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Griechenland als neuer Musterknabe Europas

Ministerpräsident Mitsotakis setzt auf Leistung, hat die Sechs-Tage-Woche wieder eingeführt, und mit 39 Wochenstunden Arbeit führt sein Land EU-weit

Peter Entinger
16.07.2024

Vor zehn Jahren galt Griechenland als das große Sorgenkind der Europäischen Union. Eine sogenannte Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission wirkte als Kontrollinstanz des Europäischen Stabilitätsmechanismus und machte dem Land strikte Sparvorgaben. Ein Staatsbankrott des Landes stand über Monate im Raum, ein Ausscheiden aus der Euro-Zone ebenfalls. Die Krise eskalierte im Laufe des Jahres 2010 und galt erst sechs Jahre später als halbwegs beendet. Vollständig erholt hat sich Griechenland bis heute noch nicht.

Damals ging rund ein Viertel seiner Wirtschaftskraft verloren. Mit 208 Milliarden Euro lag das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2022 nach wie vor deutlich unter dem Niveau von 242 Milliarden Euro im Jahr 2008. Das geht auch an den Unternehmen und privaten Haushalten im Land nicht spurlos vorbei. Laut Schätzungen der griechischen Statistikbehörde ELSTAT erreichten die Reallöhne im Jahr 2022 gerade einmal 71 Prozent des Vorkrisenniveaus. Dennoch sind die Experten voll des Lobes. Der „Economist“ kürte Griechenland zweimal hintereinander zur Volkswirtschaft des Jahres. Weltweit seien derzeit nur Indien und Argentinien vergleichbar dabei, ihre Wettbewerbsbedingungen zu verbessern. Ende des vergangenen Jahres ging die Arbeitslosenquote erstmals auf zehn Prozent zurück. Das war der niedrigste Stand seit September 2009, als die Quote 10,1 Prozent betrug. Auf ihrem Höhepunkt erreichte die Arbeitslosigkeit im Juni 2013 einen historischen Rekordwert von 28,1 Prozent. In der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen waren damals sogar 57,5 Prozent der Arbeitsuchenden ohne Beschäftigung.

Der Wirtschaft bekommt der Kurs der harten Hand
Für das Jahr 2024 rechnet Wirtschafts- und Finanzminister Kostis Hatzidakis mit drei Prozent Wachstum – in Deutschland träumt die Regierung gerade von solchen Zahlen. Als Macher des „griechischen Wunders“ gilt Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis. Bei seinem Amtsantritt vor gut fünf Jahren kündigte er größere Reformen an. Er wolle sich etwa für Lohnsteigerungen und eine effizientere Verwaltung einsetzen. Zudem soll das unterfinanzierte Gesundheitssystem gestärkt sowie massiv Pflegepersonal und Ärzte eingestellt werden. Nicht alles von dem konnte der 56-jährige ehemalige Investmentbanker durchsetzen. Aber das Land scheint auf einem guten Weg. Dabei haben einige Krisen und Ungereimtheiten seine Amtszeit seit 2019 geprägt: Ein großer Abhörskandal, das schwerste Zugunglück in der Geschichte Griechenlands und eine hitzige Debatte um die Flüchtlingspolitik belasteten das innenpolitische Klima. Im vergangenen Jahr war Mitsotakis für einen Monat nicht im Amt, vor Kurzem überstand er abermals ein Misstrauensvotum. Kritiker sagen, der Konservative habe autoritäre Züge.

Der Wirtschaft scheint sein Kurs der harten Hand aber gutzutun. Sein Vorbild für die Reformpolitik sei Ludwig Erhard, sagte er wiederholt, und trat konsequenterweise schon mal auf dem deutschen Ludwig-Erhard-Gipfel auf. Während Deutschland über eine Vier-Tage-Woche diskutiert, hat Mitsotakis die Sechs-Tage-Woche eingeführt. Mit einer Arbeitszeit von mehr als 39 Wochenstunden liegt Griechenland mittlerweile an der Spitze der EU-Länder. Für die Mehrarbeit gibt es bis zu 115 Prozent Aufschlag. „Leistung muss sich wieder lohnen“, sagt der Ministerpräsident.

Das Rentenniveau ist auf 51 Prozent gesunken
Ausländische Kreditgeber haben wieder Vertrauen in das einstige Sorgenkind gefasst. Und der Ministerpräsident ist ein geschickter Verhandlungspartner. Für den Zeitraum von 2021 bis 2027 wird Griechenland von der europäischen Konjunktur- und Resilienzfazilität 31 Milliarden Euro an Unterstützungsmaßnahmen zugewiesen bekommen. Außerdem erhält das Land bis 2027 noch 39 Milliarden Euro aus dem europäischen Strukturfonds. Doch noch ist nicht alles Gold, was glänzt. Denn in Griechenland sehen viele Menschen in diesen Förderungen auch eine Wiedergutmachung für die Zeit unter der Troika. Die zwang das Land damals zu einem radikalen Umbau des Rentensystems. Die Allgemeine Griechische Rentnergewerkschaft klagt: „Es herrscht Armut unter einer großen Masse älterer Rentner, die nicht von irgendwelchen Zusatzfonds profitieren, sondern nur von einer Rente leben.“ Laut Zahlen der OECD ist in Griechenland durch die Kürzungen seit 2012 das Rentenniveau der Durchschnittsverdiener von rund 80 auf 51 Prozent gesunken. Gleichzeitig wurde das Renteneintrittsalter erhöht. Der Aufschwung sei nicht bei allen angekommen, räumte Mitsotakis im vergangenen Jahr ein. Doch zuletzt gab es erstmals seit 2010 eine leichte Rentenerhöhung.


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