine Phase ein, in der die menschliche Vernunft obsiegte.

Dr. Alexander Rahr ist Vorsitzender der Eurasien-Gesellschaft. Er war Berater für diverse deutsche und russische Firmen und ist Autor mehrerer Bücher über Russland, u.a. einer Biographie über Wladimir Putin. www.eurasien-gesellschaft.org


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Kommentare

Alex Lund am 13.10.24, 09:13 Uhr

Das einzige was zählt, ist die Anzahl der Kinder.
Wir Europäer haben eine Fortpflanzungsrate von 1,05-1,4. Benötigt werden aber 2,1 - nur um die Bevölkerungsanzahl zu halten.
Wir werden untergehen. Und Afrika wird siegen.

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