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Wollin an der Dievenow, abseits des Hauptverkehrs gelegen: Das beschauliche Städtchen hat historisch allerei zu bieten
Foto: Erwin RosenthalWollin an der Dievenow, abseits des Hauptverkehrs gelegen: Das beschauliche Städtchen hat historisch allerei zu bieten

Hinterpommern

Im Stettiner Haff – Wollin auf Wollin

Der „Doktor Pomeranus“ kam von der geschichtsträchtigen Stadt auf der kleinen Ostseeinsel

Erwin Rosenthal
23.07.2021

Jumne - Jomsburg - Vineta - Wollin? Die Stadt Wollin [Wolin] ist auf einem sehr geschichtsträchtigen Terrain erbaut worden. Wollin, die kleine Landstadt auf der Ostseeinsel gleichen Namens, hatte im Jahre 1939 – ebenso wie heute – etwa 5000 Einwohner. Der Besucher sollte dennoch einen ganzen Tag für die Stadt an der Dievenow einplanen, denn sie hat allerlei zu bieten.

Das Stadtzentrum macht einen eher behäbigen Eindruck. Am Markt befinden sich das Rathaus und die Post, die im Gebäude der früheren Stadtsparkasse untergebracht wurde. In einem Nebengebäude des ehemaligen Realgymnasiums hat das Heimatmuseum seinen Platz gefunden. Auf dem Markt verkaufen Bauern ihre Produkte, ein Bäcker bietet in einer Nebenstraße appetitlichen Kuchen und andere Backwaren an. Am nahen Bollwerk genießen Segler an Deck ihrer kleinen Yachten die Sonne. Erst nach dem nächsten Brückenzug können sie ihren Törn zum Camminer Bodden und zur Ostsee fortsetzen. Bereits im Jahre 1124 hatte es an dieser Stelle eine hölzerne Brücke gegeben. Angler warten geduldig auf den „Biss“, während ein Fischer Plötzen und Barsche aus seinem Netz pult. Den Bahnhof und die Eisenbahnbrücke über die Dievenow passieren in schneller Fahrt und ohne Halt Züge der Linie Swinemünde–Stettin. Die zweite der drei Dievenow-Brücken ist der Europastraße 65 vorbehalten, die über 3800 Kilometer von Schweden bis nach Griechenland führt. Sie tangiert lediglich die Stadt, kaum ein Autofahrer drosselt hier das Tempo.

Am Rathaus prangt eine Gedenktafel. Ihre Inschrift – frei übersetzt – lautet: „Zum Gedenken an den Anschluss Westpommerns an Polen vor 1000 Jahren, 967–1967, gestiftet von den Einwohnern Wolins. Wolin, den 21.09.1967“. Der Text verweist auf den Feldzug des polnischen Herzog Mieszko I. nach Pommern. Allerdings konnte Mieszko das slawisch-wikingische Handelszentrum Jumne mit der Jomsborg offensichtlich nicht einnehmen. In dem sehenswerten polnischen Film „Es war einmal Pommern – Było sobie Pomorze“ berief sich der Bürgermeister der Stadt Wollin ebenfalls auf Mieszko.

Die deutsche Geschichte der Stadt wurde lange Zeit verdrängt, Wollin als urpolnische Stadt ausgegeben. Um zu verhindern, dass die Stadt völlig geschichtsleer war, wandte man sich dem Mittelalter zu. Seit Jahrzehnten wird in Wollin jährlich das Festival der Wikinger und Slawen gefeiert, das zu den wichtigsten historisch-archäologischen Veranstaltungen in ganz Mitteleuropa gezählt wird.

Stadt Johannes Bugenhagens

Vis-à-vis vom Rathaus reckt die Nikolaikirche ihren Turm in die Höhe. Das Gotteshaus, ein spätgotischer, im Verlaufe der Zeit stark veränderter Backsteinbau, war bereits im 13. Jahrhundert erbaut worden, während der barocke Westturm aus dem Jahre 1705 stammt. Die Kirche wurde, ebenso wie die ganze Stadt, im Jahre 1945 erheblich beschädigt und in den 1990er Jahren auch mit deutscher Hilfe wieder aufgebaut. In der Nähe der Nikolaikirche erinnert eine hölzerne Tafel an den wohl bekanntesten Sohn der Stadt, den pommerschen Reformator und Beichtvater Luthers, Johannes Bugenhagen (1485–1558), auch Doktor Pomeranus genannt. Bugenhagen hatte die erste evangelische Kirchenordnung für Pommern, Lübeck, Braunschweig, Hamburg, Wittenberg und Dänemark verfasst. Durch seine Heirat mit Walpurga brach der Reformator vor Luther das Zölibatsgebot der katholischen Kirche.

Die St. Georgskirche und das Gotteshaus der Altlutheraner, die Martinskirche, hat man nach dem Kriege abgetragen, die frühere Synagoge in der ehemaligen Wallstraße dient heute als Wohnhaus. Die Sankt-Adalberts-Kirche (später als St. Georg geweiht) erbaute man nach der Christianisierung der Stadt durch Otto von Bamberg auf jenem Platz, auf dem sich der slawische Tempel mit der Statue des dreiköpfigen Triglav, die Festhalle für religiöse Feiern und der Wohnsitz der Priester befanden. 1140 bestimmte der Papst die Kirche des heiligen Albert zum Sitz des neuen, unter dem Schutz Roms stehenden Bistums.

An mehreren Stellen sind in der Stadt die Spuren von Grabungen zu entdecken. Gegen Ende des 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hatten Archäologen und Historiker, darunter der damalige Direktor des Pommerschen Landesmuseums in Stettin, Otto Kunkel und Karl August Wilde, hier mit ausgedehnten Grabungen begonnen. Aus den Funden schloss man auf eine für das Mittelalter sehr große Ansiedlung, in der etwa 8000 Menschen lebten. Kunkel und Wilde waren schließlich überzeugt, eine archäologische Bestätigung für die These geliefert zu haben, dass Wollin auf den Trümmern jener Stadt aufgebaut worden war, die den Hintergrund der Vineta-Sage bildete. Der Greifswalder Historiker Adolf Hofmeister hatte im Jahre 1931 die heute in der pommerschen Historiografie allgemein akzeptierte These formuliert, dass Vineta, Jumne, Julin und Jomsborg mit der Frühstadt, die sich an der Stelle des heutigen Wollin befand, identisch sei. Martin Wehrmann, der Altmeister der Geschichte Pommerns, teilte diese Überzeugung.

Östlich der Stadt teilt sich die behäbig dahinfließende Dievenow in drei Arme, die zwei Inseln einschließen. Auf einer dieser Inseln, der Plage-Insel, befindet sich die „Slawen- und Wikingersiedlung Wollin“. Der Weg zu diesem sehenswerten archäologischen Freilichtmuseum, das der Blütezeit Jumnes/Julins gewidmet ist, führt über die dritte Brücke, die Stadtbrücke, zunächst aufs hinterpommersche Festland nach Hagen und von dort aus über eine weitere kleine Brücke zur „Plage“. „Jomsborg–Wineta-Wolin“ steht über dem Haupttor zum Museumsdorf, das aus 27 stilecht eingerichteten Hütten, vier Toren, einem Wall mit Palisaden und einem Hafen mit Kai besteht. Im Dorf führen Mitarbeiter des Museumsdorfes und Mitglieder des Museumsvereins handwerkliche Arbeiten vor, wie sie zur Zeit der Wikinger üblich gewesen sein könnten. Frauen und Mädchen, gekleidet in historischen Trachten, spinnen, weben oder bereiten Essen zu. Experimentelle Archäologie heißt diese Art der Forschung und Vermittlung des Lebens im Frühmittelalter.

Historiker des Mittelalters, etwa Adam von Bremen, Saxo Grammaticus und Helmold von Bosau, haben jene Stadt beschrieben, der hier ein Denkmal gesetzt wird. Für Adam war sie gar die größte Stadt Europas. Auch in der isländischen Sagenwelt finden sich Aussagen über die Ansiedlung an der Odermündung. Allerdings lieferten die Genannten nur eine vage Ortsbestimmung für die von den Wikingern gegründete Handelsmetropole.

Silberschatz und Goldscheibe

Südlich der Stadt befindet sich der Galgenberg. Auf diesem Berg, der heute als archäologisches Reservat gilt, befand sich einst die Begräbnisstätte der frühmittelalterlichen Stadt. Vierunddreißig der dreiundneunzig um 1900 vorgefundenen Hügelgräber, die zwischen der Bronzezeit und der Slawenzeit angelegt wurden, sind bis heute erhalten geblieben. Ihr Durchmesser beträgt fünf bis 20 Meter. Die intensivste und ergebnisreichste Erkundung der Nekropole auf dem Galgenberg und auf dem nördlich der Stadt gelegenen Silberberg hatte im Jahre 1897 der Konservator des Museums der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde in Stettin, Adolf Stubenrauch, vorgenommen. Noch im Jahre 2004 wurde auf dem Hügel ein etwa 2000 Jahre altes germanisches Grab entdeckt.

Im Jahre 2018 erregte der „Silberschatz von Schaprode“ Aufsehen. Er enthielt auch 100 Silbermünzen als Prägungen des dänischen Königs Harald Blauzahn, der im Jahre 950 die Jomsburg gegründet haben soll und dort 985 oder 986 starb. Viel beachtet wurde auch eine 2014 der Öffentlichkeit vorgestellte Goldscheibe, auf der in lateinischer Sprache der König Blauzahn erwähnt wird. Sie wurde zwischen 960 und 1125 hergestellt und gehört zu einem Wikingerschatz, der im Jahr 1841 bei Umbauarbeiten in der Kirche des hinterpommerschen Dorfes Groß Weckow, wenige Kilometer östlich von Wollin gelegen, entdeckt wurde.

Im Norden Wollins befindet sich der nur 13 Meter hohe Silberberg. Den auf dem Berg vergrabenen Schatz könne nur heben, heißt es in der Sage, wer um Mitternacht schweigend ein schwarzes Huhn, einen schwarzen Bock und eine schwarze Katze opfert. Offensichtlich haben hier bisher nur Tierfreunde oder Plaudertaschen nach dem Schatz gesucht, denn niemand hat ihn bisher entdeckt.


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