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Zeitgeschichte

Geschichte zweier deutscher Staaten

Katja Hoyer beschreibt ein differenziertes Bild von den Lebensverhältnissen „Diesseits der Mauer“

Karlheinz Lau
19.08.2023

Der letzte Satz des Buches „Diesseits der Mauer“ drückt die Hoffnung aus: „Es ist an der Zeit, die Deutsche Demokratische Republik als das zu verstehen, was sie ist – ein Teil der deutschen Geschichte jenseits der Mauer.“

Diese Zielsetzung versucht Katja Hoyer begründend zu erreichen. Die Autorin, 1985 in Guben geboren, ging nach dem Geschichtsstudium in Jena nach England, wo sie heute am King's College in London als Geschichtsforscherin tätig ist.

In zehn Kapiteln berichtet sie über die einzelnen Abschnitte der Existenz der DDR vom Anfang 1949 bis zum Ende am 3. Oktober 1990. Das Buch schließt mit einem Epilog zum Thema Einheit. Zur Vorbereitung musste die Autorin eine große Zahl an Gesprächen führen mit Menschen unterschiedlicher Berufstätigkeiten und Herkunft in allen Teilen der DDR, aber auch mit politisch Verantwortlichen, nicht mit Willi Stoph oder Erich Honecker oder Erich Mielke, sondern mit Egon Krenz und Hans Modrow. Des Weiteren musste sie Archive, offizielle und nichtoffizielle Protokolle, Briefe und andere Schriftstücke auswerten. Allein die 22 Seiten Quellennachweise zeigen das Ausmaß der vorbereitenden Arbeit.

Die Art der Darstellung spielt einmal auf der Ebene des Otto Normalverbrauchers verschiedener Berufszweige, aber auch führender Funktionäre wie Walter Ulbricht oder Mielke, sowie auf der Ebene der gestaltenden Politik, also Partei- und Staatsführung. Ein Beispiel: Anklam, Ende Juni 1982. Erika Krüger kehrte mit großer Begeisterung von den Arbeiterfestspielen der DDR in Neubrandenburg zurück. Anschließend wird ihr Alltag in der Heimatstadt in einer Möbelfabrik geschildert. Zusammen mit dem Ehemann, ebenfalls in der Möbelfabrik tätig, führten sie ein finanziell auskömmliches und zufriedenes Leben mit ihren zwei Söhnen in ihrer neuen Wohnung und genossen einen relativen materiellen Komfort. Die Darstellung wird dann auf der Grundlage des Lebens dieser Familie, die in ihrer Realität glücklich in der DDR lebte, weitergeführt zu allgemeinen Aussagen über die Konsumpolitik, die Versorgung, die Engpässe, den Einfluss des Westens, die Intershops, wo nur mit „Westgeld“ gezahlt werden konnte. Aber auch die Befürchtungen der Staatssicherheit um Verluste der sozialistischen Gesinnung werden angesprochen.

An diesen und anderen Beispielen wird deutlich, dass viele Menschen in der DDR zufrieden mit ihrem Leben im real existierenden Sozialismus waren, aber nicht unkritisch ihre Realität beobachteten. Die Liste der Beschwerden war beachtlich: Wohnungsnot, Wartezeiten auf Waren und Dienstleistungen, fehlende Ersatzteile in Industrie und Landwirtschaft, Mangel an Konsumgütern, schlechte Straßen und Gehwege, zunehmende Sorgen um die Umwelt, etwa in den Braunkohlerevieren. Aus diesen Sorgen entwickelten sich bei immer mehr normalen Bürgern das Gefühl einer notwendigen Veränderung und die entsprechenden Forderungen an die gestaltende Politik. Vornehmlich wurde dies auch durch die Kirchen unterstützt. Ein Schlüsseldatum waren ohne Zweifel die Kommunalwahlen am 7. Mai 1989. Hier setzte eine Stimmung bei vielen Bürgern ein, die nicht mehr zurückzudrehen war.

Viele überraschende Erkenntnisse
Hoyer thematisiert die ihrer Meinung nach wichtigsten innen- und außenpolitischen Ereignisse der DDR in ihren Wirkungen auf die Menschen und in den Reaktionen durch die Partei- und Staatsführung, aber auch mit Seitenblick auf die Verhältnisse in der Bundesrepublik. Das Buch bringt viele bisher nicht bekannte Informationen und überraschende Erkenntnisse.

Der Passus „Sternberg, Westpolen, Februar 1945“ zeigt nicht nur die Einstellung der Autorin zur polnischen Westgrenze, die damals überhaupt noch nicht anerkannt wurde; es wird aber auch auf das schwierige Problem der Vertriebenen hingewiesen. Die damalige sowjetische Besatzungszone war nicht nur Transitland Richtung Westen, sondern auch Aufnahmeregion. Eine Überraschung ist die Tatsache, dass Ulbricht bis zu seiner Entmachtung offensichtlich an der Vision einer Annäherung an die Bundesrepublik festgehalten hatte, sein Nachfolger Honecker hatte dagegen die Vorstellung eines eigenen sozialistischen deutschen Staates, der aber seine Außenpolitik ohne Bevormundung durch Moskau selbst bestimmt. Das zeigen die vertraulichen Kontakte zwischen Honecker und Kohl seit 1983, die ihren Höhepunkt im offiziellen Besuch Honeckers in Bonn 1987 fanden.

Das Buch bringt nicht nur eine Fülle von Informationen, sondern es zeichnet auch ein sehr differenziertes Bild der Lebensgewohnheiten und Einstellungen der Menschen in einem Umfeld, das sich völlig von den Lebensverhältnissen der Deutschen in der Bundesrepublik unterschied. Es werden zwei Linien gezeichnet, in welche die Bürger in Ost und in West 1945 ohne ihr Zutun hineingerieten. Die Ergebnisse waren 1990 die DDR und die Bundesrepublik Deutschland, beide Teile der deutschen Nachkriegsgeschichte, die mit der Teilwiedervereinigung wieder eine deutsche Geschichte wird. Aber sie muss sich entwickeln, es ist ein langwieriger Prozess, der auch diffamierende Begriffe wie „Jammerossis“ und „Besserwessis“ überwinden muss. Ein Kommentar kennzeichnet das Buch Katja Hoyers mit den Worten „Es war nicht alles gut in der DDR“, dem ist zuzustimmen. Es wird dringend zur Lektüre empfohlen, vornehmlich auch für die Bundesbürger, die bis heute die neuen Bundesländer noch nicht betreten haben.

Katja Hoyer: „Diesseits der Mauer. Eine neue Geschichte der DDR 1949-1990“, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2023 , gebunden, 576 Seiten, 28 Euro


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