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Eine Partei- und Staatsführung und ihr Held: Der SED- und DDR-Chef Walter Ulbricht (M.) mit seinem Nachfolger Erich Honecker (l.) und Adolf Hennecke bei einem Empfang anlässlich des 20. Jahrestages der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR im Jah
Foto: ullstein bildEine Partei- und Staatsführung und ihr Held: Der SED- und DDR-Chef Walter Ulbricht (M.) mit seinem Nachfolger Erich Honecker (l.) und Adolf Hennecke bei einem Empfang anlässlich des 20. Jahrestages der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der DDR im Jah

DDR

Heldenkult im Sozialismus

Vor 50 Jahren starb der vom SED-Regime zum Helden der Aktivistenbewegung erkorene Hauer Adolf Hennecke

Heidrun Budde
18.02.2025

Möchte die politische Führung das Bruttosozialprodukt steigern, besteht eine Möglichkeit darin, der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass sie noch viel fleißiger sein, noch viel mehr arbeiten könnte, wenn sie denn nur wollte. Zur Veranschaulichung bieten sich Werktätige an, die öffentlichkeitswirksam ihre Arbeitsnorm um ein Mehrfaches übererfüllen. In Josef Stalins Vaterland der Werktätigen übernahm diese Aufgabe Alexeij Stachanow. Vor knapp 90 Jahren, am 31. August 1935, förderte der Bergmann als Hauer in einem Steinkohlenbergwerk im Donezbecken mit 102 Tonnen Kohle in einer Schicht das 13-Fache der damals gültigen Arbeitsnorm.

Nachdem Mitteldeutschland als Folge des Zweiten Weltkrieges Bestandteil des sowjetischen Machtbereichs geworden war, wurde dort getreu dem Motto „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen!“ versucht, diese Methode zu kopieren. Bei der Kopie übernahm die Rolle des Sowjetmenschen Stachanow der Deutsche Adolf Hennecke. Im Karl-Liebknecht-Schacht des Lugau-Oelsnitzer Steinkohlenreviers baute der gebürtige Westfale am 13. Oktober 1948 in einer gut vorbereiteten Schicht statt der üblichen 6,3 Kubikmeter 24,4 Kubikmeter Kohle ab. Das war zwar nicht wie bei Stachanow das 13-Fache, aber doch immerhin mehr als das Vierfache. Dass der neu gekürte Held nur ein Ersatzmann für Franz Franik war, der diese Politinszenierung aus Sorge um die Reaktionen seiner Kollegen auf einen Normbrecher ablehnte, fand keine Erwähnung. Auch die technisch besseren Voraussetzungen blieben unerwähnt.

Sowjetisches Vorbild
Was folgte, war nun eine analog zur Stachanow-Bewegung in der UdSSR Hennecke-Bewegung genannte Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung in der SBZ. Hennecke wurde mit Orden überhäuft. So erhielt er noch im Gründungsjahr der DDR 1949 als einer der Ersten den Nationalpreis der DDR I. Klasse. 1964 kam die bedeutendste und am höchsten dotierte Auszeichnung der DDR, der 1953 gestiftete Karl-Marx-Orden, hinzu. Den 1954 gestifteten Vaterländischen Verdienstorden in Gold bekam er gleich zweimal, 1965 und 1970. Schulen und Straßen wurden nach ihm benannt. Der 13. Oktober war fortan der „Tag der Aktivisten“.

Heldenverehrung, verbunden mit einer unglaublichen Flut an Orden und Titeln, war ein fester Bestandteil der DDR-Politik. Ein politisches Regime, das seinen Bürgern materiell nicht viel bieten konnte, musste einen idealistischen Ausgleich schaffen, um die Masse ruhig zu stellen. Dafür wurden Helden gebraucht, die politisch nützliche Botschaften verkündeten. Im Kern ging es darum, das von Moskau aufgezwungene politische System mit solchen inszenierten Aktionen zu legitimieren. Den Menschen wurde suggeriert, dass alle Entbehrungen für den Aufbau einer besseren Gesellschaft erforderlich seien.

Abgesehen von Zeitgenossen wie Adolf Hennecke oder Josef Stalin wurden auch gerne historische Persönlichkeiten, die sich gegen eine Vereinnahmung nicht mehr wehren konnten, in den Mittelpunkt gestellt, wie beispielsweise Karl Marx. Die Heldenverehrung dieses Mannes kannte keine Grenzen. Jeder Student, egal, ob er Zahnarzt, Ingenieur oder Jurist werden wollte, musste einen erfolgreichen Abschluss im Fach „Marxismus-Leninismus“ (umgangssprachlich „ML“) vorweisen. Marx war allgegenwärtig, als Denkmal, Straßenname, Schiffsbezeichnung, und sogar eine ganze Stadt war nach ihm benannt, das vormalige und heutige Chemnitz.

In einem Schreiben der SED-Bezirksleitung Rostock, Abteilung Agitation/Propaganda, vom 30. Juni 1982 mit dem Vermerk „Persönliche Verschlußsache“ heißt es zum gebürtigen Westdeutschen und Preußen: „Am 14. März 1983 jährt sich zum 100. Mal der Todestag von Karl Marx, und am 05. Mai 1983 begehen wir gemeinsam mit allen Kommunisten und den fortschrittlichen Menschen der ganzen Welt die 165. Wiederkehr des Geburtstages des größten Sohnes des deutschen Volkes, des genialen Begründers des wissenschaftlichen Kommunismus, des hervorragenden Führers der deutschen und internationalen Arbeiterklasse, des glühenden Revolutionärs, des unermüdlichen Kämpfers für die Sache des Proletariats“. Die SED-Genossen schufen sich in ihrer Fantasie wieder einen „Führer“, den sie bejubeln konnten.

Instrumentalisierung der Medien
Keine staatliche Heldenverehrung funktioniert in einer modernen Massengesellschaft ohne Einbindung der Medien. Die völlig übertriebenen Lobeshymnen mussten in die Öffentlichkeit gebracht werden. Theoretisch hätte dieses Unterfangen der SED-Genossen am Widerstand der Medien scheitern können, denn im Artikel 27, Absatz 2 der dritten und letzten DDR-Verfassung aus dem Jahre 1974 hieß es: „Die Freiheit der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens ist gewährleistet.“ Doch zeigen die Akten heute auf, dass Theorie und Praxis weit auseinanderklafften. Die Medien erwiesen sich als willfährige Gehilfen des politischen Systems. Wenn SED-Genossen eine propagandistische Heldenverehrung wünschten, so war nicht die Frage, ob die Medien diesem Anliegen folgen wollten, sondern nur wie.

Die Allmacht der SED-Funktionäre erwählte Helden, beaufsichtigte deren Vermarktung, und wer sich willig einbinden ließ, hatte davon entsprechende Vorteile. Hennecke machte eine Karriere zum SED-Parteifunktionär. 1950 wurde er Mitglied der Volkskammer und später leitender Mitarbeiter der Staatlichen Plankommission und Mitglied des Zentralkomitees der SED. Hennecke starb am 22. Februar 1975. Seine letzte Ruhestätte fand er auf der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin.


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