22.02.2025

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
Interessierte Blicke: Besucher an der Schautafel, die über das Lebensschicksal der Ostpreußin Edith Gleisl informiert
Bild: BauerInteressierte Blicke: Besucher an der Schautafel, die über das Lebensschicksal der Ostpreußin Edith Gleisl informiert

Geschichte

Im Westen angekommen

Beispiele gelungener Integration – Ausstellung in Regensburg über sechs mutige Frauen aus den deutschen Vertreibungsgebieten

Markus Bauer
06.02.2025

Sechs Frauen widmet sich die Wanderausstellung „Ungehört – die Geschichte der Frauen. Flucht, Vertreibung und Integration“ des Hauses des Deutschen Ostens München und des Leibniz-Instituts für Ost- und Südosteuropaforschung. Die vorgestellten Frauen stammen aus früheren deutschen Siedlungsgebieten und stehen für Flucht- und Vertreibungserfahrungen sowie gelungene Integration. An mehreren Schautafeln werden deren Lebensläufe und Schicksale beschrieben und in den zeitlichen Kontext gestellt.

Die Frauen sind im Alter zwischen fünf und 15 Jahren mit den Müttern, Geschwistern und weiteren Verwandten aus ihren Heimatregionen unter dramatischen Bedingungen geflohen beziehungsweise vertrieben worden und hätten die Integration im Nachkriegs-Deutschland erfahren und gemeistert, wie Kuratorin Daniela Neri-Ultsch erläutert: „Die Integrationsleistungen der Frauen sind noch zu wenig erforscht. Das Individuelle und das Allgemeine herauszuarbeiten, ist auch ein wichtiger Aspekt.“

Die Daten aus den Biographien sind in 14 Themenbereiche eingeflossen: unter anderem das Verhältnis zur Heimat, die Bedeutung für die zweite und dritte Generation sowie die Rolle der Frauen im Krieg und in der Nachkriegszeit.

Auf diese Weise wird die heute 95-jährige Rosmarie Becker aus Kolberg in Pommern vorgestellt. Ein Jahr nach dem Einmarsch der Roten Armee wurde sie mit ihren Geschwistern und der Mutter in ein Lager nach Schivelbein gebracht, wo sie und ihre Zwillingsschwester Zwangsarbeit leisten mussten. Erst im November 1946 war die Ausreise in die sowjetische Besatzungszone nach Hartha (bei Chemnitz) möglich. Hier fanden sie Anschluss an die evangelische Kirchengemeinde. Sie entschied sich, Diakonisse zu werden. Nach der Niederlegung ihres diakonischen Dienstes begann sie in Bayern ein neues Leben. Wichtig waren ihr das kirchliche Engagement und der Einsatz für die Landsmannschaft der Pommern, Ost- und Westpreußen. Bis heute engagiert sie sich als Vorsitzende des Kreisverbandes Starnberg.

Schauen wir nach Ostpreußen: In Neuhausen (nahe Königsberg) wurde Edith Gleisl (87) geboren. Am 28. Januar 1945 floh sie mit ihrer Mutter, ihrem Bruder und einer Tante über Pillau per Schiff nach Ratzeburg in Schleswig-Holstein, wo die Familie bei einer Bauersfrau unterkam. 1951 zog die Familie nach Appelhülsen (Nordrhein-Westfalen), zehn Jahre später ging Gleisl nach Münster. Nach der Ausbildung zur Industriekauffrau arbeitete sie im Pharmabereich. Der Beruf führte sie schließlich nach München, wo sie der Landsmannschaft Ostpreußen beitrat und bis zur Auflösung der Kreisgruppe das Amt der Schriftführerin ausübte.

Aus Gleiwitz in Oberschlesien stammt Gertrud Müller (89), deren Eltern einen Bau-, Möbel- und Glasereibetrieb aufgebaut hatten. Am 19. Januar 1945 floh sie mit der Mutter und drei Geschwistern zunächst nach Dresden, danach weiter nach Gossersdorf (Niederbayern), wo sie auf einem Bauernhof einquartiert wurden.

Nach der Ausbildung zur Bürokauffrau und dem Umzug nach München, wo der Vater wieder eine Schreinerei aufbaute, übernahm sie dort die Büroarbeiten. In der Landsmannschaft der Oberschlesier betätigte sie sich ab 1990/91 als Brückenbauerin zwischen Bayern und ihrer schlesischen Heimat. Für ihr Engagement erhielt sie 2011 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Im mährischen Brünn wuchs Friederike Niesner (87) auf. Angesichts der sich zuspitzenden Lage wollte die Familie im April 1945 mit einem Lastwagen nach Wien fliehen, was jedoch nicht gelang. Auf einem Bauernhof bei Strobnitz (nahe der Grenze zu Österreich) fanden sie Unterschlupf. Schließlich wurde die Familie von den tschechischen Behörden ausgewiesen und von einem Bauern bis zur österreichischen Grenze gebracht. In einem Zug erreichten sie Wien. Zum Erlernen der englischen Sprache ging sie 1957 nach England, die Sprachkenntnisse ermöglichten dann eine Tätigkeit im Fremdenverkehrsamt der Stadt München. Zwischen 1965 und 1970 arbeitet sie als Stewardess bei der Lufthansa.

Ebenfalls aus Mähren, aus Langenlutsch (Kreis Mährisch Trübau), stammt Emma Weis (83). Ihre Mutter bewirtschaftete den Landwirtschaftsbetrieb, ihr Vater war gelernter Schuster und wurde kurz nach Kriegsende zur Zwangsarbeit verpflichtet. Im September 1945 wurde der Hof enteignet, Emma Weis fand mit der Mutter Unterkunft auf einem Nachbarbauernhof. Nach der Rückkehr des Vaters erfolgte im September 1946 die Abschiebung nach Bayern, Endstation war Wiggensbach im Allgäu. Nach einigen beruflichen Stationen absolvierte sie in München die höhere Fachschule für Sozialarbeit und arbeitete ab 1971 über 30 Jahre als Bewährungshelferin am Landgericht München I. Ein Wendepunkt war im Mai 1980 die Reise in den Schönhengstgau mit der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Der Verlust der Heimat ist ihr Lebensthema bis heute geblieben.

In Neu-Werbaß in der Batscha (damals Jugoslawien, heute Serbien) stand die Wiege von Ria Schneider (82). Im Herbst 1944 begab sich die Familie von Neusatz aus auf die Flucht, die sie nach Wien führte. Als die Rote Armee in Österreich eintraf, drohte den Donauschwaben die Rückführung nach Jugoslawien. Im Mühlviertel wurde die Familie aufgegriffen und auf eine Irrfahrt durch Ungarn geschickt. Dort konnten sie sich verstecken und erneut nach Österreich flüchten. Bei Linz trafen sie den Vater wieder und lebten in der Nähe bis 1951 in einem Flüchtlingslager. Seit vielen Jahren engagiert sie sich für die Donauschwaben. Zudem kümmert sie sich um das Erbe ihrer Mutter Annemarie Ackermann, die 1953 für die CDU in den Deutschen Bundestag einzog.

Besucher können sich noch bis zum 27. Februar an den vielen Tafeln selbst ein Bild von der komplexen Thematik und den sechs mutigen Frauen machen.

Unibibliothek (Oberes Foyer) Regensburg in der Universitätsstraße 31, geöffnet montags bis freitags von 8 bis 22 Uhr, sonnabends von 9 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei. www.uni-regensburg.de/bibliothek 


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Chris Benthe am 08.02.25, 22:05 Uhr

Bewegende Schicksale, die stellvertretend für all die tausenden anderen Vertriebenen stehen. Wer erinnert sich z.B. noch andie tapferen, fleißigen Sudetendeutschen, die im winzigen Ort Winkl bei Bischofswiesen/Berchtesgaden eine neue Heimstatt im dortigen Lager fanden und zu einem blühenden Gemeinwesen aufbauten, das seinen Höhepunkt mit der berühmten die 1951 in Winkl von Hans Thierfelder errichtete Strumpffabrik erlebte ? Sie galt damals als die europaweit modernste und weltweit erste gläserne Strumpffabrik überhaupt. Ein sehenswerter Ort, der für die Erfolgsgeschichte der Vertriebenen steht, trotz aller Widerstände und Entbehrungen, denen sie ausgesetzt waren. Wir sollten ihr Schicksal, aber auch ihre Strahlkraft, niemals vergessen.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS