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Manche Experten malen ein wahres Horrorszenario. Andere geben sich verhalten optimistisch – eine Bestandsaufnahme
Das eben abgelaufene Jahr 2022 war für Aktionäre ein ziemlicher Höllenritt, auch wenn sich die in den ersten neun Monaten stur abwärts laufenden Kurse seit Oktober wieder ein wenig gefangen hatten. Wer jedoch die Jahresendstände mit den Schlusskursen von 2021 vergleicht, dem durften die Tränen kommen.
Was den gewöhnlichen Kleinaktionär besonders irritieren mochte, war das bizarre Reiz-Reaktions-Schema, das die Wertpapiermärkte zuletzt an den Tag legten. Reagierten Aktienwerte zu allen Zeiten eigentlich mit steigenden Kursen auf positive Wirtschaftsmeldungen, beispielsweise gute Arbeitsmarktdaten oder satte Gewinne bei Unternehmen, so war es zuletzt genau entgegengesetzt: Jede frohe Botschaft aus der Realwirtschaft jagte ein Schaudern übers Börsenparkett und ließ die Kurse purzeln.
Diese verdrehte Welt ist ein Nachhall auf die historisch einmalige Null- und Niedrigzinspolitik der Notenbanken, die seit der großen Finanzkrise von 2008 den Rahmen für die Finanzmärkte gesetzt hat. Die Nullzinspolitik sorgte dafür, dass die Attraktivität von Zinswerten immer weiter nachließ, weshalb das Geld in Aktien, Immobilien, Edelmetalle und andere Vermögenswerte floss. Nun hat der Trend aber gedreht, die Zinsen steigen wieder und Zinspapiere gewinnen entsprechend an Anziehungskraft.
Höhere Zinsen aber verteuern Kredite und drücken auch auf den Konsum, da das Ansparen von Geld wieder verheißungsvoller wird. Das wiederum bremst die Wirtschaft. Heißt umgekehrt: Je besser die Wirtschaftsdaten, desto mehr Spielraum haben die Notenbanken für weitere Zinserhöhungen, ohne dass sie Gefahr laufen, eine schwere Wirtschaftskrise auszulösen. So ziehen die höheren Zinsen Geld aus dem Aktienmarkt ab, daher reagieren die Märkte so allergisch auf gute Nachrichten aus der Wirtschaft, die sie früher eher euphorisch gestimmt hätten.
Analysten rechnen indes damit, dass die längste Strecke auf dem Weg zum Zinshöhepunkt bereits hinter uns liegt. Die weltweit bedeutendste Notenbank, die US-Fed, erhöht bereits behutsamer als noch vor Monaten. Also sollte das Schlimmste eigentlich hinter den gebeutelten Aktienbesitzern liegen. Oder nicht?
Die Experten der großen Fondsgesellschaften sehen das ganz anders, allen voran die von BlackRock, dem weltweit größten Vermögensverwalter mit einem Gesamtvolumen von rund zehn Billionen US-Dollar. BlackRock sagt für 2023 die „schmerzhafteste Rezession der Geschichte“ voraus und rät damit, sein Geld vorerst lieber auf dem Konto zu lassen, statt es in Aktienpapiere, für Kleinanleger vorzugsweise breitgestreute Fonds, zu investieren. Zahllose weitere Fondsmanager blasen ins selbe Horn.
Doch Gabor Steingart, der frühere Chefredakteur und dann Herausgeber des „Handelsblatts“, warnt vor solchen Horrorprognosen. Im „Focus“ weist er darauf hin, dass solche Vorhersagen immer auch interessengeleitet seien. Die Fondsmanager sagen demnach dramatische Kurseinbrüche voraus, weil sie daran verdienen wollen.
Prognosen aus Eigeninteresse
Wie das? Die Fondsvertreter sagen selbst, dass sie sich „taktisch“ in großem Stil aus Aktien zurückgezogen hätten und auf bessere Kaufgelegenheiten warteten. Das heißt, sie sitzen auf riesigen Bargeldbeständen, laut Steingart den höchsten seit mehr als 20 Jahren, und möchten nun die Kurse sinken sehen, damit sie dann für ihr Geld möglichst günstig am Aktienmarkt einkaufen können. Ja, natürlich seien die Fondsmanager kompetent, weiß auch Steingart, aber ihr Geschäftsmodell sei es eben, „ihre Kompetenz in den Dienst ihrer Interessen“ zu stellen.
Zu dieser Einschätzung des renommierten Wirtschaftsjournalisten passt, dass sich viele Fondsmanager für das zweite Halbjahr 2023 schon wieder viel optimistischer geben. Zu dem Zeitpunkt haben sie, so ihr mutmaßliches Kalkül, ihr vieles Bargeld schon wieder in den Aktienmarkt gepumpt. Nun sollen die übrigen Anleger folgen und die Kurse der eben erworbenen Papiere durch ihre Zukäufe nach oben schieben.
Steingart ist für das gerade angelaufene Börsenjahr 2023 weit weniger pessimistisch. Die Winterrezession sei milder ausgefallen als befürchtet, die Inflation flache sich ab, die Stimmung bei den Unternehmen helle sich auf und die großen politischen Spannungen (wie der Ukrainekrieg) stagnierten. Die zurzeit abflauende Inflation beispielsweise verringere den Druck auf die Notenbanken, die Zinsen immer noch weiter nach oben zu treiben, sodass die Phase der Zinssteigerungen vermutlich im Laufe des Jahres ende.
Unvorhersehbare Großkatastrophen wie einen Atomkrieg oder eine militärische Eskalation um Taiwan kann natürlich kein noch so versierter Experte seriös einpreisen. So wenig, wie der Ukrainekrieg in den Prognosen für 2022 vor einem Jahr eine Rolle spielen konnte.
Vorsicht erscheint indes beim Sonderfall Deutschland geboten. Die (insbesondere im Vergleich mit internationalen Konkurrenzstandorten) enorm hohen Energiekosten und eine erratische, ja linksideologische und damit wenig marktwirtschaftsfreundliche Politik könnten einigen Schlüsselbranchen (und damit ihren Aktienwerten) weiter arg zusetzen. Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaftsleistung ist hierzulande bereits 2015 bis 2021 von einem guten Viertel auf knapp ein Fünftel abgesackt. Der Trend dürfte sich fortsetzen. Eine so brisante Kennzahl sollten Anleger im Auge behalten.