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Intuitive Verzahnung im Isergebirge

Eine Künstlerkolonie wehrt sich gegen die These des totalen Bruchs von 1945

Chris W. Wagner
24.09.2021

In 600 Metern Höhe erstreckt sich das Dorf Seifershau [Kopaniec] im niederschlesischen Isergebirge, ganz in der Nähe des Riesengebirges. Etwa 400 Menschen leben heute dort. Trotzdem ist das Dorf landesweit bekannt. Seit der „Wende“ haben sich dort Künstler angesiedelt. Doch als Künstlerkolonie sehen sie sich nicht. Dafür würde im Moment zu wenig Gemeinsames geschaffen, sagt der Maler und Fotograf Leszek Różański, der mit seiner Ehefrau Agata, einer Keramikkünstlerin, als erster Künstler nach Seifershau gezogen war und die Welle lostrat.

Noch in den Nullerjahren sei dies anders gewesen, sagt er. „Damals hatten wir den Verein Seifershau gegründet und die Vereinigung ‚Neue Mühle' – als Fortführung der deutschen Künstlerkolonie St. Lukas in Schreiberhau [Szklarska Proęba]. In Seifershau hatten wir Bühnenauftritte, Konzerte und Kunstworkshops durchgeführt. Das dauerte etwa sieben Jahre lang, bis sich einige von uns dann wieder in alle Welt verstreuten“, so Różański, der mit seiner Ehefrau seit 2010 die Galerie Kozia szyja (Ziegenhals) betreibt. Der Name kommt vom nahegelegenen gleichnamigen Berg.

Die Brötchen für die betriebene Ferienwohnung verdient Leszek als Geschichtslehrer in der dörflichen Grundschule. „Ich hatte immer schon einen Faible für Geschichte. Als wir 1990 nach drei Jahren des Pendelns zwischen Breslau und Seifershau endgültig hierher umgezogen, wurde mir eine Lehrerstelle angeboten“, so Różański.

Die beiden Breslauer verbrachten ihre Ferien häufig in Seifershau. „1987 erhielten wir einen Anruf eines polnischen 80-jährigen Seifershauers mit dem Angebot, sein Grundstück mit zwei fast verfallenen Häusern zu kaufen. Wir haben damals noch studiert, hatten kein Geld und wussten noch gar nicht, was wir einmal machen wollen. Aber eines war uns klar – solch ein Angebot kommt nicht so schnell wieder“, erinnert sich Różański. Der Kaufpreis entsprach damals einem Farbfernseher, für die Kunststudenten viel Geld. Ihre Eltern griffen ihnen unter die Arme und sie kauften das Grundstück samt Ruinen. Die ersten drei Jahre verbrachten sie mit der Sanierung des Wohnhauses. Später konnten sie das bereits vor dem Krieg durch einen Brand beschädigte Fachwerkhaus sanieren und darin die Galerie und Ferienwohnung einrichten.

Die Galerie lebt vom Tourismus und den Keramikworkshops, die Agata anbietet. Leszek erforscht neben dem Unterrichten und seiner Malleidenschaft die Geschichte der Gegend. Es hat ihn stets gewurmt, dass das Lernprogramm seiner Grundschüler zum Beispiel nichts über den Dreißigjährigen Krieg beinhaltete und das Thema Schlesien im Mittelalter mit Kasimir dem Großen endet. So schafft Różański Lernhilfen eben selbst.

Für ihn bildet 1945 keine Zäsur für Seifershau, weil bereits 1945, noch während der Vertreibung der Deutschen, erste Polen ins Dorf kamen und sich durch das kurzzeitige Zusammenleben ihr Schicksal verzahnte. „Bis heute gebrauchen die älteren Anwohner die Bezeichnungen ‚Hexenplatz' nicht ‚Babia przełęcz' oder sie sprechen vom ‚Ramberg' und nicht von ‚Międzylesie'“, sagte der Autor des polnischsprachigen „Kalendarium Seifershau. Eine nicht komplette Zusammenstellung wichtiger und völlig unwichtiger Ereignisse“ und des Erzählungsbandes „Opowieści ostateczne“ (Endgültige Erzählungen). Letzteres ist ein Gemeinschaftswerk der Seifershauer Künstler. Die damals zehnjährige Kalina, Tochter des Fotografen Jacek Jaśko, hat das Buch illustriert, und auf einer beigefügten CD sind Vertonungen von Piotr Syposz zu hören.

Syposz ist ein Studienfreund der Różańskis und lebt seit zwei Jahrzehnten im Ort. Der Fotograf, Musiker und Instrumentenbauer kaufte und sanierte den Seifershauer Gasthof zur Post aus dem 18. Jahrhundert und betreibt darin ein Atelier und Begegnungshaus vor allem für Mittelalterfreunde. Dass er nach Seifershau zog, müsse höhere Macht sein, sagt er. „Leszek erzählte mir von einem wiederkehrenden Traum. Darin besteigen wir den Hohenstein. Nachdem ich dieses Haus kaufte, erfuhr ich, dass auch dieses zu deutscher Zeit ‚Hohenstein' genannt wurde. So ist Leszeks Traum in Erfüllung gegangen“, schmunzelt Syposz.

Er pflegte eine Freundschaft zur deutschen Alteigentümerin des Hauses Hohenstein, die kürzlich verstarb. Als sie zum ersten Mal das Atelier von Syposz betrat, musste sie staunen. „Sie rief: ‚Grüne Wände! Woher wusstest du, dass hier einst unser Billardraum war?' Ich wusste es nicht, es war Intuition“, so Syposz.

Man muss die Ateliers der Seifershauer Künstler gar nicht betreten, um ihre Arbeiten zu sehen. Jaśko hatte einst seine Bilder auf dem Lattenzaun des Dorfschulzen aufgehängt. Dort zwischen der Kirche und der einzigen Kreuzung im Ort sollten sie die Dorfbewohner und Touristen ansprechen. Der Lattenzaun hat längst seinen Besitzer gewechselt, doch er dient immer noch als Freilichtgalerie. Mittlerweile hängen darauf auch Arbeiten von Jaśkos Freunden aus Seifershau, Hirschberg [Jelenia Góra], Lauban [Lubań] und Bunzlau [Bolesławiec].


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