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Nach wie vor findet man ehemalige Mitarbeiter der Securitate in Spitzenämtern von Staat und Gesellschaft
Im August 1944 schlug sich das Königreich Rumänien auf die Seite der Sowjetunion, die den Balkanstaat nachfolgend in ihren Machtbereich integrierte. Die logische Konsequenz aus dieser Entwicklung war das Verbot aller bürgerlichen Parteien, der Sturz von König Michael I. aus dem Hause Hohenzollern-Sigmaringen und die Proklamierung der Rumänische Volksrepublik (RPR), in der nachfolgend der Stalinist Gheorghe Gheorghiu-Dej zum ersten Mann im Staate aufstieg.
Zur Absicherung der kommunistischen Herrschaft verabschiedete das Präsidium der Großen Nationalversammlung in Bukarest am 30. August 1948 das Dekret 221/30 bezüglich der Gründung einer Abteilung für Staatssicherheit. Die Aufgabe dieser Abteilung, die meist nur Securitate genannt wurde, sollte im „Schutz der demokratischen Errungenschaften und der Garantie der Sicherheit der rumänischen Volksrepublik gegen alle äußeren und inneren Feinde“ bestehen.
40.000 hauptamtliche Mitarbeiter
Initiiert wurde das Ganze durch das sowjetische Ministerium für Staatssicherheit (MGB). Das sorgte auch dafür, dass sein Agent Gheorghe Pintilie alias Panteley Timofiy Bodnarenko erster Direktor der Securitate wurde und zwei weitere Rumänen im Dienste des Kreml namens Alexandru Nicolschi alias Boris Grünberg und Vladimir Mazuru die beiden Stellvertreterposten erhielten.
Die Securitate, die sowohl als Nachrichtendienst als auch als Geheimpolizei fungierte, entwickelte sich in der Folgezeit zu einer gigantischen Behörde mit schließlich 40.000 hauptamtlichen Mitarbeitern und rund 400.000 Informanten. Ihre Aufgaben waren überaus breit gefächert: Auslandsspionage, Desinformation und Bespitzelung der eigenen Bevölkerung, Kontrolle der Ein- und Ausreisen von Rumänen und Ausländern, Spionageabwehr im zivilen und militärischen Sektor, Betrieb von Foltergefängnissen und Zwangsarbeitslagern, Kooperation mit arabischen oder südamerikanischen Terroristen sowie auch Entführung und Ermordung missliebiger Personen.
So versuchte die Securitate, den übergelaufenen ehemaligen Vizechef des Geheimdienstes, Ion Mihai Pacepa, auf dessen Kopf der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceaușescu eine Belohnung von zwei Millionen US-Dollar ausgesetzt hatte, zu liquidieren. Dazu kam die Beseitigung von oppositionellen Bergarbeiterführern durch tödliche Dosen Röntgenstrahlung oder die Verschleppung von rumänischen Emigranten zurück in die „Heimat“, wo der Henker auf sie wartete.
Deshalb waren beispielsweise auch rumäniendeutsche Schriftsteller im Ausland wie Helmuth Frauendorfer, William Totok, Richard Wagner oder die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller in ständiger Gefahr. Außerdem gab es noch eine Securitate innerhalb der Securitate zur Enttarnung von Verrätern in den eigenen Reihen und paramilitärische Einheiten zum Schutz hoher Parteifunktionäre sowie der Fernseh- und Radiosender des Landes.
400.000 Informanten
Oftmals agierte die Securitate mit extremer Brutalität. Das unterschied sie deutlich von den anderen osteuropäischen Geheimdiensten, auch wenn diese ebenfalls nicht sonderlich zimperlich vorgingen. Ein Beispiel für das ausnehmend menschenverachtende Vorgehen in Rumänien ist das sogenannte Pitești-Experiment, das von Dezember 1949 bis September 1951 lief. Dessen Ziel bestand in der gewaltsamen Umerziehung von zumeist jungen politischen Gefangenen zu „kommunistischen Persönlichkeiten“. Dabei kam eine Kombination von sadistischer Folter und Psychoterror der perfidesten Art zum Einsatz, durch die wahrscheinlich mehrere Hundert Häftlinge starben beziehungsweise in den Suizid getrieben wurden.
Einzigartig war auch die demonstrative Zurschaustellung von Mordopfern. So hingen die gekreuzigten Leichen von vier erschossenen Kritikern der kommunistischen Landreform 27 Tage lang vor dem Rathaus von Teregova.
Extreme Brutalität
Dass die Staatssicherheit der DDR die 1955 auf Druck Moskaus abgeschlossene Kooperationsvereinbarung mit dem rumänischen Partnerdienst 1968 faktisch aufkündigte, resultierte allerdings nicht aus solchen Exzessen. Verantwortlich hierfür war vielmehr der politische Kurswechsel in Rumänien unter Ceaușescu. Der Nachfolger des 1965 an Lungenkrebs verstorbenen Gheorghiu-Dej wies den Führungsanspruch der Sowjetunion innerhalb der kommunistischen Bewegung zurück und näherte sich sukzessive dem Westen an. Die Konsequenz hieraus war unter anderem die Aufstellung einer speziellen Securitate-Abteilung, die den sowjetischen Geheimdienst KGB überwachen sollte.
8000 bis 200.000 Tote
Über die Gesamtzahl der Opfer der Securitate besteht nach wie vor keine abschließende Klarheit. Historiker gehen von 8000 bis 200.000 Toten und mindestens zwei Millionen Verfolgten aus. Viele Menschen traf es noch Ende 1989, als in Rumänien im Gegensatz zu anderen Ostblockstaaten ein blutiger Umsturz stattfand.
Dann schlug am 30. Dezember 1989 das letzte Stündlein der Securitate. Sie wurde aufgelöst und ihr Chef Iulian Vlad kurz darauf zu einer Haftstrafe von fast 25 Jahren verurteilt. Währenddessen passierte jedoch etwas, was charakteristisch für die Entwicklung Rumäniens nach dem Zusammenbruch des Kommunismus war. Statt ehemaliger Oppositioneller gelangten erneut Vertreter der alten Eliten wie das Mitglied des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei, Ion Iliescu, an die Macht. Das hatte unter anderem zur Folge, dass viele Mitarbeiter der Securitate in deren Nachfolgediensten SRI, SIE, SPP, STS, ORNISS, UM 0215 und BAT unterkamen. Im Auslandsnachrichtendienst SIE übernahm mit Mihai Caraman ein früherer Securitate-Generalmajor und Resident in Paris sogar die Leitung. Caraman hatte zwischen 1958 und 1968 erfolgreich gegen die NATO spioniert und dabei nebenher wohl auch für den KGB gearbeitet.
Mindestens zwei Millionen Verfolgte
Weitere Beispiele für Securitate-Spitzel oder -Offiziere, die in der Nach-Ceaușescu-Ära auf die eine oder andere Weise Karriere machten, sind Unternehmer, Medienzaren und Politiker wie Dan Voiculescu, Ioan Niculae, Sorin Ovidiu Vântu, Mona Octavia Muscă oder Dan Zamfirescu. Voiculescu, einst ein geheimer Devisenbeschaffer des Regimes, gründete 1991 eine Partei und schuf parallel dazu die Mediengruppe Intact. Er gehörte von 2004 bis 2012 dem rumänischen Senat an und war ab 2008 dessen Vizepräsident. Sein Vermögen wird auf über eine Milliarde Euro geschätzt.
Niculae ist Besitzer von Rumäniens führendem Agrar- und Düngemittelkonzern InterAgro und soll Milliarden zusammengerafft haben. Ihm wird vorgeworfen, Zuträger der Securitate gewesen zu sein. Aktuell sitzt er wegen verschiedener Finanzdelikte in Haft.
Kontinuität der Geheimdienste
Zu den enttarnten Spitzeln zählt der zeitweilig zweifache Milliardär und Eigner des Mediengiganten Realitatea–Caţavencu, Vântu. 2016 wurde er wegen Betruges zu acht Jahren Gefängnis verurteilt.
Mona Octavia Muscă saß von 1996 bis 2004 für die liberal-konservative PNL in der rumänischen Abgeordnetenkammer und fungierte danach kurzzeitig als Kulturministerin ihres Landes. Sie trat zurück, als bekannt wurde, dass sie sich in den 1970er Jahren zur Zusammenarbeit mit der Securitate verpflichtet und Berichte über ausländische Studenten verfasst hatte.
„Entkernung“ vor der Übergabe
Und dann wäre da noch Zamfirescu. Der frühere Securitate-Offizier zog 2013 für die nationalistische PRM ins Europaparlament ein. In den zwei Jahren seiner Tätigkeit als Europaabgeordneter stimmte er um die 600 Mal mit ja und kein einziges Mal mit nein.
Da die Täterakten zwischen 1990 und 2006 systematisch vom Inlandsgeheimdienst SRI und dem Auslandsnachrichtendienst SIE „entkernt“ wurden, bevor die Securitate-Archive geöffnet und deren Unterlagen dem Nationalen Rat für das Studium der Archive der Securitate (CNSAS), Rumäniens Pendant der deutschen Stasi-Unterlagenbehörde, übergeben wurden, gilt es als sicher, dass die geschilderten Fälle nur die Spitze eines ungleich größeren Eisbergs darstellen. Dem Historiker Cosmin Budeanca vom Bukarester Institut zur Erforschung der kommunistischen Verbrechen (IICCMER) ist nicht zu widersprechen, wenn er konstatiert: „Die frühere Securitate findet man heute noch in allen Lebensbereichen.“
Kumpanei von USA wie EU
Doch damit nicht genug: Auch die Geheimdienste, die auf die Securitate folgten und heute in dem EU-Mitgliedsstaat Rumänien agieren, arbeiten mit wenig rechtsstaatlichen Methoden beziehungsweise auf der Basis ominöser Geheimgesetze. Permanent fallen sie durch Skandale und Korruptionsaffären auf. Das hindert westliche Geheimdienste nicht, eng mit ihnen zusammenzuarbeiten. Zu nennen ist hier die Kooperation zwischen ORNISS und CIA beim Betrieb der geheimen Foltergefängnisse auf dem rumänischen Militärstützpunkt Mihail Kogalniceanu und in der Bukarester Mures-Straße 4, wo unter anderem die Top-Terroristen Abd al-Rahim al-Nashiri und Chalid Scheich Mohammed misshandelt worden sein sollen.
Wie die USA hat auch die EU ganz offensichtlich wenig Berührungsängste mit den Erben von Ceaușescus Schergen. So förderte die EU über ihr E-Government-Programm das SRI-Projekt SIIA mit 25 Millionen Euro, das auch das „Abhören von Kommunikation“ und die „Gesichtserkennung“ umfasst. Zudem gehört auch das Aggregieren vieler unterschiedlicher personenbezogener Daten von Bürgern innerhalb einer Datei zum Portfolio von SIIA. Auch hier basiert das Ganze auf Gesetzen, die geheim sind. Nach Ansicht der Nichtregierungsorganisation APADOR-CH verstößt das SRI-Projekt gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und ebnet den Weg für Sozialkreditsysteme nach chinesischem Vorbild. Insofern ist das Zusammenwirken von EU und SRI kein gutes Omen für die Zukunft Europas und Rumäniens.
Ben Jamin am 01.09.23, 15:17 Uhr
Die Aufnahme Rumäniens in die EU war entweder einer der größten strategischen Fehler in der EU-Osterweiterung überhaupt, oder böse Absicht, oder etwas dazwischen.
Gregor Scharf am 31.08.23, 14:19 Uhr
Diese Entwicklung ist nicht verwunderlich. Verwunderlich ist eher das Erstaunen darüber. Oder sollte man besser sagen, die gefühlte Naivität?
Ebenso interessant wäre es, für die deutsche Öffentlichkeit zu erfahren, wie viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter beim BND untergekommen sind und womöglich dort noch immer ebenso aktiv sind für die Lieben in Moskau. Man kennt sich halt und bleibt im Gespräch, festigt die alten Strukturen und knüpft ein paar neue Netze hinzu . . . Grundlage für die Ausbeutung der Schafe.