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Weltreise

Jenseits der Chinesischen Mauer

Vor 700 starb Marco Polo – In „Il Milione“ schrieb der Venezianer über seine Reise ins Kaiserreich China. Aber war er tatsächlich dort?

Martin Stolzenau / Harald Tews
09.01.2024

Ist es möglich, ganz China zu bereisen und dabei zu vergessen, die Chinesische Mauer zu erwähnen? Weil der vor 700 Jahren gestorbene venezianische Weltreisende Marco Polo genau dieses in seinem Reisebericht „Il Milione – Die Wunder der Welt“ versäumt hatte, wurde lange Zeit angezweifelt, dass er im Mittelalter tatsächlich das Reich der Mitte bereist hatte.

Das Original seines Reisebuches war später verschollen. Dafür gab es rund 150 Kopien und Übersetzungen, die mündlich oder schriftlich in Europa verbreitet wurden. Allein der portugiesische König Heinrich der Seefahrer glaubte Polos Berichten und bestätigte diese schrittweise mit den von ihm initiierten Entdeckungsreisen. Heute gelten sie bis auf wenige Ungereimtheiten als glaubwürdig.

Marco Polo wurde 1254 in oder nahe Venedig geboren und gehörte einer angesehenen Kaufmannsfamilie an, die über den Mittelmeerraum hinaus Handel trieb. Der Vater Niccolo und der Onkel Maffeo unternahmen 1260 eine lange Reise, die sie über Konstantinopel nach Asien ins Mongolenreich führte, wobei sie entlang der Seidenstraße schließlich 1266 an den Hof Kublai Khans im jetzigen China gelangten. Der Großkhan empfing die Polos und gab ihnen für die Rückreise ein goldenes Geleittäfelchen und eine Botschaft für den Papst in Rom mit auf den Weg.

1269 waren Vater und Onkel zurück in Venedig, hatten aber wegen der fortdauernden päpstlichen Sedisvakanz kein Glück mit ihrer Botschaft von Kublai Khan in Rom. Deshalb traten sie 1271 ohne eine päpstliche Antwort eine weitere Reise in den Fernen Osten an. Dabei nahmen sie den inzwischen 17-jährigen Marco mit. Das Trio gelangte über Akkon nach Jerusalem, erhielt zwischenzeitlich ein Schreiben des gerade gewählten Papstes Gregor X., das sie als Botschafter des Kirchenoberhauptes auswies mit dem Auftrag, den Großkhan zum Christentum zu bekehren und für den Kampf gegen den Islam zu gewinnen. Sie erlebten auf der Weiterreise zunächst die Basarstadt Täbris und danach viele andere Orte. Über das Erlebte schrieb Marco Polo Tagebuch.

Demnach kamen sie nach Kerman, wo sie ihre Pferde gegen Kamele eintauschten, nach Hormus, dem heutigen Minab, einem Umschlagplatz von Perlen, Edelsteinen, Elfenbein und Gewürzen, sowie nach Faisabad, das damals für die Lapislazuli-Edelsteine berühmt war. Es folgten der Westrand der Sandwüste Taklamakan, die Oasenstadt Nanhu, wo Marco den wehenden Wüstensand mit seinen Tönen für Laute von ungewöhnlichen Musikinstrumenten hielt, und in das heutige Dun­huang, einem Knotenpunkt von Handelsstraßen. Dort kam Marco Polo erstmals mit China in Berührung und damit immer näher zur Sommerresidenz Kublai Khans in Shangdu, die die Reisegruppe aus Venedig 1275 erreichte.

Der Herrscher fand so sehr Gefallen an dem jungen Polo, dass er ihn zu seinem Präfekten erhob. In dieser Rolle bereiste er China. Er erlebte die Sitten und Bräuche hautnah bis hin zu den von ihm als „barbarisch“ empfundenen Essgewohnheiten. Quinsai, die heutige Stadt Hangzhou, mit all den Palästen, Warmbädern und dem immensen Schiffsverkehr im Hafen beeindruckte ihn besonders.

Doch dann drängten der Vater und der Onkel mit eingetauschten Waren für Venedig auf die Heimreise. Sie begann 1291 von Quanzhou aus über den Seeweg in Dschunken und führte über Sumatra sowie Ceylon als auch über das damalige Kaiserreich Trapezunt am Schwarzen Meer, wo 500 Kilogramm Rohseide der Polos konfisziert wurden, ins Mittelmeer. 1295 erreichten man nach vielen überstandenen Gefahren endlich Venedig.

Drei Jahre später soll Polo als Flottenkommandant beim Seekrieg zwischen Venedig und Genua in genuesische Gefangenschaft geraten sein und dort einem Mitgefangenen seinen Reisebericht über China diktiert haben.

Am 8. Januar 1324 starb Polo in seinem Haus am „Corte seconda del Milion“ am Standort des heutigen Teatro Malibran und hinterließ außer seinen spektakulären Reiseberichten ein Erbe im Wert von 70 Kilogramm Gold. Für seine letzte Ruhe sind in den Quellen zwei unterschiedliche Kirchen überliefert: die Benediktinerkirche von San Lorenzo und die nicht mehr existierende Kirche San Sebastiano.

Und die Sache mit der Chinesischen Mauer? Sie galt zu Polos Zeiten noch nicht als erwähnenswerte Touristenattraktion, weshalb ihr Verschweigen durchaus plausibel erscheint.


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