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Foto: Thiede

Im Tempel weiblicher Tugend

250 Jahre Schloss und Landschaftsgarten Luisium in Dessau-Waldersee

Veit-Mario Thiede
22.09.2024

Eine der schönsten Anlagen im Unesco-Weltkulturerbe Gartenreich Dessau-Wörlitz ist das Luisium. Es war ein Geschenk des Fürsten Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau an seine Gemahlin Luise von Brandenburg-Schwedt, die es als Sommersitz nutzte. Die feierliche Grundsteinlegung erfolgte an Luises 24. Geburtstag: dem 24. September 1774.

Am östlichen Eingang des 250 Jahre alten Anwesens, das zum Schutz vor Hochwasser des nahen Flusses Mulde drei Erdwälle umgeben, stehen zwei nach englischem Vorbild errichtete neugotische Torhäuschen aus rotem Backstein. Linker Hand erheben sich die Wirtschaftsgebäude. Rechts bleibt der Blick an einer zierlichen steinernen Dame im faltenreichen Gewand hängen, die auf einem ausladenden Sockel steht. Die rätselhafte Erscheinung hat die betenden Hände unter einer Stoffbahn verborgen. Merkwürdiger noch ist die Verhüllung ihres Hauptes mit einem Schleier, der von der Stirn bis zur Nasenspitze reicht. Niemand weiß mehr, wen die Skulptur darstellt. Die Dessauer nennen sie „die Nonne“.

Der von mächtigen Edelkastanien gesäumte Weg führt an einem als Ruine erbauten römischen Torbogen vorbei. Zum alten Baumbestand des 14 Hektar großen Landschaftsgartens gehören auch Wymouth- und Schwarzkiefern, Eiben, Lärchen, Eichen und Tulpenbäume. Abgestorbene Bäume recken ihre brüchigen Äste gen Himmel. Es empfiehlt sich also, auf den geschlängelten Wegen zu bleiben.

In einem Weiher, den eine zierliche weiße Bogenbrücke überspannt, spiegelt sich das auf einem Hügel stehende Schlösschen. Der auf quadratischem Grundriss errichtete Backsteinbau ist verputzt und gelb gestrichen, der Sandsteinsockel sowie die Fenster- und Türrahmen sind weiß getüncht. Auf dem Pyramidendach sitzt ein kleines Belvedere, dessen vier Eckeinfassungen erstaunlicherweise zu Schornsteinen ausgebaut sind.

Getreu dem Motto des Fürsten Franz und seines Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden, zeichnet sich das Luisium durch schlichte Eleganz aus und ist einer der Gründungsbauten des deutschen Klassizismus. Erdmannsdorffs bauliche Grundlagen bildeten das Studium der antiken Baukunst und des englischen Klassizismus, das er wie auch der Fürst und die Fürstin auf ausgedehnten Bildungsreisen betrieb.

Die in Italien und Großbritannien erworbenen Kenntnisse finden auch in der weitgehend erhalten gebliebenen Innenausstattung ihren Niederschlag. Der Festsaal nimmt fast das gesamte erste Hauptgeschoss ein. Breite Pilaster aus grünlichgrauem und weißlich geflecktem Stuckmarmor bestimmen den zunächst vorherrschenden Eindruck von schwergewichtiger Feierlichkeit. Anmutig leicht und farbenfroh wirken sodann die auf die Wand gemalten Medaillons mit den weiblichen Allegorien der Malerei, Dichtkunst, Philosophie und Musik.

Auch die vom Berliner Maler Johann Fischer ausgeführte Deckengestaltung geht auf Erdmannsdorffs Entwurf zurück. Ihr Thema sind die weiblichen Tugenden. In den Bildfeldern sind die Allegorien der Sanftmut, Treue und Bezähmung der Begierde dargestellt. In der Allegorie der Ehre und des guten Rufs wehrt eine Frau mit Schutzschild und Keule einen Drachen ab. In der Allegorie der Demut und Bescheidenheit hat eine Frau im roten Gewand ein Kreuz geschultert. Das zentrale Bild feiert die Apotheose der auf Bravheit hinauslaufenden weiblichen Tugenden. Eine geflügelte Gestalt geleitet die in einer Figur zusammengefassten Tugenden entlang eines Regenbogens in den Himmel.

Ein Nebengemach schmücken hochwertige Kopien der Gemälde Alter Meister: eine Madonna nach Raffael, eine Magdalena nach Correggio und ein Christuskopf nach Annibale Carracci. Im Gemäldekabinett und den weiteren kleinen, aber fein ausgestatteten Räumen des zweiten Hauptgeschosses hängen etliche weitere Bilder: Historiengemälde, religiöse Darstellungen, Porträts, Genreszenen und Landschaften. Das Graphische Kabinett wartet mit zahlreichen Kupferstichen auf. Sie hängen in drei Reihen an Wänden und Türen. Selbst die Decke ist mit ihnen ausgestattet. Es handelt sich um Nachstiche der Kompositionen italienischer, englischer und deutscher Maler.

Die Hauptrolle aber spielen Nachstiche der Werke der damals populären Malerin Angelika Kauffmann, die mit Fürstin Luise befreundet war. Zu den Ölgemälden und Druckgraphiken gesellen sich auch im zweiten Hauptgeschoss Wand- und Deckenmalereien nach Erdmannsdorffs Entwürfen. Er zitiert und interpretiert Fresken Raffaels in der grünen Wandmalerei des Gemäldekabinetts, zwischen der auf schmalen weißen Feldern gemalte Gebinde aus Kapuzinerkresse, Rohrkolben oder Hopfen emporwachsen. Die Deckenmalerei der Bibliothek zeigt tropische Schmetterlinge und einheimische Vögel wie Nachtigall, Blaumeise und Grünfink.

Erstaunlich ist: Was wir heute als prächtigen Landsitz wahrnehmen, beurteilten die Zeitgenossen Luises als Ausdruck vornehmer Bescheidenheit. Rund um das kleine Schloss geleiten acht Sichtachsen unseren Blick in die Ferne. Da entdeckt man etwa die rot-weißen Gebäude eines Gestüts. Als plastische Giebelzier des Stalls dienen ein sich aufbäumendes Pferd und zwei Ritter.

Vom Südportal des Luisiums führt eine Sichtachse zu einer ägyptisch anmutenden Erscheinung. Da steht doch tatsächlich ein großer Obelisk – und zwar auf einem Kirchturm. Es ist jener der St. Bartholomäi Kirche, die der als „Alter Dessauer“ bekannte Fürst Leopold I. 1722 stiftete. Den Turm mit aufgesetztem Obelisken aber ließ Fürst Franz 1816/17 als Mausoleum für seine Gemahlin Luise errichten. Nach einem Reitunfall verfolgte er den Baufortschritt vom Schloss Luisium aus, wo er nach zehn Tagen starb.

Im Erdgeschoss des Turms befindet sich die Grablege des Fürstenpaars, das zwar eine unglückliche, vom Preußenkönig Friedrich dem Großen eingefädelte Ehe führte, aber stets einen respektvollen Umgang miteinander pflegte.
b www.welterbe-gartenreich.de und www.gartenkirchen.de


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