Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Eine Geschichte von Zerstörung, Verfall und Wiederaufbau – Russen erkennen allmählich den Wert des deutschen Erbes
In der besinnlichen Weihnachtszeit denkt man oft an das Ewige und Unsterbliche, an die wahren menschlichen Sehnsüchte und Hoffnungen. In der dunklen Jahreszeit fühlt man sich daher im Gotteshaus besonders geborgen und behütet.
Zu den Besonderheiten Ostpreußens gehören nicht nur dunkle Wälder, kristallene Seen und der schöne Ostseestrand, sondern auch seine vielen mittelalterlichen Ordenskirchen, meist im Baustil der Backsteingotik errichtet. Die Ordenskirchen sind in der Reformationszeit – das Ermland ausgenommen – evangelisch geworden. In Ostpreußen wurden viele evangelische Kirchen und Gemeindezentren auch von namhaften Architekten gebaut.
Die meisten der ostpreußischen Kirchengebäude haben den Krieg mehr oder weniger unversehrt überstanden. Im polnisch verwalteten Teil Ostpreußens wurden viele evangelische Kirchen für den katholischen Gottesdienst umgerüstet. Im sowjetisch verwalteten Teil wurden sie noch mehrere Jahre nach dem Krieg zweckentfremdet und häufig als Lagerräume oder Sporthallen genutzt.
Wenn man im Samland oder in der Elchniederung heute ruinierte Kirchen sieht, dann handelt es sich in vielen Fällen nicht um Kriegsruinen; ihre Zerstörung geschah nicht durch Kriegshandlungen, sondern in Friedenszeiten, insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion.
Darüber hinaus ging es lange um die Klärung der Eigentumsrechte an Kircheneigentum. 2010 wurde ein entsprechendes Gesetz erlassen, auf dessen Grundlage fast alle ehemals deutschen Sakralgebäude im Königsberger Gebiet in den Besitz der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) überführt wurden.
Insgesamt kann man wohl drei Gruppen der alten deutschen Kirchengebäude heute dort feststellen. Die erste bilden die gut erhaltenen oder wiederaufgebauten Gebäude, die entweder als russisch-orthodoxe Gotteshäuser dienen (beispielsweise Juditten, Arnau, Heiligenwalde, Palmnicken) oder – zwar zweckentfremdet – für Kultur- und Bildungszwecke benutzt werden (Königsberger Dom, Königin-Luise-Gedächtniskirche, Kirche zur Heiligen Familie). Die zweite Gruppe bilden die teilweise konservierten Kirchenruinen (Domnau, Allenburg, Tharau), die oft auch ein neues beziehungsweise renoviertes Dach haben und somit zumindest vom weiteren Verfall gesichert sind. Solche Kirchenruinen werden allmählich zu neuem Leben erweckt, dort finden Musikaufführungen oder Trauungszeremonien statt. Die dritte Gruppe bilden die weiterhin ungesicherten und verfallenden Kirchenruinen, um deren weiteres Schicksal man bangen muss.
Insterburg
Die ehemalige Reformierte Kirche in Insterburg ist seit 1992 die russisch-orthodoxe Erzengel-Michael-Kirche. Die Kirche wurde zwischen 1886 und 1890 als neuromanisches Bauwerk mit einem 60 Meter hohen Westturm und zwei kleineren Türmen im Osten errichtet, ihr Architekt ist der Berliner Friedrich Adler. Nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Kirche zunächst als Lagerhalle, dann als Sporthalle. Im Jahr 1986 brannte das Gebäude aus und begann allmählich zu verfallen. Im Jahr 1989 ergriffen Bürger der Stadt die Initiative und stoppten den Niedergang. Das Bauwerk erhielt noch im selben Jahr ein neues Kupferdach, nachdem es von der ROK übernommen worden war.
Gumbinnen
Die Salzburger Kirche in Gumbinnen wurde 1840 als klassizistische Saalkirche errichtet. Sie ist eines der letzten Werke des berühmten preußischen Baumeisters Karl Friedrich Schinkel. Im Januar 1945 wurde die Kirche durch Kriegsgeschehnisse stark beschädigt und verlor ihren Turm. Die Kirche wurde als Schuppen der örtlichen Stadtwerke verwendet. 1995 wurde die Salzburger Kirche als eines der ersten Gotteshäuser in der Region vollständig wiederaufgebaut und feierlich eingeweiht. Seither dient sie den evangelisch-lutherischen und reformierten Russlanddeutschen der Region als Gemeindezentrum.
Mehlauken
Die dortige evangelische Pfarrkirche ist eine Sehenswürdigkeit, denn ihr Bau wurde von König Friedrich Wilhelm IV. initiiert und vom preußischen Architekten Friedrich August Stüler geplant und ausgeführt. Die Kirche wurde 1846 geweiht. Es handelt sich um eine stilisierte frühchristliche römische Basilika mit freistehendem Glockenturm (Campanile), wie sie der König während seiner Italienreise so sehr bewunderte. Die Potsdamer Friedenskirche ist ihre jüngere Schwester.
2021 hat die Königsberger Freiwilligenbewegung „Ruinenwächter“ mit Unterstützung einer örtlichen Agrarholding und der Denkmalschutzbehörde über Jahrzehnte angesammelten Pflanzenbewuchs entfernt, eine Rasenfläche angelegt, Schutznetze angebracht und einen historischen Pflastersteinbereich um die Kirche herum freigelegt. Außerdem wurde der Bauschutt aus dem dachlosen Kirchenschiff entfernt und Tausende von Ziegeln handverlesen, die für Restaurierungsarbeiten geeignet wären. Im Sommer dieses Jahres fand in der Mehlauker Kirche ein Musikfestival „Kantate“ anlässlich des 300. Geburtstages von Immanuel Kant statt.
Die „Ruinenwächter“ haben inzwischen durch ihre ehrenamtlichen Einsätze rund 30 historische Kirchenruinen vom Unrat und wilder Vegetation gesäubert. Das Hauptziel der Freiwilligen besteht darin, durch regelmäßige Pflege zerstörter Baudenkmäler mehr Aufmerksamkeit von den Reisebüros, den Anwohnern und den Behörden zu erreichen.
Tharau
Die imposante Dorfkirche in Tharau wurde um 1350 errichtet, der vorgelegte Westturm im 16. Jahrhundert vollendet. Im hiesigen Pfarrhaus wurde 1615 Anna Neander, besungen als Ännchen von Tharau, geboren. Bei Kriegsende war die Kirche noch unbeschädigt, später wurde der Bau für wirtschaftliche Zwecke genutzt, zuletzt als Lagerhalle für Kunstdünger. Nachdem die örtliche Kolchose in den 1990er Jahren pleiteging, war die Kirche des Daches beraubt, der Innenraum der Witterung schutzlos ausgeliefert, die vollkommene Zerstörung schien nur eine Frage der Zeit zu sein. Dank der Hilfe des „Förderkreises Kirche Tharau“ aus Bonn wurde das Dach 2006 erneuert. Die Kirche ist heute zwar offiziell als ein „bedeutendes, staatlich geschütztes Architekturdenkmal“ ausgewiesen und als solches anerkannt, wird aber kaum benutzt und steht nun als gesicherte und überdachte Ruine. Das große Touristeninteresse gerade auch von russischen Urlaubern zeigt, dass selbst die Erhaltung der Kirche als wetterfest gemachte Ruine richtig und sinnvoll ist, auf bessere Zeiten hoffend.
Friedland
Die hiesige Stankt-Georgs-Kirche wurde um 1380 errichtet, später in erheblichem Maße umgebaut. In der Sowjetzeit wurde die Kirche zweckentfremdet und diente als Lagerhalle der Konsumgenossenschaft, bis sie in den 1990er Jahren restauriert und zum russisch-orthodoxen Gotteshaus wurde. Die Kirche ist ein Denkmal deutsch-russischer Zusammenarbeit, so steht es auf einer zweisprachigen Gedenktafel am Kircheneingang. Ursula Kluge ergriff damals die Initiative zur Renovierung der vom Verfall bedrohten Kirche. Als Vorsitzende des Heimatvereins Friedland hat sie in Zusammenarbeit mit vielen heutigen Stadtbewohnern bis 2006 maßgeblich die Wiederherstellung des Kirchengebäudes bewirkt. Erstaunlich, aber wahr: zwei alte Glocken, eine kleine und eine große sind im Glockenturm verblieben. Die große Glocke stammt aus dem Jahr 1729 und trägt noch das Wappen von Friedrich Wilhelm I.
Allenburg
Die Allenburger Ordenskirche wurde 1405 geweiht. Das Gotteshaus war gleichzeitig Fliehburg, und ihre Nordwand wurde in die Stadtmauer integriert. Die Kirche überstand den Zweiten Weltkrieg unversehrt, wurde aber in den Nachkriegsjahren als Werkstatt und Getreidelager genutzt. 1999 verfiel der Kirchturm, und das führte dazu, dass im gleichen Jahr ein Verein zum Erhalt der Kirche gegründet wurde. 2005 bekam der Turm ein neues Dach, im Inneren entstanden ein Andachtsraum, ein Museum, eine Aussichtsplattform mit Blick in alle Himmelsrichtungen – dank dem Engagement der Familie Bäsmann aus Beverstedt und ihrer Mitstreiter. Ungeachtet ihrer unermüdlichen Tätigkeit wurde das Kirchengebäude kaum benutzt, das Gelände daneben war mit Gras überwuchert. 2022 reinigten die „Ruinenwächter“ das Kircheninnere und ihre Umgebung gründlich. Im gleichen Jahr hat der russische Unternehmer und Heimatforscher Gennadij Kostriza die Kirche für mehrere Jahre für Kulturzwecke gepachtet: Im Kirchenturm gibt es nun wieder ein Museum und ein kleines Café. In der Kirche finden gelegentlich Konzerte mit klassischer Musik statt.
Rauterskirch
Die achteckige Ortskirche in Rauterskirch (Alt Lappienen) an der Gilge in der Elchniederung, wurde 1703 eingeweiht und gilt bis heute, auch im ruinierten Zustand, als ein architektonisches Geheimnis: Für viele verbirgt ihre oktogonale Form eine tiefgreifende christlich-esoterische Symbolik. Sie wurde aus Ziegelsteinen auf Feldsteinfundament gebaut, mit hohem Zeltdach und Laternen, einem Schiff ähnlich. Aus der Ferne wirkte die Kirche am Wasser wie ein „Schiff im Zeitstrom des Weltgeschehens“. Immanuel Kant kannte die Oktagonkirche, denn sie war auch eine Grabstätte der adeligen Familie Keyserlingk, die in der Nähe ihren Gutshof hatte. Von 1753 bis 1755 hielt sich Kant als Hauslehrer für die Kinder des Grafen Keyserlingk hier auf. Ob diese Kirche jemals wieder aufgebaut wird, ist ungewiss, da ihre Ruine in einer weit entlegenen und dünn besiedelten Gegend liegt.
Ein Teil der Geschichte
Im nördlichen Ostpreußen gibt es noch viele Kirchen, die auch neubelebt werden könnten, und einige wurden bereits gut renoviert. Alle diese Restaurierungsarbeiten, ob begonnen oder bereits abgeschlossen, werden jeoch von der Restaurierung des Königsberger Domes übertroffen, gegen die es ursprünglich auch etliche Stimmen gab. Daher gebührt dem verstorbenen Dombaumeister Igor Odinzow sowie vielen Spendern und Helfern unser Dank!
Die heutigen Einheimischen im nördlichen Ostpreußen erkennen wohl, dass die alten Sakralbauten Teil ihrer eigenen Geschichte geworden sind. Viele begreifen auch den Schaden, den die Region durch die unzureichende Beachtung dieses Kulturerbes aus deutscher Zeit erleidet. Dabei geht es nicht darum, ein Disneyland für Touristen zu errichten, sondern vielmehr darum, dass die Einheimischen immer mehr zur Einsicht kommen: Man besitzt Schätze, die es zu bewahren gilt.
Vor 1945 gab es im nördlichen Ostpreußen 214 Kirchen. Im Jahr 1985 wurde in einem Bericht des regionalen Parteikomitees nach Moskau die Region Kaliningrad als die atheistischste Region aufgeführt, in der es kein einziges Gotteshaus gäbe. Nach Angaben der Freiwilligenbewegung „Ruinenwächter“ verschwanden in der Nachkriegszeit 65 Kirchen, von zehn sind nur noch die Fundamente übrig, 16 sind völlig verwahrlost, 67 sind erhaltenswerte Ruinen und nur 66 Kirchengebäude sind erhalten geblieben.