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Adventszeit

Himmelsboten aus dem Erzgebirge

Ein Markenzeichen mit nacktem Po – Die Engel einer Traditionsfirma aus Grünhainichen in Sachsen sind ein weltweiter Exportschlager

Silvia Friedrich
03.12.2022

Lieber Hans, ich sende Dir viele herzliche Weihnachtsgrüße und auch einen kleinen Weihnachtsengel...“, schrieb Margarete „Grete“ Wendt 1914 an ihren Bruder Johannes an die Front. Kurz zuvor hatte die Künstlerin, Designerin und spätere Unternehmerin den kindlichen Weihnachtsengel mit weißem Sternendekor auf grünen Flügeln entworfen.

Dieser Weihnachtsbote, heute benannt mit der Katalognummerierung „28er Engel“, war von Anfang an heiß begehrt und wurde weltberühmt. Die Musikanten-Engel mit nacktem Po und grünen Flügeln sind die berühmtesten Himmelsboten aus der Firma „Wendt & Kühn“ und weltweit millionenfach verkauft worden. Dabei ist das Gesicht dieser Figuren, kindlich mit Pausbacken, genau von der Künstlerin vorgegeben. Es braucht mehr als zwei Jahre, bis eine Malerin die Fertigkeit erlangt, den Figuren ihren unverwechselbaren Charakter zu geben.

Die Engel sind das Markenzeichen der Firma. Doch wie begann das alles? Eng verbunden mit der Traditionsfirma ist der Name Albert Wendt. Ohne ihn hätte es die Firma sicher nie gegeben. 1884 wurde Wendt Lehrer an der Gewerbeschule in Grünhainichen im Erzgebirge. Der fortschrittliche Pädagoge und spätere Direktor der Spielwarenfach- und Gewerbeschule des Ortes förderte die Entwicklung der Spielwarenherstellung und stand den technischen Neuerungen der Zeit offen gegenüber. Seine Tochter Grete wurde 1887 in diese Welt hineingeboren und von Beginn an vom Vater gefördert. Schon früh hatte er ihr Talent erkannt.

Wendt sorgte dafür, dass Grete von 1907 bis 1910 die Königlich-Sächsische Kunstgewerbeschule in Dresden besuchte. Bereits während des Studiums bekam sie vom Gründer der Deutschen Werkstätten Hellerau, Karl Schmidt, den Auftrag, eine Weihnachtskrippe zu entwerfen. Schmidt engagierte Grete sofort nach Studienabschluss als Zeichnerin für Spielzeugentwürfe und Möbel. Hellerau war Werk- und Denkstätte eines neuen Geistes der Moderne, von dem die junge Künstlerin ebenfalls beeinflusst wurde.

Auch in München war sie kurzzeitig tätig und kehrte 1912 mit Kenntnissen der süddeutschen Bauernmalerei wieder in die Heimat zurück. 1913 nahm sie mit ihrer heute legendären Figurengruppe „Beerenkinder“ am Wettbewerb für gute Reiseandenken des Vereins Sächsischer Heimatschutz teil. Sie bestand aus Kinderfiguren mit prallgefüllten Heidelbeerkörbchen. Ihre Entwürfe errangen mehrere Preise, denen viele Bestellungen folgten. Die Herstellung der Figuren erfolgte teilweise in der elterlichen Wohnung.

Doch Grete wollte mehr. Sie kam auf die Idee, sich mit einer eigenen Firma selbstständig zu machen. Ihre Studienfreundin Margarete Kühn war von der Idee ebenfalls begeistert. Am 1. Oktober 1915 war es soweit: Beide Frauen gründeten die offene Handelsgesellschaft „M. Wendt u. M. Kühn“.

Die Arbeit wurde so aufgeteilt, dass Grete Wendt vor allem in der Figurenbildnerei tätig war und ihre Kollegin Truhen sowie Spanschachteln kreierte und bemalte. Gretes Bruder Johannes überlebte den Ersten Weltkrieg, stieg 1919 als Mitinhaber in die Firma ein und wurde Leiter der kaufmännischen Abteilung. Das Unternehmen wuchs, und noch im selben Jahr meldete man das Firmenzeichen „Wettergezeichnete Fichte mit Insignien W. u. K.“ an. Ein Jahr, bevor sie 1921 heiratete, verließ Kühn die Firma.

In Russland interniert

Schon 1920 kam eine ebenso begabte junge Frau aus Riga, Olga Sommer, genannt „Olly“, spätere Ehefrau von Johannes Wendt, ins Geschäft und bereicherte das Unternehmen nun mit eigenen, kunstvoll baltisch angehauchten Figurengruppen aus ihrer Heimat. Weltruhm erlangte die Firma 1937 auf der Pariser Weltausstellung mit einer Goldmedaille und dem Grand Prix für Grete Wendts „Engelberg mit Madonna“. Die eigene künstlerische Handschrift der Schöpferin in der Tradition des Erzgebirges begeisterte die Menschen nun auch weltweit.

Auch für diese Firma war die Zeit des Zweiten Weltkriegs ein herber Einschnitt. Doch mit dem Modellbau von Schiffen und Militärfahrzeugen für Offiziersschulen konnte sich „Wendt & Kühn“ einigermaßen durchschlagen.

Aber dann schlug das Schicksal grausam zu, als Johannes Wendt im September 1945 verhaftet wurde und im Dezember des Jahres im russischen Internierungslager Tscherepowez verstarb. Die Familie wartete vergeblich auf seine Rückkehr und erfuhr erst Jahre später aufgrund eigener Nachforschungen von seinem Ableben. Ein Los, das viele Familien in dieser Zeit teilen mussten.

Die neuen politischen Verhältnisse verlangten nun eine große Umstellung für den Familienbetrieb. 1946 wurde die Firma zu 50 Prozent enteignet, Grete Wendt konnte jedoch ein Jahr später Firmenanteile mithilfe ihrer Mitarbeiter zurückerwerben. Der Sohn von Olly und Johannes Wendt, Hans, stieg 1954 in die Firma ein, nachdem er eine Drechslerlehre und ein Ingenieursstudium erfolgreich absolviert hatte. Er übernahm 1957 die Werkstattleitung und konnte, als der Betrieb 1972 zwangsverstaatlicht wurde, diesen unter dem Namen „VEB Werk-Kunst Grünhainichen“ als Betriebsdirektor weiterführen. Immerhin blieben die Buchstaben „W“ und „K“ erhalten.

Verstaatlichte DDR-Engel

Auch in dieser Ära passten Engel nicht grade ins politische Konzept, dennoch waren sie ein lukrativer Devisenbringer. So gingen über 90 Prozent der Herstellung in den Export. Der Massenproduktion konnte sich der Betrieb entgegenstellen und so seine Qualität erhalten.

Grete Wendt verließ ihre geliebte Firma mit dem Tag der Verstaatlichung und verstarb 1979 im Alter von 92 Jahren. Ihre Schwägerin Olly Wendt blieb bis ins hohe Alter von 87 Jahren in der Manufaktur. So konnte sie auch noch die Reprivatisierung am 1. Juli 1990 erleben, als Hans Wendt mit der Firma „Wendt & Kühn KG“ neu begann. 1997 übernahm Sohn Tobias den Staffelstab, um von 2002 bis 2010 den Traditionsbetrieb zu leiten.

Heute liegen Wohl und Wehe des erfolgreichen Unternehmens mit seinen 175 Mitarbeitern in den Händen der Geschwister Claudia und Florian. Zum Firmensitz gehört nach wie vor das Fachwerkhaus, das Grete Wendt einst erwarb. Im ebenso berühmten Ort Seiffen gibt es seit einigen Jahren auf 250 Quadratmetern eine „Wendt & Kühn“-Verkaufsgalerie, in der Besucher in die Welt der zauberhaften Figuren eintauchen können.

Die Kinder der schwedischen Königin Silvia wuchsen mit weihnachtlichen Spieldosen aus Grünhainichen auf, ebenso war Albert Schweitzer von dem Engelberg begeistert, sodass er diesen bei sich in Afrika aufgestellt hatte.

Kein Wunder, denn beim Anblick der Engelsfigürchen wird der Betrachter beinahe magisch in deren Bann gezogen. Das liegt auch daran, dass alle von Hand gemacht sind und so ihre ureigenste Seele erhielten. Liebhaber und Sammler weltweit würden dem sicher zustimmen.


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