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Zum 200. Todestag des preußischen Patrioten und Seefahrers Joachim Nettelbeck
Es gibt nur wenige bürgerliche Preußen, deren Wirken im Widerstand gegen Napoleon über die Jahrhunderte nicht nur im Gedächtnis geblieben, sondern auch von gleich mehreren politischen Systemen als vorbildlich deklariert und vereinnahmt worden ist. Der Pommer Joachim Christian Nettelbeck ist ein solcher Protagonist. Er wurde am 20. September 1738 als Sohn eines Schumachermeisters in Kolberg geboren.
Nettelbeck war bereits als Kind ausgeprägt abenteuerlustig und zeigte Bereitschaft zu Eigensinn und Streit. Mit elf Jahren durfte er einen Onkel auf dem Schiff von Kolberg nach Amsterdam begleiten. Dort schlich er sich auf ein Sklavenschiff, das im transatlantischen Sklavenhandel zwischen Europa, Afrika und Amerika verkehrte.
Der Junge lernte auf dem Handelsschiff englisches Pidgin und kehrte 21 Monate später nach Kolberg zurück. Die Fahrt auf See hatte Nettelbeck geprägt: Er heuerte 1752 als Schiffsjunge auf Ostsee- und Nordseefahrern an, um zwei Jahre darauf bereits als Untersteuermann auf einem Holländer ins südamerikanische Surinam zu fahren, wo bereits viele Deutsche lebten und arbeiteten.
Stets abenteuerlustig
Nach Ausbruch des Siebenjährigen Krieges kehrte Nettelbeck auf Wunsch seines Vaters zurück nach Pommern. Den Presskommandos der preußischen Flotte entzog sich Nettelbeck ins russisch besetzte Königsberg. Kaum dort heuerte er auf einem Danziger Handelsschiff an und kurz darauf erneut auf einem Niederländer für die Transatlantikroute.
In der Karibik hatte Nettelbeck einen mehrmonatigen Aufenthalt auf einer Plantage. Die Zeit nennt er später die schönste seines bisherigen Lebens. 1762 ehelichte der Kolberger in Königsberg Regina Charlotte Meller, mit der er mehrere Kinder hatte. Bei Kriegsende war Nettelbeck in Königsberg als Reeder niedergelassen und befuhr als Kapitän Handelsrouten auf der Ostsee.
1769 nahm Nettelbeck das königlich-preußische Kapitänspatent sowie Säbel mit Portepee entgegen, um die Führung der Fregatte „Duc de Bevre“ zu übernehmen. Doch schon nach wenigen Monaten legte er sich mit seinem Admiral an, der – selbst ohne größere seemännische Erfahrungen – ihm auf seinem Schiff Befehle erteilte. Die Eskalation führte zu Nettelbecks Entlassung.
Unterwegs in Südamerika
1771 heuerte er erneut auf einem niederländischen Sklavenschiff als Obersteuermann an. „Barbarische Grausamkeit gegen die eingekaufte Menschen-Ladung war nicht nothwendiger Weise damit verbunden und fand auch wohl nur in einzelnen Fällen statt; auch habe ich, meines Theils, nie dazu gerathen oder geholfen“, hielt Nettelbeck in seinen Erinnerungen über diese Zeit fest. Dennoch riet Nettelbeck König Friedrich II. schriftlich, einen von den Europäern noch nicht genutzten Flecken zwischen Bernice und Surinam in Besitz zu nehmen und von dort aus den Zucker- und Kaffeehandel in preußische Selbstversorgung übergehen zu lassen. Seine Eingabe blieb ebenso folgenlos wie eine zweite Eingabe 1786 an den frisch inthronisierten König Friedrich Wilhelm II. Eine dritte Eingabe scheiterte 1814 ebenfalls unter dem Hinweis, es sei mit Blick auf den möglichen Konflikt mit den großen Seemächten System des preußischen Staates, gerade keine Kolonien zu haben.
Dass Nettelbeck sich auf hoher See zu einem furchtlosen Mann entwickelt hatte, stellte er in Kolberg am 26. April 1777 unter Beweis. Ein Blitz schlug in die Kolberger Marienkirche ein, der Turm fing Feuer. Während die Kolberger von unten um Kirche und Stadt bangten, hechtete Nettelbeck mit seinem zehnjährigen Sohn den Turm hoch und löschte das Feuer.
Nettelbeck blieb der Seefahrt noch einige Jahre treu, erwarb ein ansehnliches Vermögen – und obwohl er 1783 mit eigenem Schiff Schiffbruch erlitt, konnte er dennoch gut leben. In Kolberg baute er sich aber schon bald eine neue Existenz als Bierbrauer und Schnapsbrenner auf, wurde 1805 in die kommunale Ständevertretung gewählt und gehörte als königlicher Schiffsvermesser einem Seegericht an.
Streitlustig und ideenreich
Kurz darauf wurde der streitlustige Nettelbeck zum Mann der Stunde, als Napoleon 1806 seinen Durchmarsch durch Preußen aufnahm und die Katastrophe über das Land kam. Der betagte und auch gesundheitlich bereits angeschlagene Festungskommandant Ludwig Moritz von Lucadou tat zwar alles, um Kolberg gegen die Franzosen zu halten, aber das Misstrauen gegen ihn war in der Bevölkerung groß – und Nettelbeck setzte sich an die Spitze derer, die die Absetzung Lucadous betrieben.
Der französische Adelsspross sprach Deutsch nur mit französischem Akzent, verstand das pommersche Platt nicht, und ein Schlaganfall verbesserte das Kommunikationsproblem keineswegs. In der Verteidigung der Stadt fiel es ihm daher schwer, die Bürger hinter sich zu bringen.
1807 erwirkte Nettelbeck die Ersetzung Lucadous durch den preußischen Major August Neidhard von Gneisenau. Gneisenau verstand es, die bürgerlichen Kräfte um Nettelbeck hinter sich zu vereinen und den wehrhaften Widerstand gegen die Belagerer aufrechtzuerhalten.
Nettelbeck bewirkte die künstliche Überschwemmung um die Festung und sorgte zum Teil mit drakonischen Androhungen für den anhaltenden Widerstandswillen der Bürger. „Und hörten es je meine Ohren, daß irgend Jemand – er sey Bürger oder Militair – von Übergabe spräche: bei Mannes Wort, dem rennte ich gleich auf der Stelle diesen meinen Degen durch den Leib“, war Nettelbeck, der sich dem Siebenjährigen Krieg noch durch Flucht entzogen hatte, jetzt zu keiner Preisgabe seiner Heimatstadt bereit. Noch während der Belagerungszeit entstand durch die aufkeimende Presse der Ruhm Nettelbecks, der ihm Ehrungen und eine königliche Pension einbrachte.
Doch Nettelbeck wusste auch in seinen letzten Lebensjahren noch anzuecken. Gegenüber der Presse äußerte er sich kritisch über einzelne Persönlichkeiten der Stadt und preußische Offiziere. Er verlor etliche Beleidigungsprozesse und brachte auch die Kolberger gegen sich auf, als er bei Neuwahlen zur Bürgervertretung übergangen worden war und den König veranlasste, Neuwahlen durchführen zu lassen. Landesweit blieb er in der öffentlichen Wahrnehmung ein bürgerlich-patriotischer Held. Auf seinen Typus Mann sollte es in den Befreiungskriegen ankommen, sodass noch zu seinen Lebzeiten Nettelbeck idealisiert wurde.
Ab den 1820er Jahren erschienen Nettelbecks Lebenserinnerungen erst in den Pommerschen Provinzialblättern, dann in drei Buchbänden. Am 29. Januar 1824 starb Nettelbeck im Alter von 85 Jahren.
Während Kolberg seinen bedeutendsten Bürger früh vergaß, wurde Nettelbeck im 19. Jahrhundert ab 1848 für die Anwerbung von Seeleuten für die erste deutsche Parlamentsflotte und nach 1871 erneut als Patron für die Erwerbung von Schutzgebieten herangezogen. Ab 1887 hielt die Nettelbeck-Erinnerung auch in Kolberg wieder Einzug. Eine Bürgerinitiative sammelte Geld für ein Nettelbeck-Gneisenau-Denkmal, das allerdings erst 1903 eingeweiht wurde. Das Denkmal wurde 1945 zerstört.
Von Veit Harlan verfilmt
Der Höhepunkt der Instrumentalisierung Nettelbecks erfolgte 1944 mit dem Film Kolberg von Veit Harlan auf Grundlage des gleichnamigen Bühnenstücks von Paul Heyse (1868). Die Uraufführung am 30. Januar 1945 erfolgte zu einem Zeitpunkt, da Deutschland sich bereits im finalen Abwehrkampf befand – und am Tag der Versenkung des Fluchtschiffs „Wilhelm Gustloff“. Der knorrige Schauspieler Heinrich George verkörperte den kantigen Nettelbeck mit den Worten, die Kolberger würden sich „lieber unter Schutthaufen begraben lassen, als ihre Stadt zu übergeben“. In der DDR publizierte 1953 Curt Hotzel über Nettelbeck.
Seither sucht Deutschland nach einem normalen Umgang mit dem pommerschen Querkopf.
In Deutschland gibt es zahlreiche Nettelbeckstraßen und -plätze, deren Umbenennung aufgrund seiner Aktivitäten bezüglich der Kolonien angestrebt wurde. Das kam allerdings zumeist nicht zustande.
Dr. Holz Michael am 29.01.24, 16:51 Uhr
In den 90er Jahren habe ich in Kolberg, zusammen mit Polen, gearbeitet und musste verwundert feststellen, dass mein polnischen Kollegen wusste, wer Nettelbeck war. Für sie war er ein "guter Deutscher", für mich auch.
Tom Borns am 29.01.24, 12:09 Uhr
Die Stadt Erfurt erwog jahrelang die Umbenennung der Strasse "Nettelbeckufer". Grund: sie hielt ihn für einen Sklavenhändler. Dieser Antrag ist dann im Sommer letzten Jahres gescheitert.
Der MDR in seiner unreflektierten Berichterstattung teilte diese Ansicht. Eine Anfrage bezüglich der tatsächlichen historischen Entwicklung des afrikanischen Sklavenhandels, nämlich dessen Ausbreitung vor allem im nordafrikanischen und arabischen Raum, der Versklavung von unliebsamen Nachbarn durch afrikanische Völker selbst oder der Verschleppung ungezählter europäischer Menschen durch afrikanische Menschenhändler traf dort ebenso auf unwissende wie desinteressiert-unbelehrbare Ohren wie die Tatsache, dass erst mit Einzug der Kolonialmächte und dem entsprechenden Aufbau freilich europäisch orientierter Verwaltungen dem üblen Treiben ein Ende gesetzt wurde (den Sonderfall Belgisch- Kongo lassen wir hier mal außer Acht).
Es darf eben nicht sein, weil es nicht zum heutigen Zeitgeist passt, dass der Handel mit Menschen zu großen Teilen durch Schwarze selbst betrieben wurde.
Nettelbeck und den vielen anderen Pionieren seiner Zeit Anerkennung ob deren Verdiensten zu leisten, kommt diesen geschichtsunkundigen, aber medial nun mal an den Schalthebeln sitzenden Kindern der Neuzeit weder in den Sinn noch über die Lippen.