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Hedwig muss das Wort „Aussiedlung“ schlucken

Nach elf Jahren hat die Deutsche Minderheit ihre versprochene wissenschaftliche Einrichtung erhalten

Chris W. Wagner
24.10.2022

Was lange währt, wird endlich gut – das passt auch zum „Dokumentations- und Ausstellungszentrum der Deutschen in Polen“ (DAZ) in Oppeln. Seit 2011 stand das Anliegen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen auf der Agenda.

Nach elf Jahren Hin und Her wird nun auch von polnischer Seite eine Einrichtung mitgetragen, die die Geschichte der Deutschen auf dem Gebiet der heutigen Republik Polen dokumentieren soll. „Die ursprüngliche Idee war, dass in den Regionen mit einer starken deutschen Minderheit die Regionalmuseen um die Geschichte der Deutschen erweitert werden sollten. Aber nur die Woiwodschaft Oppeln mit ihrer regionalen Regierungsbeteiligung mit der deutschen Deutschen Minderheit hatte sich bereit erklärt, die Maßnahme zu verwirklichen“, sagt Veronika Wiese, Leiterin des DAZ.

Die landesweite neue Einrichtung ist dennoch nur eine Filiale der Woiwodschaftsbibliothek Oppeln geworden. „Die Zuwendungen für die Sanierungsarbeiten des Standortes sowie für die Dauerausstellung kommen aus deutschen Mitteln. Die Arbeit der Einrichtung wird von der Woiwodschaft Oppeln finanziert, aus Geldern für Kulturarbeit“, so die Mittdreißigerin aus Gleiwitz, die selbst der deutschen Volksgruppe angehört.

Die Ausstellung beginnt mit der Geschichte der Heiligen Hedwig von Schlesien und der Zeit der Ostkolonisation. In die neue Zeit führt Johannes Gutenberg und seine Erfindung des Buchdrucks. In diesem Raum riecht es angenehm nach frischem Holz, zum Beispiel durch die nachgebaute Gutenberg'sche Bibelpresse und einen Holzschaukasten mit beschrifteten Plättchen, die man wenden kann. Auf einer Seite lesen wir beispielsweise das Wort „Ring“ und rückseitig die polnische Entsprechung: rynek.

Diese Idee stammte von Dawid Smolorz: „Es gibt etwa 3000 Worte, die aus dem Deutschen in die polnische Sprache aufgenommen wurden“, sagt der Germanist und Autor. Viele solcher Worte wurden akustisch und graphisch polonisiert und kaum jemand wisse heute, dass burmistrz von Bürgermeister oder warsztat von Werkstatt abgeleitet wurde. Smolorz' Steckenpferd ist das Thema der Grenzen in Oberschlesien nach dem Volksentscheid und den polnischen Aufständen. Sein Anliegen war, die Besonderheit dieser Grenze zu zeigen, „den Umstand, dass sie völlig künstlich gezogen wurde und auf beiden Seiten der Grenze deutsch- und slawischsprachige Menschen lebten. Kurios war, dass sie teilweise ein dicht bebautes Gebiet zerschnitt, ohne die sprachliche und kulturelle Situation widerzuspiegeln.

Smolorz weist auf einen Vorkriegsschreibtisch mit einem schwarzem Bakelittelefon. Wenn man den Hörer abnimmt, spricht ein Lektor einen Text über Eduard Pant (1887–1938), den führenden Politiker der deutschen Volksgruppe in der Republik Polen und Vorsitzenden der Deutschen Katholischen Volkspartei in der Zwischenkriegszeit. Einen großen Teil der Ausstellung nimmt die Zeit des Nationalsozialismus und der deutschen Besetzung Polens ein. „Die Verbrechen an polnischen Staatsbürgern, Konzentrationslager und Holocaust – das ist ein tragischer Teil der Geschichte und es war uns klar, wir ‚müssen' dies hier auch zeigen“, so Wiese.

Gänsehaut erzeugt eine Wand, auf der Schatten von Flüchtlingen vorbeiziehen. Daneben steht ein Bollerwagen: „Ein authentischer Fluchtwagen, mit dem die Familie Baron aus Gleiwitz 1945 geflüchtet war“, so die Leiterin, die betont, welches Dilemma die Macher bei der Wahl der Begriffe bei der Erzählung der Nachkriegsgeschichte hatten: „Wir feilten stundenlang an jedem Satz, wie es später ausgelegt werden könnte“, erinnert sie sich. „Besonders schwer war es beim Begriff Vertreibung oder Aussiedlung. Schließlich wurden wir uns einig: wir sprechen von wilder Vertreibung vor dem Potsdamer Vertrag und danach von Aussiedlungen“, sagt sie.

Wiese führt nun zum letzten Teil der Ausstellung: „Hier erzählen wir in thematischen Inseln die Geschichte der deutschen Minderheit nach der Wende und beginnen mit der Parole: Die Deutschen müssen weg! Wir zeigen die Entdeutschungspolitik nach dem Krieg, später die Gründung der ersten Organisationen der Minderheit“, sagt sie. Mit der Versöhnungsmesse 1989 in Kreisau in Anwesenheit von Kohl und Mazowiecki schließt die Ausstellung, womit die Heilige Hedwig als Klammer bis in die Neuzeit dient.


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Kommentare

sitra achra am 06.11.22, 12:05 Uhr

Nicht nur Hedwig schluckt an dem die fürchterliche Tatsache der gewaltsamen Vertreibung verniedlichenden Täterwort "Aussiedling", sondern die meisten Nachfahren der Vertriebenen, so auch meine Familie.
Der große Rest der Deutschen schluckt wieder und wieder am Narrativ einer ominösen "deutschen Schuld", die ihnen durch permanente ritualisierte Gedenkfeiern und -reden sowie durch ständige penetrante Propaganda in den gleichgeschalteten Medien unter die Weste gejubelt wird. Sie schlucken und schlucken. Es ist scheint's des Schluckens kein Ende. Und darauf sind sie in ihrer pseudomoralischen Blindheit auch noch stolz! Sind halt arme Schlucker.

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