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Gotland – Kalkstein für Stralsund

Auf der Ostsee-Insel wird „weißes Gold“ geschürft

Peer Schmidt-Walther
29.04.2022

Kaum tritt man in Stralsund aus dem Haus, ist man Gotland schon sehr nahe: beim Schritt über die Türschwelle. Zumindest ist das so im mittelalterlichen Stralsunder Heilgeistkloster 7. Sie nämlich besteht aus hartem gotländischen Kalkstein, der durchsetzt ist mit Millionen von Jahre alten Fossilien.

Auf rund 176 Kilometer Länge und 50 Kilometer Breite ballt sich auf der InOstsee-Insel Erstaunliches zusammen: Naturwunder, Geschichte und Weltkulturerbe, 60.000 Schafe, aber nur 60.200 Menschen. Und das auf einer Fläche, die dreieinhalb Mal so groß wie Berlin und 55-mal so groß wie Stralsund ist. Nicht nur Ingrid und Ingmar Bergman sowie Pippi Langstrumpf verhalfen der Insel zu Ruhm. Auch schon Zeugen einer viel früheren Zeit. Neugierig geworden?

Insel-Geburt und Raukar

Vor rund 430 Millionen Jahren entstand Gotland im Erdaltertum. Damals war es allgemein viel wärmer als heute. Im tropischen Silurmeer lebten viele Kleinlebewesen wie zum Beispiel Korallen. Als sie abstarben, sanken sie auf den Meeresboden. Mit Schlamm, Salz und Algen wurden sie zu einer Sedimentschicht verbacken, die immer höher wuchs und einen gewaltigen Druck erzeugte. Im Laufe der Zeit türmte sich daraus eine mehrere hundert Meter hohe Schicht auf. Als vor rund 10.000 Jahren die bis zu drei Kilometer mächtigen Gletscherpanzer der Eiszeit schmolzen, wurde das Land entlastet und hob sich – sogar heute hält das noch an – bis jetzt 82 Meter hoch, schneller als der Meeresspiegel anstieg.

Diese Zeit, das Silur oder „Gotlandium“, war die Geburtsstunde der Insel Gotland, an der heute die Wellen der Ostsee nagen und gemeinsam mit der Witterung fantastische Formen in den Kalkstein fräsen. Davon zeugen eindrucksvoll die aus den Klappersteinfeldern an der Nordküste Gotlands und Farös aufragenden Riesen-Raukar von Langhammars und Digerhuvud, bizarr von der Natur geformte Kalksteinsäulen mit bis zu 27 Metern Höhe. Sie sind die natürliche Visitenkarte der Insel.

Eintauchen ins Mittelalter

Wenn die Hansa-Destinations-Fähre „Drotten“ seit August 2021 einmal pro Woche Freitag von Rostock kommend am Samstag in den Hafen der 24.330-Einwohner-Inselhauptstadt Visby einläuft, präsentiert sich das von einer 3,6 Kilometer langen meterdicken Stadtmauer aus Kalkstein umschlossene Ensemble zum ersten Mal in seiner ganzen beeindruckenden Geschlossenheit.

Nur ein paar Schritte entfernt vom modernen Terminal am Holmen, das auch häufig im Gotland-Krimi „Der Kommissar und das Meer“ zu sehen ist, taucht man ein ins Mittelalter. Der historische Stadtkern wurde 1995 von der UNESCO als Weltkulturerbe geadelt: weil es „nur noch wenige Orte auf der Welt“ gebe, „in denen Vergangenheit und Gegenwart so harmonisch verwoben“ seien wie in Visby. Augenfällig abzulesen am mittelalterlichen Straßennetz mit seinen schmalen Gassen und Gewölben, den durch Plünderungen und Brände im 13. Jahrhundert entstandenen neun Kalkstein-Kirchenruinen, 27 mächtigen Wehrtürmen, der Holzstadt aus dem 18. Jahrhundert oder den Packhäusern, als Visby ein wichtiges Handelszentrum der Hanse war.

Die dreitürmige Sankt Marienkirche, das Wahrzeichen der Stadt, ließen deutsche Hanse-Kaufleute – ihre Vorgänger waren ab dem 7. Jahrhundert die Wikinger – errichten, so wie auch die Heilgeistkirche, die ebenfalls in Stralsund ihre Entsprechung hat.

Ein Gotland-Schnuppertag führt nach Kappelshamn mit seinen weißen Hügeln, dem „Gold der Insel“. Frachter liegen, von Staubwolken umhüllt, an der Pier und laden Kalkstein, immer mal wieder auch mit dem Ziel Stralsund. Der wurde hier schon im Mittelalter von Bauern in kleinen Meilern – einer steht sogar in Stralsund-Frankenhöhe – gebrannt als Grundlage für die Zementherstellung, die noch heute einen hohen wirtschaftlichen Wert hat. Ein paar steinerne Brennöfen kann man als Industriedenkmäler besichtigen.

Das goldene Kalksteinfundament

So auch in Barläst vor der Insel Asunden gegenüber von Slite, wo derzeit das größte Werk enorme Mengen produziert und weltweit verschifft. Eine Tafel am kleinen historischen Hafen erklärt anschaulich den mühsamen Abbau und Transport der Steine per Hand mit primitiver Brech- und Hebezeug-„Technik“.

Auch die schwierige Verladung auf Segelschiffe, die die Häfen der Hansestädte anliefen, ist ein Thema. Unter den insgesamt 225 war an vorderster Front auch die Hansestadt am Sund. Das verbaute Resultat kann man heute am hohen West-Portal der Stralsunder Marienkirche und an der Einfassung ihres Fundaments bewundern. Die grau-weißen Blöcke stammen sämtlich aus Gotland. Am Langenkanal vor dem griechischen Restaurant erinnern Steinblöcke und Stelen noch daran, was hier einst umgeschlagen wurde. Die Hafeninsel existierte ja noch nicht.

Leider hat die Kalkbrennerei auch zur Teil-Entwaldung Gotlands geführt. Eine savannenähnliche Heidelandschaft mit Wacholderbüschen und Krüppelkiefern breitete sich hier aus. Auch sie hat heute ihren ganz speziellen Reiz.

Eines ist gewiss: Gotland inspiriert. Die nächste einwöchige Reise – bevorzugt in der ruhigen Vor- und Nachsaison – gilt den vielen anderen kulturellen, landschaftlichen und historischen Höhepunkten der größten schwedischen Insel.

 Info www.gotland.com; Fähre: www.destinationgotland.se


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