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Von Minnesängern bis zur Love-Parade – Berliner Deutschlandmuseum setzt Meilensteine deutscher Historie hollywoodreif in Szene
Unheimlich ist es, wenn man sich bei der Varusschlacht im Jahre 9 nach Christus mitten in einem dunklen Wald wähnt, während um einen herum die Germanen und Römer gegeneinander kämpfen. Überall hört man Geräusche, sieht Schatten römischer Krieger vorbeiziehen, hört versteckte Germanen hinter den Bäumen hocken, die nur auf eine passende Gelegenheit warten loszuschlagen. Wilde Tiere geben unbekannte Laute von sich, und man ist froh, dass man sich doch nur in einem sicheren Museum befindet.
Wer im Geschichtsunterricht in der Schule häufig mit gähnender Langeweile zu kämpfen hatte, weil die Fakten in den Geschichtsbüchern oft so trocken daherkommen, ist mit einem Besuch im Berliner Deutschlandmuseum bestens beraten. Seit dem 17. Juni 2023, das Datum wurde mit Absicht auf den Gedenktag gelegt, gibt es in der Mitte der Stadt am Leipziger Platz dieses Haus, das im März dieses Jahres für sein bahnbrechendes Konzept sogar mit dem „Thea Award“ den sogenannten Museums-Oscar verliehen bekam – und das als erstes deutsches Museum überhaupt.
Aber was ist nun das Besondere hier? Allein schon der Standort ist bedeutend. Der Leipziger Platz war zu Zeiten der Teilung Berlins eine Einöde, wo kein Haus, kein Baum mehr stand, da sich hier die Mauer und das schwer bewachte Grenzgebiet befand. Inzwischen ist alles neu bebaut, und niemand erkennt mehr, dass sich an dieser Stelle, mitten in der Millionenstadt, Fuchs und Hase gute Nacht sagten, nur beobachtet von den Grenzern in den umliegenden Wachtürmen.
Vierdimensionales Erlebnis
Der Gründer des Museums, Robert Rückel, der auch Gründungsdirektor des Berliner DDR-Museums und Direktor des auch am Leipziger Platz beheimateten Spionagemuseums ist, hatte die Idee, dem etwas verstaubten Image klassischer Museen etwas Neues entgegenzusetzen. Auch damit seine Kinder die deutsche Geschichte einmal ganz anders und so echt wie möglich erfahren können. Das Historiker-Team des Museums erarbeitete zusammen mit dem Chefdesigner des Europa-Parks, Chris Lange, ein Konzept, das inspiriert wurde durch die Filmbranche und Erlebnisparks.
Im „normalen“ Museum schaut man sich Vitrinen und Objekte an und liest sich durch die Beschriftungen. Im Deutschlandmuseum gibt es diese Erläuterungen zwar auch, jedoch sind die Erlebnisräume so gestaltet, dass der Besucher Teil des Ganzen wird, er sozusagen eintaucht in die jeweils dargestellte Welt, denn nicht nur die Wände sind zum Thema passend gestaltet, sondern auch Decken und Böden. Auf 1400 Quadratmetern Fläche und unterteilt in zwölf Themenbereiche schufen Spiele-Entwickler, Graphiker und Designer eine Dauerausstellung, die ihresgleichen sucht. Mittels neuester medialer Technik werden in diesem 4D-Museum die Sinne Hören, Sehen, Riechen und Fühlen angesprochen.
Es handelt sich um ein immersives Erlebnis, was bedeutet, einzutauchen in die jeweiligen Epochen. Die Besucher werden Teil der Geschichte, weil sie sich mitten im Geschehen befinden durch technisch realistisch gestaltete Welten, lebensechte Projektionen, Effekte und Klanglandschaften. Durch spezielle Beleuchtung und Aufbauten wähnt man sich etwa in einer Burg, aus deren Fenster man im Hof die grade stattfindenden Ritterspiele beobachten kann oder Bauern vor den Stadttoren bei der Ernte zuschaut, wie sie das Korn schneiden. In einer Art Burgturm können sich Besucher an einem selbstverfassten Minnelied versuchen, was anschließend in Mittelhochdeutsch übersetzt wird.
Görings Sonnenbrille
Die Gäste schreiten weiter durch die Jahrhunderte, bekommen Einblicke in die politischen Systeme der jeweiligen Zeiten, erfahren Genaues über die Völkerwanderung, wie sich Städte bildeten, welche Sprache gesprochen wurde, wie Kriege geführt wurden und welche bedeutenden Umwälzungen in der Geschichte stattfanden, so etwa Gutenbergs Erfindung des Buchdrucks. Hierzu befindet man sich dann in einem Raum, der Gutenbergs Druckerstube nachempfunden wurde, und jeder Besucher kann sich ein Lesezeichen mit seinem Monogramm nach alter Manier zum Mitnehmen drucken.
Immanuel Kants Kopf liegt überragend im Themenbereich Aufklärung in der Mitte des Raumes, und nicht nur symbolisch dürfen hier die Kinder auf seinem Haupt herumklettern. Die Bildung des Nationalstaates wird anschaulich präsentiert, und jeder darf sich seine eigene Flagge zusammenstellen. Immer wieder gibt es kleine Haltepunkte mit Quizfragen zum Abfragen des eigenen Wissens und zum Erlernen neuer Fakten.
Imposant ist auch die Präsentation zum Ersten Weltkrieg, wo sich Besucher in einem Gefechtsunterstand wiederfinden. Ein Grabenperiskop mit einer fotorealistischen Großformatprojektion gibt Einblicke in das zerstörte Niemandsland der Westfront. Gleich danach erklingen wilde Klänge aus den 1920er Jahren. Eine Straße im alten Berlin kann durchwandert werden, wo man dunkle Gestalten in Hausecken beobachtet, aber auch die Tanzenden in den Bars der Stadt. Von der Varusschlacht über das Mittelalter, Reformation, Aufklärung, Deutscher Bund, Kaiserreich, Weimarer Republik, Nationalsozialismus, deutsche Teilung bis zum vereinigten Deutschland, wo man sich in einer nachgebauten Berliner U-Bahn befindet und freudige Dinge wie die Love-Parade oder das Fußball-Sommermärchen von 2006 an einem vorbeirauschen, erlebt man deutsche Geschichte hautnah.
Verstreut in den Räumen gibt es echte Exponate wie eine Biedermeierpfeife, eine Pickelhaube, ein mittelalterliches Richtschwert oder eine Sonnenbrille, die den Angeklagten bei den Nürnberger Prozessen als Lichtschutz in dem stark ausgeleuchteten Raum gereicht wurde.
Vielleicht ist dieses Museum nichts für renommierte Geschichtskenner, jedoch kann man so bei der jungen Generation mit Sicherheit Interesse für unsere Vergangenheit wecken.
Bei den vielen prächtigen Museen, die Berlin zu bieten hat, wird dieses Haus nach einem Besuch möglicherweise den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen.
Geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr. Zeitfensterkarten zwischen 11 und 23 Euro sind online buchbar unter: www.deutschlandmuseum.de