29.10.2025

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Wolfgang Freyberg (bis 2022 Leiter des Kulturzentrums in Ellingen) während er zum Thema: „Eine Stadt vergeht eine Stadt entsteht. Die gewaltsame Transformation von Königsberg zu Kaliningrad“ referierte
Bild: GalenskiWolfgang Freyberg (bis 2022 Leiter des Kulturzentrums in Ellingen) während er zum Thema: „Eine Stadt vergeht eine Stadt entsteht. Die gewaltsame Transformation von Königsberg zu Kaliningrad“ referierte

Landsmannschaft Ostpreußen

Geschichtsseminar in Helmstedt

Stationen Ostpreußischer Geschichte Teil 10 - 19.-21. September 2025

Andreas Galenski
29.10.2025

Ostpreußen ist als historischer und geografischer Begriff in der deutschen Bevölkerung bekannt, aber die Tiefe des Wissens variiert stark und hängt von persönlichen, regionalen und historischen Interessen ab. Faktoren sind: Persönliche Herkunft, familiäre Verbindung zu Ostpreußen, Interesse an Geschichte. Menschen aus den historischen deutschen Ostgebieten und deren Nachkommen kennen Ostpreußen tendenziell besser als in Westdeutschland Geborene. Neben dieser regionalen Zugehörigkeit spielt auch das Alter eine zentrale Rolle.

In Schulen wird Ostpreußen zumeist im Zusammenhang mit der deutschen Geschichte während des Zweiten Weltkriegs thematisiert. Stichworte sind: Aufmarschgebiet für den Russlandfeldzug, Führerhauptquartier Wolfsschanze, Stauffenberg-Attentat. Flucht und Vertreibung und der Verlust der Ostgebiete werden häufig als gerechte Kriegsfolge dargestellt und nehmen in aller Regel keinen großen Raum im Unterrichtskanon ein.

Einen wichtigen Beitrag für die Erinnerungskultur leisten Heimatvertriebene und Spätaussiedler. Die Landsmannschaft Ostpreußen knüpft mit ihren Geschichtsseminaren ein festes Band zwischen der Erlebnis- und der Nachgeborenengeneration, zwischen Ostpreußenkennern und denen, die ihr Wissen erweitern wollen. Das zeigte sich erneut beim Geschichtsseminar am letzten Sommerwochenende (19.-21. September) in der Politischen Bildungsstätte Helmstedt. Die Veranstaltung bot den Teilnehmern einen Querschnitt zur Geschichte und Landeskunde Ostpreußens von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart.

Am Anreisetag begann das Seminar mit einer obligatorischen Vorstellungsrunde. Danach präsentierte sich der erste Referent den Zuhörern: Dr. Christian Hardinghaus. Der Historiker, Schriftsteller, Lektor und freier Journalist deckt die Genres Sachbücher zum Zweiten Weltkrieg, Geschichtsbücher und historische Romane ab. Die nächtliche Stille sei sein wertvollster Verbündeter, verriet der Autor, dessen Werke bei Verlagen wie Piper und Europa Verlag erscheinen. Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen entstand auch sein neuestes Buch „Die Buchhändlerin von Königsberg“, ein historischer Roman über den Zweiten Weltkrieg und die Kraft der Bücher. Frieda ist mit Leib und Seele Buchhändlerin. Der Krieg hat ihr geliebtes Königsberg bisher kaum berührt, doch die Spannungen des Kriegsalltags spüren die Menschen deutlich. Bücher werden verboten; in der Buchhandlung, dem Ort freier Gedanken, trauen sich die Leute nicht mehr, offen zu sprechen. Hardinghaus sagt zu seinem Wirken: „Geschichte ist mehr als eine Ansammlung von Daten und Fakten. Sie ist die Summe unzähliger menschlicher Schicksale. Diese Geschichten zu erzählen und zu bewahren, ist meine Leidenschaft.“ In der anschließenden Fragerunde zeigten sich die Teilnehmer beeindruckt von der Detailgenauigkeit bei der Beschreibung der Königsberger Straßenzüge und des Hauses der Bücher. Der Erfolgsautor erläuterte gern seine Recherchemethoden und wie Friedas Geschichte in historische wie reale Bezüge eingebunden wurde.

Den Sonnabend eröffnete Prof. Dr. Matthias Asche mit dem Thema „Das Herzogtum Preußen – ein Musterland der Reformation im 16. Jahrhundert.“ Der Professor für Allgemeine Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Potsdam schilderte den Untergang des Deutschordensstaates und die Umwandlung in ein weltliches Herzogtum. Dabei wurde der bisherige Hochmeister Albrecht Landesherr und erhielt neben dem Titel des Herzogs von Preußen auch den Status eines Senators von Polen. Aus polnischer Sicht gehörte mit dem Vertrag und der Huldigung von Krakau vom 10. April 1525 das alte Siedlungsgebiet der Preußen endlich zu Polen. Die deutsche Lesart ist indes eine andere. Demgegenüber steht, dass sowohl Kaiser Karl V. als auch der Papst den Vertrag von Krakau und damit die Umwandlung des geistlichen Ordensstaates in ein weltliches Herzogtum nicht anerkannten; der Kaiser verhängte Reichsacht über Albrecht, die jedoch ohne Auswirkungen auf ihn blieb. Auch wenn das Herzogtum den König von Polen als Lehnsherrn anerkannte, blieb es im Alltag weitgehend unabhängig. Eine eigenständige Verwaltungsstruktur und die Reformation kennzeichneten das Herzogtum Preußen als ersten protestantischen Staat der Welt. Es ist interessant, dass die Transformation zum evangelischen Glauben auch einer Überwachung und Steuerung unterlag. So wurden ehemals katholische Bischöfe und Ordensburgen in die neue Struktur eingebunden. Die lateinische Messe wurde durch die deutschsprachige ersetzt. Gleichwohl konnten sich Beichte und die katholischen Feiertage noch lange halten, ebenso wie Wallfahrten. In diese Zeit fällt auch die Gründung der Universität Königsberg. Der Zweck dieser östlichsten protestantischen Universität Europas war zuvorderst die Ausbildung des Pfarrernachwuchses. Die Staatsgründung aus dem Nichts durch Herzog Albrecht bezeichnete der Referent als große Leistung, da es für diesen Schritt keine Vorbilder gab. Was er hatte, war allein der Landschaftsbegriff „Preußen“, den er aus dem Namen der baltischen Urbevölkerung ableitete und zum Namen seines Staates machte.

Dr. Eike Eckert ist beim Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg für die Bereiche Deutschbaltische Abteilung und Flucht und Vertreibung verantwortlich. Sein Vortragsthema war: „Vor 80 Jahren – Die Flucht über das zugefrorene Frische Haff.“ Doch bevor er sich seines eigentlichen Themas widmete, ging der Museumsfachmann und Historiker auf die Vorgeschichte ein. So galt Ostpreußen lange als Reichsluftschutzkeller. Über 200 000 Personen, meist Frauen und Kinder, wurden wegen der Bombenangriffe der Alliierten aus Großstädten wie Hamburg oder Berlin nach Ostpreußen gebracht, hinzu kamen Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene. Die unrühmliche Rolle von Erich Koch, seit 1928 Gauleiter von Ostpreußen, kam ebenso zur Sprache wie die Bombardierung von Königsberg im August 1944 durch die Briten und das Massaker russischer Soldaten an deutschen Zivilisten in Nemmersdorf im Oktober 1944. Kochs Fluchtverbot und zu spät eingeleitete Evakuierungsmaßnahmen sowie der schnelle Vormarsch der Russen trafen Anfang 1945 aufeinander. Ab dem 22. Januar gab es keine Zugverbindungen aus Ostpreußen hinaus. Aus Angst vor den Übergriffen durch die Rote Armee nahmen die Menschen den einzigen noch möglichen Weg über das zugefrorene Frische Haff. Menschenmengen überquerten zu Fuß und mit Pferdewagen das Haffeis auf vier Eisstraßen. Diese markierten und mit Auf- und Abfahrten ausgestatteten Routen wurden von der Wehrmacht angelegt und waren zugleich militärische Nachschub- und Rückzugswege. Die Flüchtlinge befuhren die vier Eisstraßen in drei- und vierreihigen Kolonnen. Unterwegs eingebrochene Fuhrwerke konnten nicht geborgen werden. Hinzu kamen russischer Artilleriebeschuss und die ständige Angst vor Tieffliegern. Auf dem Landweg sollte es dann in die Häfen von Danzig oder Pillau gehen, um von da aus per Schiff in den Westen zu gelangen. Als authentische Quellen über Fluchtwege und das Schicksal einzelner Ortschaften nannte der Referent die von den ostpreußischen Kreisgemeinschaften herausgegebenen Heimatbriefe.

Nach einer kulinarischen Stärkung und einem Spaziergang durch den spätsommerlichen Lappwald wurde das Programm mit einem Vortrag von Carsten Stein über „Traumata durch Flucht und Vertreibung und die Folgen für die nächste Generation“ fortgesetzt. Der studierte Theologe arbeitet hauptamtlich als Traumafachberater für den Verein Tikwa e.V. in Herrnhut. Bereits während seines Studiums hat er sich mit den seelischen Folgen von Flucht und Vertreibung beschäftigt. Eine Thematik, die ihm auch regelmäßig im Rahmen seiner therapeutischen Arbeit begegnet. Es wird angenommen, dass 8 – 10 % der Erlebnisgeneration betroffen ist. Dabei ist jedes Trauma individuell, es gibt psychische, emotionale, verhaltensbezogene und soziale Traumata. Im Krieg sind die meisten Menschen von mehreren Störungen gleichzeitig betroffen. Die nächste Generation erlebte dies durch eine Übertragung von Angst und Unsicherheit, ein Mangel an emotionaler Unterstützung durch die traumatisierten Eltern sowie ein verändertes familiäres Umfeld, das von Verdrängung, Schweigen oder der Suche nach der verlorenen Heimat geprägt war. Dies führte zu psychischen Belastungen, wie der unbewussten Übertragung von Leid, und beeinträchtigte die Identitätsbildung. Transgenerationale Traumatisierungen können trotz allerschwerster Verletzung der Seele geheilt werden. Carsten Stein und sein Team leisten hier vorbildliche Arbeit.

Der nachfolgende Referent Wolfgang Freyberg, bis 2022 Leiter des Kulturzentrums Ostpreußen in Ellingen, war schon häufiger bei den Geschichtsseminaren in Helmstedt zu Gast. Sein Thema lautete „Eine Stadt vergeht eine Stadt entsteht. Die gewaltsame Transformation von Königsberg zu Kaliningrad“. Für die Hauptstadt Ostpreußens nahm der Prozess des Vergehens in den Bombenangriffen vom August 1944 seinen Anfang, gefolgt von den Zerstörungen im Zuge der Endkämpfe ab Januar 1945. Es verblieb eine Stadt in Schutt und Asche mit ca. 110 000 obdachlosen Deutschen. Die Einnahme der Stadt durch die Sowjets am 9. April 1945 markiert den Anfang von Terror und Leid. Bis zum Jahre 1948 war die Zwangsaussiedlung der im Gebiet verbliebenen Deutschen in die Sowjetische Besatzungszone Deutschlands abgeschlossen und somit der Bevölkerungsaustausch vollendet. Schon zuvor wurden Anwerbeaktionen für Neuankömmlinge gestartet. Diese sollten die Kriegsbeute Königsberg, seit dem 4. Juli 1946 offiziell Kaliningrad, mit neuer Kultur, neuer Gesellschaft und neuer Baukunst füllen. Ein Großteil der historischen Bausubstanz war schwer beschädigt oder zerstört, viele Gebäude wurden abgerissen oder renoviert, Neubauten stalinistischer Art entstanden. Obwohl das alte Königsberg in den Jahren 1944/45 unterging, ist Ostpreußens Hauptstadt dennoch in der Erinnerung seiner früheren Bewohner und deren Nachkommen erhalten geblieben. Zur Geschichte der Stadt gibt es unzählige Veröffentlichungen, Filme, Sachbücher oder Bildbände. Doch was bisher fehlte, sind gesprochene Zeitzeugenberichte. Diese Lücke haben Freyberg und seine Mitarbeiter vom Kulturzentrum Ostpreußen mit dem Zeitzeugenprojekt „Königsberg – hören...“ geschlossen. Durch persönlich geführte Interviews mit alten Königsbergern konnten die Lebensverhältnisse in der Pregelmetropole während der 1930 und 1940er Jahre als Tondokument festgehalten werden. Freyberg stellte einige der beeindruckendsten Hörbeispiele vor und erläuterte die biographischen und historischen Hintergründe.

Der Sonntag begann mit einem philosophischen Porträt. Dr. Uwe Rose war schon vor einem Jahr Referent beim Geschichtsseminar. Sein Thema damals wie jetzt „Ein Tag im Leben Immanuel Kants – ein philosophisches Porträt.“ Rose erläuterte Kants Tagesroutine, war allerdings bei seinem ersten Auftritt nur bis zur Mittagspause gekommen. Jetzt folgte die Fortsetzung. Der Tag war wieder Dienstag, der 14. Oktober 1794. Zur Mittagszeit versammelten sich bei Kant stets unterschiedliche Persönlichkeiten aus seinem Freundeskreis und der Königsberger Gesellschaft. Nach Kants Vorstellungen sollte eine Tischgesellschaft drei bis maximal fünf Personen umfassen. Diese hätte auch nicht größer sein dürfen, denn er hatte nur Geschirr und Besteck für sechs Personen. Sein Nachmittagsspaziergang führte ihn zur Festung Friedrichsburg und weiter entlang der Stadtmauer. Dabei streifte er die Wohnquartiere von wohlhabenden Bürgern, Handwerkern und Arbeitern. Auf seinem Spazierweg soll er einen blanken preußischen Groschen an jeden Bettler gegeben haben. Da er dies täglich tat, wuchs die Schar an Bettlern beträchtlich, was ihn zwang, einen anderen Weg einzuschlagen. Auf eine Begleitung hat Kant bei seinen Spaziergängen stets verzichtet, er wollte immer das Tempo selbst bestimmen und keineswegs ins Schwitzen geraten, was nach seinen Vorstellungen sehr ungesund war. Nach dem Spaziergang widmete er sich seiner Korrespondenz, las Zeitungen und Reisebeschreibungen. Um zehn Uhr ging er zu Bett, um sieben Stunden später wieder aufzustehen und den Kreislauf von neuem zu beginnen.

Der letzte Vortrag des Geschichtsseminars wurde von Katja Eichhorn und Rainer-Heribert Proschko dargeboten. Beide sind ehrenamtlich im Ostpreußischen Landesmuseum tätig und befassen sich u.a. mit der Geschichte der Pferdezucht, insbesondere mit der Historie des Hauptgestüts Trakehnen. Daher lautet das Vortragsthema: „Ein Spaziergang durch das Hauptgestüt Trakehnen“. Im Jahr 1732 wurde der Grundstein für das Königliche Gestüt Trakehnen gelegt, das sich in den folgenden Jahrhunderten zu einem der bedeutendsten Gestüte der Welt entwickelte. Die Referenten präsentierten teilweise noch nie veröffentlichte Fotos aus dem Nachlass der Gräfin von Sponeck, Tochter des Landstallmeisters Burchard von Oettingen. Mit seinem Wirken in Trakehnen von 1895 bis 1912 sind das umfangreiche Neubauprogramm und die betriebstechnischen Verbesserungen verbunden, die Trakehnen zu einem Anziehungspunkt für Pferdefreunde aus aller Welt machte. Die Bilderschau zeigte die vielfältigen Gebäude und Einrichtungen des Gestüts. Der Rundgang führte am Gestütslazarett mit vier Krankenzimmern vorbei an den Gestütswärterhäusern mit Deputatställen und Gärten, weiter zur Neuen Schule mit drei Lehrern, zum Gendarmeriegebäude, zur Apotheke und zum Hotel Elch mit 26 Zimmern. Auf dem Neuen Hof lag das Landstallmeisterhaus, das Arbeits-, Wohn- und Besprechungsräume vereinte und auch repräsentativen Zwecken diente. Unweit davon befanden sich das Ober-Veterinärhaus und das Sekretariat des Gestüts, die Gärtnerei, der Schießstand und der Schlosspark – und immer noch kein Pferd in Sicht. Die edlen Trakehner waren im Bereich Schönwiese untergebracht. Dort befanden sich der Hauptbeschälerstall, die Reithalle, Bewegungsringe für den täglichen Auslauf der Tiere im Winter, ein Abfohlstall, ein Absetzstall, die Galoppier- und Rennbahn, die Reiterhalle mit Tribüne sowie weitere Gebäude zum Wohl der Pferde. Die Kriegsverluste waren enorm. Nur 1000 Pferde schafften den Weg in den Westen, darunter 2 Hengste, 28 Stuten und 2 Fohlen aus dem Hauptgestüt Trakehnen. Trotz der schwierigen züchterischen Rahmenbedingungen gehören die Trakehner heute wieder zu den erfolgreichen Pferdesportrassen. Jessica von Bredow-Werndl gewann auf einer Trakehner-Stute Doppelgold in der Dressur bei den Olympischen Spielen 2020 und 2024.

Das offizielle Ende des Geschichtsseminars wurde mit dem Absingen des Ostpreußenliedes eingeläutet. Bevor der Heimweg angetreten wurde, gab es zum Mittagessen Königsberger Klopse.

Das Seminar wurde durch Mittel der Stiftung „Zukunft für Ostpreußen“ gefördert.


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