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Ukraine

Ihr Zentrum ist St. Paul in Odessa

In 15 deutschen, evangelisch-lutherischen Kirchengemeinden leben rund 2000 bis 3000 Mitglieder

Bodo Bost
06.03.2022

Hinweis: Dieser Beitrag ist vor dem Kriegsausbruch am 24. Februar verfasst worden. Er beschreibt also die Ausgangslage vor dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Ende Januar richtete der Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine (DELKU), Pawlo Schwarz, einen dramatischen Appell an seine zwei- bis dreitausend Kirchenmitglieder in 15 Kirchengemeinden in der Ukraine: „Unser Land ist seit 2014 Opfer russischer Aggression, unsere Gemeinden auf der Krim wurden von der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine abgeschnitten.

Die Gemeinden in Donezk und Makeevka leben unter schwierigsten Bedingungen, ein großer Teil ihrer Mitglieder hat den Donbass verlassen. In den besetzten Gebieten Krim und Donbass sowie an der russisch-ukrainischen und weißrussisch-ukrainischen Grenze konzentrieren sich die Angriffsgruppen der russischen Armee. Millionen von Menschen werden möglicherweise angegriffen.“

Schon ab dem Aufstieg Kiews zur Hauptstadt der Rus 882 und der von Kiew ausgehenden Christianisierung der Rus ab 988 gab es teilweise enge Beziehungen der Ukraine zu Deutschland, zunächst vor allem zu Bayern. Später waren es primär Norddeutsche und Ostpreußen, die sich in der Ukraine engagierten. Unvergessen sind der aus Königsberg stammende zweite Rektor der Kiewer Akademie Innozenz Giesel (1600–1683), der 1647 auch Archimandrit des Kiewer Höhlenklosters wurde, und der Stadtarchitekt Kiews, der aus Wandsbeck bei Hamburg stammende Architekt Gottfried Johann Schädel (1680–1752), dessen Bauten bis heute das Stadtbild Kiews prägen.

Im 18. und 19 Jahrhunderts beeinflussten vor allem Baltendeutsche das russische Kiew. Der deutsche Militärarzt Christoph Casimir Lerche bekämpfte 1770/71 erfolgreich die Pest in Kiew, die erste private Apotheke wurde von dem Baltendeutschen Georg F. Bunge errichtet, der zum Begründer einer bekannten Kiewer Familiendynastie wurde.

Nach Angaben der gesamtukrainischen Volkszählung 2001 leben in der Ukraine über 33.000 ethnische Deutsche. Mehr als 170 deutsche gesellschaftliche Organisationen sind aktiv. 1931 lebten noch 700.000 Deutsche in 252 Siedlungen und Städten und sieben deutschen Landkreisen in der Ukraine. Diese wurden schon vor dem Zweiten Weltkrieg aufgelöst. 1941 beziehungsweise 1945 wurden fast alle Deutschen aus der Ukraine nach Zentralasien deportiert. Erst ab 1972 durften einzelne in ihre Heimatdörfer zurückkehren. Bis 1991 sind etwa 38.000 Deutsche in die Ukraine zurückgekehrt, vor allem in das Gebiet Odessa, wo die Siedlungen Peterstal und Alexanderhilf für sie neu aufgebaut wurden.

Auch einige neue evangelische Kirchen sind entstanden, und einige Dörfer haben ihre deutschen Namen zurückerhalten. Nachdem ab 2015 die Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche der Ukraine von einer Spaltung bedroht war, kam ab 2019 wieder Ruhe in die Kirche mit der Wahl von Bischof Schwarz, der seit letztem Jahr auch wieder in Odessa residiert.

Um die 170 Organisationen

Der Rat der Deutschen der Ukraine (RDU) ist das Hauptkoordinierungsorgan der Ukrainedeutschen. In mehr als 60 ukrainischen Städten und Dörfern befinden sich deutsche Kulturzentren, sogenannte Begegnungszentren, in denen die deutsche Sprache und Geschichte unterrichtet wird. Das Kulturleben blüht, insgesamt gibt es in der Ukraine 23 deutsche Vokalensembles, ein Dutzend deutsche Tanzgruppen und ein halbes Dutzend deutsche Theatergruppen.

Der Vorsitzende des Rates der Deutschen der Ukraine ist Wolodymyr Leysle. Er selbst ist in Riga geboren, in Kasachstan aufgewachsen und hat viele Jahre in der Krimhauptstadt Simferopol gelebt. Er hat in einem Interview mit der „Deutschen Allgemeinen Zeitung“ in Kasachstan vor Panikmache gewarnt und erklärt, dass die Ukrainer schon seit 2014 mit täglichen Verlustmeldungen leben.

Das Zentrum der DELKU ist die Paulskirche in Odessa, die nach fast zwanzigjähriger Renovierung den Ukrainedeutschen 2010 wieder zurückgegeben wurde. Auch die Katharinenkirche im Zentrum Kiews erhielt die deutsche Gemeinde nach zehnjährigem Kampf im Jahre 2000 zurück. Seit September 2008 gibt es auch wieder eine Deutsche Schule in Kiew. Die deutschen Sprachkenntnisse waren bei fast allen Ukrainedeutschen 1989 fast vollkommen verschwunden.

Nur in zwei deutsch-böhmischen beziehungsweise fränkischen Sprachinseln der Karpatoukraine im Tereschwa- beziehungsweise Mokratal sowie Schenborn und Pausching bei Munkatsch, die in der Zwischenkriegszeit noch zur Tschechoslowakei gehörten, war die deutsche Sprache nie erloschen. Es sind die einzigen noch geschlossenen ländlichen, deutschen Siedlungen in der Ukraine.

Die vorwiegend katholischen Dörfer waren auch die einzigen deutschen Siedlungen im europäischen Teil der Sowjetunion, die von den Deportationen der Stalinzeit verschont blieben, weil der Partisanenkrieg der ukrainischen Nationalisten nach 1945 die Kommunikationswege der damals sowjetischen Ukraine bis weit in die 1950er Jahre unterbrochen hatte.


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