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Raubkunst der anderen Art – Der Dresdner Gänsediebbrunnen basiert auf einen realen Vorfall. Dessen Schöpfer starb vor 100 Jahren
Das stoffliche Motiv des Gänsediebs klingt nach einem Märchen der Brüder Grimm. Mit der „goldenen Gans“ hat die Entstehung des Gänsediebbrunnens in der Dresdener Altstadt allerdings nichts zu tun. Vielmehr basiert die Geschichte auf eine reale Untat, die für die Stadt dann doch zu einem durchaus goldenen Ergebnis wie im Märchen führte. Das Motiv wurde zu einer Touristenattraktion.
Geschaffen hat den heute in der Weißen Gasse gelegenen Gänsediebbrunnen der vor 100 Jahren gestorbene Bildhauer Robert Diez. Zu sehen ist auf dem steinernen Sockel oberhalb des Wasserbeckens der Bronzeabguss eines fahrenden Schülers, der eine Gans an der Gurgel gepackt hält. Unterhalb davon befinden sich zwei weitere Gänse mit ausgebreiteten Flügeln, als würden sie gerade davonfliegen. Rund um den Brunnen befinden sich in der Fußgängerzone heute Cafés und Restaurants mit Außenbestuhlung.
Der Schöpfer des Kunstwerks wurde am 20. April 1844 im thüringischen Pößneck geboren. Sein Vater fungierte in der Stadt als Erster Bürgermeister und gab den zeichnerisch begabten Jungen schon früh nach Meiningen in die Obhut seines Bruders Samuel Friedrich Diez, der als Hofmaler unter Herzog Bernhard II. von Sachsen-Meiningen in der Residenzstadt fungierte. Vom berühmten Onkel bestens auf eine Künstlerlaufbahn vorbereitet, wechselte Diez 1863 er an die Akademie der Künste in Dresden, wo er sich endgültig für die Bildhauerei entschied und in die Obhut von Johannes Schilling kam, einem anderen damals bedeutenden Dresdener Bildhauer. Dieser Meister gab Diez den letzten Schliff, bevor er ab 1873 in Dresden als freischaffender Bildhauer mit seinen Werken eigenes Aufsehen erregte. Das trug ihm dann den Auftrag für den bis heute berühmten Gänsediebbrunnen ein. Am 11. Februar 1879 gaben die Stadtväter ihre Zustimmung für das recht spezielle Brunnenprojekt, das sich auf einen überlieferten Vorfall aus dem Jahre 1512 bezieht.
Demnach weilten damals mittellose Studenten aus der Schweiz in Dresden, die für ihr Abschiedsmahl vor der Heimkehr in ihre Heimat mehrere Gänse stahlen. Der Diebstahl wurde untersucht. Doch da weilten die Übeltäter schon nicht mehr in Dresden. Thomas Plattner, einer der Gänsediebe, fungierte später in Basel als Rektor der Lateinschule und allgemein anerkannter Gelehrter der Reformation.
Der Dresdner Bericht über den Vorfall, der dann von Plattner in seiner eigenen Lebensbeschreibung bestätigt wurde, ging in die Dresdner Stadtgeschichte ein und regte Jahrhunderte später als Kuriosum zur Gestaltung eines entsprechenden Brunnens an. Diez bekam den Auftrag, und er schuf nach dem ersten Brunnen, der am 20. April 1880 am Ferdinandsplatz eingeweiht wurde, noch eine zweite und eine dritte Version.
Der Brunnen erhielt auf der Kunstausstellung in München die „Große Goldmedaille“ und machte seinen Schöpfer deutschlandweit bekannt. Die Zweitfassung wurde im Hof der städtischen Feuerwache in der Schlüterstraße aufgestellt. Eine weitere Replik bekam am Fuße der Augustusburg bei Chemnitz ihren heutigen Standort.
Mit dem Ruhm des Gänsediebbrunnens nahm die Karriere von Diez Fahrt auf. Er wurde Professor an der Kunstakademie, fungierte als Nachfolger von Hähnel, war dann Mitglied des Akademischen Rates, prägte seinerseits zahlreiche Schüler und glänzte mit weiteren Bildhauerwerken. Das reichte vom Bismarck-Denkmal sowie dem Brunnen „Stürmische Wogen“ in Dresden bis zum Bechsteinbrunnen im Englischen Garten von Meiningen.
Zwischendurch heiratete der Aufsteiger die überaus reiche Dresdner Kaufmannstochter Luise Calberla, die dann die umfangreichen Calberla-Besitzungen erbte. Dazu kamen Ehrungen wie die Ernennung zum Geheimrat und die Erlangung der Ehrendoktorwürde. Diez schwamm lange auf einer Erfolgswelle, lebte dann aber zuletzt angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen im großen Familienanwesen in der Calberlastraße in Dresden-Loschwitz eher zurückgezogen und starb nach einem längeren Siechtum am 7. Oktober 1922 in seinem Refugium, 13 Jahre vor seiner Frau. Seine letzte Ruhe fand der Künstler auf dem Familiengrabplatz der Familie Calberla auf dem Inneren Neustädter Friedhof.
Der Brunnen am Ferdinandsplatz überstand das Bombeninferno in Dresden im Februar 1945 und wurde später in die Weiße Gasse umgesetzt, wo er nach Renovierung bis heute beeindruckt. 1979 wurde er von der Deutschen Post der DDR in einer Sonderbriefmarke verewigt. Pößneck als Vaterstadt von Diez erwarb zudem eine Kopie des geschichtsträchtigen Brunnens.
Chris Benthe am 08.10.22, 21:00 Uhr
Als Dresdner sage ich ein herzliches Dankeschön für diesen wunderbaren Beitrag ! Leider gibt es den Ferdinandplatz nicht mehr, wo der Brunnen früher stand. Aber der Brunnen "Stürmische Wogen" steht dort, wo er hingehört, am Albertplatz in der Dresdner Neustadt. Er gehört zum Zwillingsensemble, zusammen mit dem Brunnen auf der Gegenseite" Stille Wasser". Der Bildhauer Schilling, der für Diez prägend wirkte, war einer der bedeutendsten Künstler Dresdens, der auch das Skulpturenensemble "Die Vier Tageszeiten" an der Treppe zur Brühlschen Terrasse in Dresden schuf. Dresden ist noch immer reich an solchen phantastischen Formgebilden, Ansicht und Besuch lohnen immer.