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Sein Tod füllte ganze Zeitungsseiten: Nachruf auf Feuerbach in einer Wiener Zeitung
Foto: imago/PiemagsSein Tod füllte ganze Zeitungsseiten: Nachruf auf Feuerbach in einer Wiener Zeitung

Kultur

Ideengeber für Marx und Freud

Vor 150 Jahren starb der Philosoph Ludwig Feuerbach – In mancherlei Hinsicht war er einer der Wegbereiter des Sozialismus

H. Tews / M. Stolzenau
08.09.2022

Im Jahr 1841 ist ein epochemachendes philosophisches Werk erschienen, das nicht von Hegel, Marx oder Schopenhauer stammte. Mit seinem religionskritischen Buch „Das Wesen des Christentums“ schuf Ludwig Feuerbach ein Werk, das im Vormärz auf fruchtbaren Boden stieß. In Zeiten, als man gegen Restauration und Katholizismus aufbegehrte, schienen Feuerbachs Ideen von einer Trennung von Religion und menschlicher Natur geradezu revolutionär.

In „Das Wesen des Christentums“ kommt Feuerbach zu dem Schluss, dass sich die Religion vom Menschen abgespalten und in einem Götzendienst mit leeren Gottesdienstformeln verwandelt hat. Zugleich erkennt er, dass das Religiöse in der Natur des Menschen liege, es mache sein Wesen aus. Dass der Mensch seine Wünsche, Träume und Sehnsüchte außerhalb seiner selbst in eine Gottheit projiziere, wie Feuerbach darlegt, wird man ein halbes Jahrhundert später bei Sigmund Freud, der „Das Wesen des Christentums“ genau studiert hat, nachlesen können. Ohne dass bei Feuerbach das Wort „Psyche“ auftaucht, hat er dennoch einen enormen Einfluss auf die moderne Psychologie gehabt.

Feuerbach war zunächst Hegelianer, ehe er die Grundlagen des Idealismus und der Religion einer scharfen Kritik unterwarf und in Umwandlung eines Goethe-Worts aus den „Xenien“ zu der Erkenntnis gelangte: „Wer Wissenschaft hat, braucht die Religion nicht.“ Daraus resultierte seine programmatische Hauptforderung: „Nicht die Menschen religiös machen, sondern zu bilden, Bildung durch alle Klassen und Stände zu verbreiten, das ist ... die Aufgabe der Zeit.“

Mit seiner Kritik an den dunklen Seiten der deutschen Wirklichkeit, am Despotismus und an dessen Hang zur Mystik beförderte er die Aufklärung und den Kampf für Demokratie sowie sozialen Fortschritt. Nach Kant, Hegel und Fichte war es Feuerbach, der die klassische deutsche Philosophie weiterentwickelte, ohne allerdings ein philosophisches System zu entwerfen. Es war ein Denker wie Marx, der mit seinen „Thesen über Feuerbach“ eine materialistische Geschichtsauffassung auf Grundlage des Feuerbachschen Denkens konstruierte.

Der am 28. Juli 1804 in Landshut geborene Sohn einer hessischen Pfarrer- und Beamtenfamilie besuchte in Berlin die Vorlesungen Hegels und wurde neben David Friedrich Strauß, dem späteren Autor des monumentalen Werks „Das Leben Jesu“, zu einem der führenden Köpfe der Junghegelianer. Doch je tiefer Feuerbach in Hegels Überlegungen eindrang, umso kritischer reagierte er. Noch während seiner Dozententätigkeit an der Universität Erlangen veröffentlichte er mit „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ ein Hegel-kritisches Werk.

Führender Kopf der Junghegelianer

Wegen seiner Religionskritik wurde Feuerbach von den Theologen rundum abgestraft und in Erlangen entlassen. Alle weiteren Bewerbungen um eine Universitätsanstellung wie in Paris, Bern und Bonn scheiterten. Er wurde ins gesellschaftliche Abseits gestellt und heiratete die Mitbesitzerin einer Porzellanfabrik in Bruckberg bei Ansbach. Mit ihr zog sich der gemaßregelte Philosoph auf Schloss Bruckberg zurück, wo er fortan ein zurückgezogenes Leben führte, das er nur im Revolutionsjahr 1848/49 unterbrach.

Auf Einladung von Studenten hielt er im Rathaus von Heidelberg öffentliche Vorlesungen. Zu seinen Zuhörern zählte auch der Dichter Gottfried Keller, der Feuerbachsche Gedanken in seinen Roman „Der grüne Heinrich“ einfließen ließ. Ansonsten hielt sich Feuerbach in Bruckberg von der Tagespolitik fern. Eine Kandidatur zur Frankfurter Nationalversammlung lehnte er ab. Er pflegte lediglich losen Kontakt zu den Junghegelianern und zu einigen Revolutionären wie Georg Herwegh und Karl Marx.

Neben seinem Hauptwerk „Das Wesen des Christentums“ erschienen in dieser Zeit von ihm die anfangs von der Zensur behinderten „Vorläufigen Thesen zur Reform der Philosophie“, „Grundsätze der Philosophie der Zukunft“ und „Das Wesen der Religion“. Darin ersetzte Feuerbach „die trunkene Spekulation ... durch die nüchterne Philosophie“. Er sah in der Bildung nicht nur ein Mittel gegen den religiösen Aberglauben, sondern auch den Schlüssel zur Freiheit. Als Materialist existierte für ihn die Natur unabhängig vom Bewusstsein. Indem er die Abhängigkeit des Psychischen von der Körperlichkeit des Menschen ergründete, fasste er die Grundfrage nach dem Verhältnis von Sein und Bewusstsein als Frage nach dem Verhältnis von Körper und Seele auf.

Indem er sich auf die Materialisten des 17. und 18. Jahrhunderts berief, schrieb er, dass sein erster Gedanke Gott war, sein zweiter die Vernunft und der dritte die des Menschen, der in das Zentrum allen Seins rückt. In diesem Zusammenhang kam Feuerbach zur Erkenntnis, dass die „materielle Welt nicht nur objektiv existiert, sondern dass sie auch prinzipiell erkennbar ist, dass die Menschen in der Lage sind, die Wirklichkeit richtig zu verstehen, dass Philosophie und Wissenschaft von der Anerkennung der objektiven Wahrheit ausgehen müssen“. Daraus leitete er die Notwendigkeit einer Reform der Philosophie ab.

Das übernahmen Marx und Engels für ihn, die auf Grundlage des Feuerbachschen Denkens den dialektischen Materialismus entwickelten und die Philosophie in sozialistische Bahnen lenkten. In seinen letzten Lebensjahren las Feuerbach „Das Kapital“ von Marx und trat in die Sozialdemokratische Partei ein. Darüber starb Feuerbach in zuletzt ärmlichen Verhältnissen am 13. September 1872 auf dem Rechenberg in Nürnberg. Seit dem Jahr 2001 pflegt der in Augsburg beheimatete Bund für Geistesfreiheit die Erinnerung an den Philosophen mit dem „Ludwig-Feuerbach-Preis“.


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Kommentare

sitra achra am 12.09.22, 14:04 Uhr

In der elften These zu Feuerbach, die Marx während seiner Verbannung 1845 in Brüssel verfasste, rief er zur Politisierung der vorgefundenen Verhältnisse auf. Darin unterschied er sich von Feuerbach, der den Zustand der Welt objektiv erkennt, aber nicht dagegen aufbegehrt.
Auch heute gibt es scheinbare Sachzwänge, die Ausdruck einer menschenfeindlichen Austeritätspolitik sind und die es zu verändern gilt. Die Demokratie ist kein Waschautomat der sozialen Gerechtigkeit, wie wir derzeit erleben.

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