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Afrika

Geschichte des Schwarzen Kontinents

Howard W. French erklärt, welche Rolle afrikanische Staaten für die Entstehung der Moderne hatten

Dirk Klose
16.09.2023

Der afro-amerikanische Historiker Howard W. French nennt sein Afrika-Buch im Untertitel selbstbewusst „eine Globalgeschichte“. Das mag etwas hoch gegriffen sein, aber tatsächlich wird die Geschichte zwischen den Anrainerstaaten beiderseits des Atlantiks zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert derart aufrüttelnd und packend mit derart vielen Einzelheiten zu historischen Abläufen erzählt, dass dem am Verlauf der europäischen Geschichte gewohnten Leser stellenweise regelrechte Aha-Erlebnisse bevorstehen.

In der europäischen Geschichtsschreibung wird mit der Renaissance um die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert der Beginn der Neuzeit datiert. Zur gleichen Zeit aber, noch bevor Kolumbus Amerika entdeckte, hatten beispielsweise die Portugiesen intensive Handelskontakte mit westafrikanischen Gesellschaften geknüpft. Zu einer Zeit, als mit Luthers Reformation in Mitteleuropa langandauernde Ordnungen brüchig wurden, hatten Portugiesen und bald auch Spanier feste Wirtschaftsbeziehungen zwischen Afrika und ihren neuen Besitzungen in Mittel- und Südamerika etabliert. Und zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges war – und das ist dann freilich der düstere Aspekt der ganzen Darstellung – ein florierender Sklavenhandel für alle Europäer eine Selbstverständlichkeit.

Der Autor war lange Zeit Auslandskorrespondent für die „New York Times“ und hat dabei viele Länder in Afrika und Asien kennengelernt. Seit mehreren Jahren ist er Professor of Journalism an der New Yorker Columbia University. Ebenso wie seine Frau hat er Vorfahren, die noch die Sklavenzeit in den USA erlebt hatten. So ist sein Buch auch mit großer Sensibilität und Anteilnahme für das Leiden der aus Afrika verschleppten, in Silberminen, auf Zuckerrohr- und Baumwollplantagen zu extremer Arbeit gezwungenen Menschen geschrieben.

Lange Zeit terra incognita
Lange waren die Länder südlich des Mittelmeeres für die Europäer eine terra incognita. Vereinzelte Reisen mutiger Europäer hatte es zwar immer mal gegeben, doch ein regelrechter Entdeckertrieb erwachte erst Anfang des 15. Jahrhunderts, wofür bei Portugal dessen legendärer Heinrich der Seefahrer steht. Die Portugiesen tasteten regelrecht die afrikanische Westküste ab, und als sie bei den dortigen Bewohnern überraschende Goldfunde ausmachten, gab es kein Halten mehr. Als sich auch Spanien einmischte, kam es bereits 1478 zum ersten innereuropäischen Kolonialkrieg, an dessen Ende durch päpstlichem Bescheid Portugal alle Gebiete südlich der Sahara erhielt, Spanien die begehrten Kanaren.

Als Symbol für den frühen europäischen Anspruch auf Afrika gilt dem Autor das schon 1481 von den Portugiesen errichtete Fort Elmina westlich der ghanaischen Hauptstadt Accra, das noch heute als Elmina Castle besichtigt werden kann. Für die Portugiesen war es jahrzehntelang zentraler Ort des Gold- und Sklavenhandels. Bis ins 18. Jahrhundert gab es mehr als 60 europäische Außenposten, sogar Preußen unter dem Großen Kurfürsten mischte kurzzeitig mit. Alle Europäer prägte die Vorstellung, die primitiven Völker Afrikas und Amerikas mit europäischen Vorstellungen und Werten „beglücken“ zu müssen.

Es sind fast schon abenteuerliche Geschichten, die der Autor erzählt. Der Goldrausch der Europäer wurde schon bald abgelöst durch den noch lohnenderen Handel mit Menschen, also mit Sklaven aus innerafrikanischen Gebieten, die den Europäern massenweise zugeführt wurden. Bis zum frühen 19. Jahrhundert sollen etwa zwölf Millionen Afrikaner als Arbeitssklaven verschleppt worden sein. Deren Lebensdauer betrug danach in der Regel nicht mehr als sieben Jahre.

Statt Goldrausch Sklavenhandel
Es waren die hier entwickelten frühkapitalistischen Wirtschaftsformen, in denen der Autor, obwohl sie Sklavenarbeit zur Voraussetzung hatten, den Beginn der modernen Welt sieht. Bald schon entdeckte man, dass sogar noch lohnender als Gold der intensive Anbau von Zuckerrohr war. Auf der portugiesischen Insel Sao Tomé wurde erstmals Zucker in großem Stil produziert. Bald folgten die fruchtbaren Gebiete im brasilianischen Pernambuco, im 18. Jahrhundert – von den Briten ins Extrem getrieben – die Karibikinsel Barbados und die von Frankreich okkupierte Insel Saint Domingue, das heutige Haiti.

Haiti hat sich mit einem Sklavenaufstand von 1791 bis 1804 von der europäischen Herrschaft befreit. Der Autor schildert das für ganz Amerika epochale Ereignis mit spürbarer Sympathie für die mutigen Sklaven und ihrem legendären Anführer Touissant Louverture. Selbst Napoleon musste am Ende den Inselstaat aufgeben. Andere Aufstände etwa auf Sao Tomé oder im US-Bundesstaat Virginia wurden blutig niedergeschlagen. Zuletzt fragt der Autor, was in Musik (Blues) und Tanz das „Geschenk des Schwarzen Mannes“ an die Welt gewesen sei.

Viele Fragen aufgeworfen
Viele Fragen bleiben am Ende, etwa warum sich die Afrikaner so wenig dem Sklavenhandel widersetzt haben, ja, warum überhaupt die teilweise doch starken afrikanischen Gemeinschaften so rasch vor dem europäischen Ansturm kapitulierten, auch, ob die Moderne nicht mehr durch innereuropäische Entwicklungen in Technik und Wissenschaft vorangetrieben wurde oder die großen Zivilisationen Indiens und Chinas für die Weltgeschichte relevanter sind. Aber das sind keine kritischen, sondern vom Buch selbst aufgeworfene Fragen. Solche Reaktionen beim Leser herauszufordern, zeichnet letztlich ein gutes Buch aus. Hier sei es, so French, der Versuch, „Afrika endlich den Platz in der ersten Reihe einzuräumen, der dem Kontinent bei der Entstehung unserer Moderne gebührt“.

Howard W. French: „Afrika und die Entstehung der modernen Welt. Eine Globalgeschichte“, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2023, gebunden, 510 Seiten, 35 Euro


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