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Östlich von Oder und Neiße

Immer mehr Gräber werden aus Scham wieder hergerichtet

Lippen, Freystadt und Giersdorf – Eine neue Generation hat sich den Erhalt deutschen Kulturerbes zur Aufgabe gemacht

Chris W. Wagner
27.09.2020

Es gibt unterschiedliche Motivationen, sich alter Friedhöfe anzunehmen: Aus Nächstenliebe, weil es Angehörige nicht tun, aus Pflichtbewusstsein, weil man das Kulturerbe bewahren will, aus ästhetischen Gründen, weil wuchernde Pflanzen sich ausbreiten, oder aus Scham, dass mit dem Gedenken an die Toten nicht gut umgegangen wird. Letzteres war die Motivation für die Bewohner des niederschlesischen Lippen [Lipno] bei Grünberg [Zielona Góra].

„Man kann noch die Namen, Geburts- und Sterbedaten auf den devastierten Grabplatten lesen. Ich schäme mich für meine Großeltern und Eltern“, sagt Sławomir Opieczonek gegenüber der „Gazeta Lubuska“. Er bekennt, zu wissen, dass es in Lippen einen „Schwarzen Sonntag“ gab, eine organisierte Aktion zur Vernichtung deutscher Grabstätten. „Es gab den Befehl der Behörden, es floss Alkohol. Heute schäme ich mich dafür. Die waren doch alle Lippner“, sagt er. Im Ort gründete Opieczonek einen Heimatverein, dessen erste Aktion das Aufräumen auf dem evangelischen Friedhof war. Sein Mitstreiter Łukasz Kwiatkowski erinnert sich an Besuche von ehemaligen Lippnern, deren Blicke traurig und vorwurfsvoll waren. „Kein Wunder“, so Kwiatkowski, „das Gutshaus und das Pfarrhaus wurden auseinandergenommen und für den Wiederaufbau Warschaus verwendet. Die Grabsteine des Friedhofs hat man zerbrochen und in den umliegenden Wäldern vergraben. Wir sollten den Toten Respekt zeigen“, meint er.

Nun sind sie dabei, die Grabsteine, die sie ausgraben konnten, an einer Stelle zu sammeln. Der Heimatverein will ein Holzkreuz aufstellen. „Damit möchten wir zeigen, wenn auch nur symbolisch, dass wir Fehler der Vergangenheit wenigstens etwas wiedergutmachen wollen“, sagt Opieczonek. Die Initiative erreichte zumindest die Denkmalschutzbehörde der Woiwodschaft Lebus. Denkmalschützerin Barbara Bielinis-Kopeć versprach finanzielle Unterstützung zur Schaffung eines Lapidariums in Lippen.

Vor etwa drei Wochen begannen ebenso auf dem ehemaligen evangelischen Dreifaltigkeitsfriedhof in Freystadt in Schlesien [Kożuchów] Aufräumarbeiten. Dort ist es Daniel Nowośnicki, der die deutschen Schriftzüge nachzieht. Er ist stolz auf sein Werk: „Das wird das schönste Lapidarium weit und breit“, freut er sich, obwohl er selbst gar nicht der Initiator ist. Bestellt habe ihn ein Enkel, der den Grabstein der Matzkes in Ordnung bringen wollte. Bei dieser Gelegenheit meißelte er weitere Namen von Freystädter Familienangehörigen ein, obwohl sie als Vertriebene anderswo in Deutschland verstorben sind. Das Lapidarium betreut Zdzisław Szukiełowicz. „Oft kommen noch Nachfahren der früheren Freystädter, die auf Spurensuche sind. Sie sind erfreut, dass dieser Ort von uns gepflegt wird“, so Szukiełowicz. Der Hobbyhistoriker ist seit Jahren bemüht, das deutsche Kulturerbe zu retten. Der Ratsherr ist Vorsitzender des Vereins der Freunde des Freystädter Landes und Fremdenführer.

In den 90er Jahren initiierte er die Gründung eines Regionalmuseums. Auch das Lapidarium ist von ihm initiiert. Seit den 70er Jahren wurden darin Grabsteine aus den umliegenden Ortschaften gesammelt. „Wir haben hier Epitaphien aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert zusammengetragen, es sind wahre Raritäten“, sagt er. Szukiełowicz konnte im Stadtrat durchsetzen, dass eine Gedenktafel an ehemalige Freystädter erinnern wird.

Unkraut beseitigen, Bäume beschneiden, Büsche stutzen – damit fing auch eine Gruppe aus deutschen und polnischen Freiwilligen auf dem evangelischen Friedhof in Giersdorf [Żeliszów] bei Bunzlau [Bolesławiec]an. „Der alte Friedhof zeigt sich wieder fast in alter Schönheit. Die letzten Büsche sind geschlagen. Die Sonne scheint wieder auf die lange verborgenen Grabsteine. Das Grabmal der Familie Görlitz steht wieder prächtig da und überragt alle anderen Gräber“, freut sich Jörg Giessler, der zusammen mit der Görlitzerin Margit Kempgen von der Gemeinschaft Evangelischer Schlesier die „Gruppe zur Rettung schlesischer Kulturgüter“ um sich scharte. Sie initiierten auch für den einstigen Landkreis Militsch-Trachenberg [Milicz/Żmigród] das Projekt „Grenzgeschichte“. Dabei räumen deutsche und polnische Schüler historische Friedhöfe auf. Eine Mädchenklasse aus Groß Wartenberg [Syców] machte im Dezember den Anfang. Jetzt liegen mehr als 100 Anfragen aus Polen und Deutschland auf Margit Kempkens Tisch.


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Kommentare

sitra achra am 03.10.20, 11:25 Uhr

Es ist eine unverzeihliche Schande. Jetzt nimmt sich die jüngere polnische Generation dieses Themas an, da die saturierte, selbstzufriedene westdeutsche Gesellschaft das Los der systematisch ermordeten deutschen Ostbevölkerung bzw. der Vertriebenen unter den Teppich gekehrt hat. Doch die Opfer der Entrechtung lassen sich nicht wegeskamotieren. Sie lasten auf unserem Gewissen, bis wir ihnen die nötige Aufmerksamkeit schenken.

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