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Essay

Gottes Häuser in Preußen

René Nehring
27.12.2020

Wenn die Rede von Preußen ist, dann geht es zumeist um die großen Namen und Daten des untergegangenen Hohenzollern-Staates: zum Beispiel um Friedrich den Großen und den Siebenjährigen Krieg oder um Otto v. Bismarck und die Gründung des zweiten deutschen Kaiserreichs. Oder es geht um Metropolen wie Berlin, Breslau, Stettin und Königsberg oder um namhafte Landsitze wie Liebenberg in der Mark, Schlobitten in Ostpreußen, Krockow in Westpreußen und Kreisau in Schlesien.

Nur äußerst selten geht es, wenn die Rede von Preußen ist, um die Kirchen und sonstigen Gotteshäuser in den einstigen preußischen Provinzen. Dabei ist die Geschichte Preußens und seiner Regionen eng mit dem Christentum verbunden. Ganz im Nordosten, im Land hinter der Weichsel, errichtete der Deutsche Orden nach 1231 einen eigenen geistlichen Staat mit einem schwarzen Kreuz auf weißem Grund als Symbol. Beides, die Farben wie das Kreuz, wurden im Laufe der Zeit zu Symbolen für Preußen schlechthin – selbst das von Karl Friedrich Schinkel am Beginn der Befreiungskriege entworfene „Eiserne Kreuz“ geht darauf zurück. In Brandenburg gilt der ab 1165 errichtete Dom auf der Havelinsel in der gleichnamigen Stadt als „Wiege der Mark“. Im Siebenjährigen Kriege sangen die preußischen Truppen nach der siegreichen Schlacht von Leuthen das Kirchenlied „Nun danket alle Gott ...“ – das fortan als „Choral von Leuthen“ nicht nur zu den bedeutendsten geistlichen Liedern zählte, sondern auch zu den inoffiziellen Hymnen Preußens.

Ein geistliches Gedicht auch wurde ab dem späten 18. Jahrhundert zum Symbol der sprichwörtlichen preußischen Tugenden: „Üb' immer Treu' und Redlichkeit / Bis an dein kühles Grab, / Und weiche keinen Finger breit / Von Gottes Wegen ab.“ Gespielt wurde es unter anderem von einem weiteren prägenden Kirchenbau der Monarchie – der Garnisonkirche in Potsdam.

Preußens Staatsreligion

Eine besondere Symbiose zwischen Staat und Geistlichkeit entwickelte sich im frühen 18. Jahrhundert im seit 1680 zu Preußen gehörenden Halle an der Saale. 1698 hatte hier der Theologe August Hermann Francke ein Bildungs- und Missionswerk begründet, die Franckeschen Stiftungen. In regem Austausch mit seinem König Friedrich Wilhelm II. und auf der Basis der Lehren des Berliner Theologen Philipp Jacob Spener prägten Francke und später seine Schüler an der dortigen Universität den Halleschen Pietismus – eine besonders strenge und gottesfürchtige Auslegung der Lutherschen Lehren –, der schon bald zu einer inoffiziellen „preußischen Staatsreligion“ wurde.

Ein weithin sichtbares Zeichen der Rolle der Kirche im preußischen Staat schuf abermals Karl Friedrich Schinkel. 1825 lieferte der „Baumeister Preußens“ im Auftrage Friedrich Wilhelms III. den Entwurf für einen Einheitskirchenbau, der mit seiner schlichten Fassadengestaltung und seinen klassizistischen Rundbogenfenstern architektonisch markant und zugleich kostengünstig zu bauen war. Dem König gefielen das Aussehen und vor allem das Kosten-Nutzen-Verhältnis so gut, dass er den Schinkelschen Entwurf kurze Zeit später in seinem „Normalkirchenerlass“ zum Muster für ganz Preußen erklärte. So zeigen die zahlreichen „Schinkelkirchen“ vom Rheinland bis nach Ostpreußen noch heute die einstige Zugehörigkeit ihres Ortes zum preußischen Gesamtstaat an.

Der König selbst leistete bereits 1817 einen ganz eigenen Beitrag zum Verhältnis von Staat und Kirche, indem er als Inhaber des Landesherrlichen Kirchenregiments und „summus episcopus“ (höchster Bischof) die Vereinigung der lutherischen und der reformierten Glaubensgemeinschaften zu einer „unierten“ Kirche anordnete. Damit wollte der Monarch den innerprotestantischen Konfessionsgegensatz in dem territorialen Flickenteppich des preußischen Staates überwinden. Doch da nach weiteren Gebietserweiterungen die Landeskirchen in Hannover, Hessen und Schleswig-Holstein ihre Eigenständigkeiten behielten, scheiterte der Versuch, eine einheitliche gesamtpreußische Landeskirche zu bilden. Andererseits fügte der König mit der unierten Kirche der protestantischen Kirchenlandschaft eine eigene preußische Variante hinzu.

Dass die religionspolitischen Bemühungen der Hohenzollern keineswegs nur auf die evangelischen Kirchen bezogen waren, zeigen katholische Gotteshäuser wie die Berliner St.-Hedwigs-Kathedrale und der Kölner Dom. Die eine nach den Schlesischen Kriegen als integraler Bestandteil des Forum Fridericianum errichtet, der andere im 19. Jahrhundert unter Friedrich Wilhelm IV. vollendet. Beide Male ging es darum, Signale der Integration und der sprichwörtlich gewordenen religiösen Toleranz zu setzen.

Wie sehr Preußen und das Christentum zusammenhängen, zeigt auch das Evangelische Gesangbuch. Als Lied Nummer 1 steht dort seit langer Zeit „Macht hoch die Tür“ des Königsberger Pfarrers Georg Weissel, das bis heute die Adventszeit einläutet. Von dem Breslauer Jochen Klepper stammt mit „Die Nacht ist vorgedrungen“ ein weiteres populäres Adventslied. Und mit „Ich steh an deiner Krippen hier“ von dem in Berlin ansässigen Paul Gerhardt sowie „O du fröhliche“ von dem Danziger Johannes Daniel Falk stammen zwei der populärsten Weihnachtslieder aus preußischen Landen.

Beispiele wie diese belegen, dass das alte Sprichwort „Was Preußen geworden ist, das ist es unter dem Kreuz geworden“, durchaus seine Berechtigung hatte.

Widerhall in der Literatur

Die besondere Rolle des kirchlichen Lebens im alten Preußen spiegelt sich nicht zuletzt in den Werken seiner Dichter und Denker wider. Ein besonderes Gespür dafür hatte Theodor Fontane, der in seinen Balladen, Erzählungen und Romanen wohl die eingängigsten Schilderungen des alten Preußen überliefert hat. Gleich sein erster Roman „Vor dem Sturm“ etwa beginnt mit der winterlichen Kutschfahrt des jungen Lewin von Vitzewitz an Heiligabend 1812 von der Berliner Klosterstraße zum elterlichen Gut Hohen-Vietz an der Oder. Am nächsten Morgen geht es zum festlichen Weihnachtsgottesdienst mit kräftigem Gemeindegesang und ausgiebiger Predigt von Pfarrer Seidentopf.

Das reale Vorbild für dieses altmärkische Weihnachtsidyll waren Schloss und Kirche von Friedersdorf, einem Stammsitz der Familie v. der Marwitz unweit der Oder. Für Fontane war die schlichte Feldsteinkirche, die um 1700 herum barock überformt wurde, das „Sans pareil“ (das „Ohnegleichen“) unter den preußischen Kirchen. Auch in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ widmete er sich Friedersdorf und beschrieb darin, wie sich die großen Dramen und persönlichen Schicksale der preußischen Geschichte in diesem schlichten Gotteshaus spiegeln.

Besonders berühmt wurden die Worte, die sich Johann Friedrich Adolph v. der Marwitz, „Generalmajor der Cavallerie, Ritter des Verdienstordens, Erbherr auf Friedersdorf seit 15ten Märtz 1755“, auf den ihm gewidmeten Gedenkstein schreiben ließ. Dieser hatte im Siebenjährigen Krieg den Befehl Friedrichs des Großen verweigert, aus Rache für die Plünderung eines preußischen Schlosses durch die Sachsen das sächsische Schloss Hubertusburg zu plündern, da er dies für einen preußischen Offizier für unwürdig erachtete. Stattdessen nahm er seinen Abschied aus dem Heer und zog sich nach Friedersdorf zurück. Sein Bekenntnis „sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen, wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte“ wurde zu einem Inbegriff preußischer Haltung und ihrer Bindung an eine höhere Ethik, die im Zweifel über irdischen Gesetzen steht.

Untergang und Neubeginn

Das alles ist lange her. Das 20. Jahrhundert mit all seinen Brüchen und Katastrophen hat nicht nur das alte Preußen verschlungen, sondern auch unzählige seiner prägenden Bauten, darunter hunderte Kirchen. Manche vernichtete der Bombenkrieg wie die Berliner Gedächtniskirche. Manche traf der ideologische Zerstörungswille des real existierenden Sozialismus wie die Potsdamer Garnisonkirche, die – ebenfalls im Krieg beschädigt – 1968 auf Befehl Walter Ulbrichts gesprengt wurde. Viele Gotteshäuser wurden Opfer der bewussten Ignoranz eines gottlosen Systems wie die Katharinenkirche in Arnau, die wie fast alle Kirchen im nördlichen Ostpreußen für die Produktion zweckentfremdet wurde. Oft hing das Schicksal der Gotteshäuser von Zufällen oder schützenden Begleitumständen ab. So wurde die Ruine des Königsberger Doms von den Machthabern des sowjetischen Kaliningrads nur deshalb nicht abgetragen, weil sich an dessen Nordostecke das Grabmal Immanuel Kants befindet.

Für manche Kirchen – wie für die von Ludwig Persius entworfene Heilandskirche in Sacrow, idyllisch am Ufer der Havel im Niemandsland zwischen Berlin und Potsdam gelegen – hielt das Schicksal gar eine makabre Pointe bereit. Nach dem Bau der Berliner Mauer lag die Heilandskirche im innerdeutschen Todesstreifen; ihr Kirchturm freilich bot den DDR-Grenztruppen einen weiten Ausblick über die Grenzanlagen, weshalb sie Turm und Kirche stehenließen. Doch immerhin blieben diese so weit erhalten, dass sie – wie andere Kirchgebäude auch – seit Anfang der 90er Jahre immer wieder Enthusiasten anzogen, die sich ihrer Sanierung beziehungsweise ihrem Wiederaufbau widmeten.

Frieden mit der Geschichte

Zu guter Letzt der Berliner Dom am Lustgarten, gegenüber dem Schloss. Wie viele der preußischen Kirchen widerspiegelt auch das Schicksal des Doms die Geschichte des preußischen Staates und seiner Irrungen und Wirrungen. Über Generationen hinweg diente er der Hohenzollern-Dynastie als Grablege. Der Sarkophag des Kurfürsten Johann, im 16. Jahrhundert Markgraf von Brandenburg und Erzkämmerer des Heiligen Römischen Reiches, steht ebenso in der Hohenzollern-Gruft wie derjenige des Großen Kurfürsten sowie der des ersten Königs Friedrich I. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, baute die DDR den Dom in ihren späten Jahren wieder auf; nicht jedoch, ohne zuvor die bis dahin vergleichsweise gut erhaltene „Denkmalskirche“ im Norden des Doms, die neben den Prunksarkophagen einiger Könige auch ein von Reinhold Begas geschaffenes Bismarck-Grabdenkmal enthielt, zu sprengen. Die Berliner Republik wiederum vollendete den Wiederaufbau nicht nur; vielmehr nutzt sie die einstige Hofkapelle der Hohenzollern inzwischen beinahe wie selbstverständlich als inoffizielle Staatskirche der Bundesrepublik, so bei den Staatsakten für die verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau (2006) und Richard von Weizsäcker (2015), samt Bundesflagge und Wachbataillon.

Und so erzählen – mag das alte Preußen auch vergangen sein – Gottes Häuser in preußischen Landen noch heute von diesem ganz besonderen Staat und seinen Geschichten.


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Kommentare

Stefan Pischel am 06.01.21, 11:12 Uhr

Danke für den Artikel! Hinweis: Friedrich Wilhelm I war Zeitgenosse und Freund von August Hermann Francke

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