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Auch bei Ford in Köln sind immer weniger Arbeitskräfte in einer Montagestraße beschäftigt
Bild: IMAGO/NurPhotoAuch bei Ford in Köln sind immer weniger Arbeitskräfte in einer Montagestraße beschäftigt

Standort Deutschland

Jobkrise erfasst jetzt auch die deutsche Industrie

Die Politik muss für gute Rahmenbedingungen sorgen – Maßnahmen gegen Fachkräftemangel und mehr Technologieoffenheit wären positive Anreize

Peter Entinger
23.06.2025

Die deutsche Industrie steckt weiter in einer besorgniserregenden Krise. Binnen eines Jahres gingen mehr als 101.000 Arbeitsplätze verloren, wie das aktuelle Industriebarometer der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft Ernst & Young (EY) zeigt. Damit sank die Zahl der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe bis Ende März um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Besonders betroffen ist die Automobilindustrie, auf die fast jeder zweite verlorene Industriejob entfällt. Und der Negativtrend setzt sich fort: Seit dem Vor-Pandemie-Jahr 2019 summiert sich der Rückgang sogar auf über 217.000 Stellen – ein Minus von 3,8 Prozent.

Auch auf der Umsatzseite zeigt sich eine bemerkenswerte Stagnation. Im ersten Quartal dieses Jahres fiel der Umsatz der deutschen Industrie gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 0,2 Prozent. Besonders schwach entwickelte sich die Gummi- und Kunststoffindustrie mit einem Rückgang von 3,1 Prozent. Die Textil- und Bekleidungsindustrie verlor zwei Prozent, der Maschinenbau 0,8 und die Autoindustrie 0,7 Prozent. „Dass der Industrieumsatz im ersten Quartal nur leicht gesunken ist, bedeutet nicht, dass die Krise vorbei ist“, erklärt Jan Brorhilker, Managing-Partner bei EY, und fügt hinzu: „Unsicherheiten in der Weltwirtschaft nehmen zu – und damit sinkt die Investitionsbereitschaft der Unternehmen. In einem solchen Umfeld ist kaum mit Wachstum zu rechnen.“

Die Zahlen zur Automobilindustrie unterstreichen den Ernst der Lage: Allein hier wurden binnen eines Jahres rund 45.400 Stellen abgebaut – knapp sechs Prozent des gesamten Industriezweigs. Seit 2019 ging damit mehr als jeder neunte Job in der Autobranche verloren. Brorhilker warnt vor einer weiteren Verschärfung: „Etliche Unternehmen haben lange auf eine Besserung gehofft und auf einen Personalabbau verzichtet. Inzwischen aber hat sich der Wind gedreht. Bei vielen Industrieunternehmen steht ein Stellenabbau oben auf der Agenda.“ Bis Jahresende rechnet der EY-Experte mit dem Verlust von weiteren 70.000 Arbeitsplätzen im Industriesektor.

Besonders stark unter Druck stehen exportorientierte Unternehmen. Zwar legten die Ausfuhren in die USA zuletzt leicht zu, doch die Exporte nach China – lange Zeit Wachstumstreiber – brachen um 15 Prozent ein. Brorhilker relativiert den negativen Trend: „Immerhin: Erstmals seit dem zweiten Quartal 2023 sind die Ausfuhren der deutschen Industrie wieder leicht gestiegen. Aber noch ist es zu früh, daraus eine Trendwende abzuleiten.“ Hinzu kommt politische Unsicherheit. Der US-chinesische Handelskonflikt sowie mögliche US-Einfuhrzölle treffen deutsche Exporteure doppelt. Laut EY gab es im US-Geschäft bereits Vorzieheffekte – vorverlegte Lieferungen, um künftigen Zöllen zu entgehen. Diese Sondereffekte könnten sich im zweiten Quartal negativ bemerkbar machen.

Maßnahmenkatalog erweitern
Gleichzeitig kämpft die Industrie mit hausgemachten Problemen: hohe Energiepreise, steigende Löhne, zunehmende Regulierung und eine schwächelnde Inlandsnachfrage. Diese sank im ersten Quartal um 1,1 Prozent. Brorhilker sieht hier dringenden Handlungsbedarf: „Neben den bekannten Kostenaspekten und dem notwendigen Bürokratieabbau geht es darum, die Binnennachfrage zu stärken. Denn wir können uns nicht darauf verlassen, dass es immer der Export ist, der die deutsche Wirtschaft rettet.“ Auch daher ruhen viele Hoffnungen auf der neuen Bundesregierung. Doch bis deren Maßnahmen greifen, wird es noch dauern.

Für einzelne Unternehmen bedeutet das bereits konkrete Einschnitte. Laut EY haben vor allem im Maschinenbau und in der Fahrzeugindustrie führende Firmen Kostensenkungsprogramme eingeleitet, die explizit einen Stellenabbau zum Ziel haben. „Es führt kein Weg daran vorbei, die Kapazitäten an das nachhaltig schwache Nachfrageniveau anzupassen“, so Brorhilker weiter.

Immerhin: Der EY-Experte sieht auch langfristige Chancen beim Standort Deutschland. „Die deutsche Industrie hat sich immer wieder dank einer sehr starken Substanz als widerstandsfähig erwiesen.“ Voraussetzung sei allerdings, dass die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Dazu zählt neben stabilen Energiekosten und Investitionsanreizen auch gezielte Maßnahmen gegen den offenkundigen Fachkräftemangel. Wichtig sei zudem eine Industriepolitik, die technologieoffen bleibt und den Mittelstand stärkt – denn dieser stelle den Großteil der Arbeitsplätze.

Noch sei es nicht zu spät. Doch das Zeitfenster für Kurskorrekturen wird laut der EY-Analysten immer kürzer. Ohne strukturelle Reformen drohe nicht nur der Verlust weiterer Arbeitsplätze, sondern eine dauerhafte Schwächung der industriellen Basis Deutschlands.


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