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Gratis-Kultur wird unbezahlbar

In Berlin gibt es vieles kostenlos – Doch damit könnte es bald vorbei sein

Hermann Müller
24.07.2024

Möglicherweise ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die CDU insgesamt ihren Widerstand gegen eine Lockerung der Schuldenbremse aufgibt. Parteichef Friedrich Merz, in der Vergangenheit ein strikter Verteidiger der Regelung gegen ausufernde Staatsschulden, hatte bereits im Mai erklärt, eine Reform der Bremse sei nur möglich, wenn an den Sozialausgaben gespart werde. Statt eines strikten Neins liegt SPD und Grünen damit nun das Signal vor, dass unter bestimmten Bedingungen auch die CDU bereit ist, die Schuldenbremse zu lockern.

Noch weitergehend und konkreter sind die Vorstellungen, die Kai Wegner (CDU), Regierender Bürgermeister Berlins, vor Kurzem präsentiert hat: Wegner fordert die Möglichkeit, nicht nur dem Bund sogenannte Sondervermögen zu erlauben, sondern auch den Bundesländern. Hinter der Wortschöpfung „Sondervermögen“ stehen tatsächlich neue Schulden, die unter Umgehung der Schuldenbremse gemacht werden. Zur Begründung für seinen Ruf nach „Sondervermögen“ sagte Wegner, Länder und Kommunen in ganz Deutschland befänden sich in einer dramatischen Situation. Ihnen gehe langsam das Licht aus, so Wegner gegenüber dem Nachrichtenportal „t-online“.

Zulasten anderer Bundesländer
Im Fall Berlins sind die finanziellen Aussichten sogar besonders düster. Die Stadt wird in den kommenden Jahren massiv Ausgaben kürzen müssen. „Es geht um fünf Milliarden Euro bis zum Jahr 2026“, so Finanzsenator Stefan Evers (CDU) im Berliner Abgeordnetenhaus. Laut Evers sind die Ausgaben seit 2019 „nahezu explodiert“: „So ziemlich jedes tatsächliche oder scheinbare Problem wurde mit Geld gelöst, das es in Wirklichkeit gar nicht gab.“ Der Finanzsenator fügte hinzu: „Die Zeit der Wunschkonzerte ist vorbei!“ Evers beklagte in einer Aktuellen Stunde des Landesparlaments auch, „dass nicht jeder in dieser Stadt, auch nicht jeder in diesem Raum, die Dimension dieser Zahl erfasst hat!“

Obwohl die deutsche Hauptstadt in den kommenden Jahren Milliarden einsparen muss, leistet sich die Stadt bislang noch immer Wohltaten, auf die andere, wirtschaftlich wesentlich erfolgreichere Bundesländer verzichten. Besonders schlecht ist in anderen Teilen Deutschlands das Angebot eines 29-Euro-Tickets für den Berliner Nahverkehr aufgenommen worden. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) kritisierte, Berlin finanziere als Hauptempfänger des Länderfinanzausgleichs quasi mit bayerischem Geld einen Gesamtrabatt für alle Fahrgäste. Tatsächlich nimmt Berlin einen dreistelligen Millionenbetrag in die Hand, damit auch Menschen mit Spitzeneinkommen vom 29-Euro-Ticket profitieren können.

Ein Gießkannenprinzip wendet Berlin auch noch immer beim kostenlosen Schulessen für alle Grundschüler an. Eingeführt wurde das Angebot im Jahr 2019 noch vom rot-grün-roten Vorgängersenat. Das Gratis-Angebot nehmen laut der Senatsbildungsverwaltung mehr als 180.000 Schüler der Klassenstufen eins bis sechs in Anspruch. Schätzungen gehen allerdings dahin, dass lediglich ein Drittel der Kinder tatsächlich darauf angewiesen ist, dass ihre Eltern für das Schulessen nichts bezahlen müssen. Bereits zur Einführung hatten Elternvertreter angeregt, die Kostenbefreiung auf einkommensschwache Familien zu begrenzen. Mit dem Geld, das die übrigen Eltern zahlen, könnte die Qualität der Schulspeisung insgesamt verbessert werden. Tatsächlich klagen Lieferanten des Schulessens, mit den festgelegten Portionspreisen lasse sich nicht wirtschaften, da die Inflation die Kosten in die Höhe getrieben habe. Auf der anderen Seite schlägt das Kostenlos-Angebot für alle im Landeshaushalt jährlich mit rund 160 Millionen Euro zu Buche.

Selbst die SPD kommt ins Grübeln
Berlins Regierender Bürgermeister Wegner hat inzwischen das kostenlose Schulessen für Grundschüler und auch die Kostenlos-Regelungen für die Berliner Kitas in Frage gestellt. Die Stadt könne die nötigen Einsparungen nicht einfach „wegatmen“, so Kai Wegner gegenüber der Lokalzeitung „B.Z.“: „Die Herausforderungen sind groß, die Summen sind groß – noch größer als bei Sarrazin.“ Wegner spielt damit auf die Sparpolitik des damaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin nach der Jahrtausendwende an. An der Spitze einer rot-roten Koalition hatte Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) seinerzeit die Parole ausgegeben: „Sparen, bis es quietscht.“

Konfrontiert mit dem Zwang, im Landeshaushalt in den kommenden Jahren Milliarden einsparen zu müssen, vollzieht auch derzeit zumindest ein Teil der Berliner SPD eine Abkehr von der Kostenlos-Mentalität. Die neuen SPD-Landesvorsitzenden Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini wollen etwa das Schulessen für einen Großteil der Berliner Kinder kostenpflichtig machen. Beobachter halten es auch für wahrscheinlich, dass die eben erst eingeführte 29-Euro-Monatskarte bei einer der unvermeidlich kommenden Sparrunden wieder gestrichen wird.


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