20.04.2024

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Dilemma

Kapitäne in Vorpommern fühlen sich verschaukelt

Wie die Schifffahrtsverwaltung Vorschriften reitet und Sicherheit ignoriert

Peer Schmidt-Walther
10.06.2022

Mit Beginn der Saison 2022 ist es scheinbar zu neuen Regelungen im Stralsunder Lotsrevier gekommen, die angeblich schon lange existieren, aber nie angewendet wurden, womit auch in gewisser Hinsicht Gewohnheitsrecht entstanden sein kann. Darin heißt es, dass Schiffe ab 60 Meter Länge, zehn Meter Breite oder mit einem Tiefgang von mehr als 3,30 Meter, die das Revier nördlich von Stralsund ansteuern wollen, einen Lotsen nehmen müssen.

Die Schiffsführer, Reedereien und Flusskreuzfahrt-Veranstalter sind sehr verärgert über die anscheinend grundlose Anwendung der zwar gültigen, aber über Jahrzehnte nicht angewendeten Maßnahmen. Dem maritimen Tourismus ist es absolut abträglich, wenn jetzt plötzlich Lotsgebühren erhoben werden und Streckennachweise erbracht werden müssen, die seit der Wende nicht verlangt wurden.

Lotsgebühren zu erheben für „Lotsungen“, die keine sind, weil die Lotsen – wie sie selbst zugeben müssen – keinerlei praktische Erfahrung in den weitgehend nur für Flusskreuzfahrtschiffe zugänglichen Revieren, zum Beispiel Stralsund – Ralswiek, Stralsund – Barth, Stralsund – Hiddensee, haben, das ist ein Aberwitz beziehungsweise Schildbürgerstreich. Wobei der Vorwurf sich nicht gegen die Lotsen richtet.

Skandalöses Verwaltungshandeln

Lotsen sind per Definition „revierkundige Berater des Kapitäns“, was im vorliegenden Fall konterkariert wird, weil das nicht immer der Fall ist. Sie fahren lediglich mit und kassieren pro Strecke 500 Euro. Das steht in krassem Widerspruch zur „Sicherheit“, die immer als Argument vorgeschoben wird, ebenso die „Leichtigkeit des Schiffsverkehrs“. Mit Lotsen, die das Revier nur theoretisch kennen, ist das nicht durchzusetzen und zudem überaus leichtfertig. Verantwortung trägt indes nur der Schiffsführer. Bei den ersten Fahrten ist es deshalb auch zu sicherheitsgefährdenden Fehlberatungen gekommen. „Wir fühlen uns schlicht verschaukelt“, kommentiert dies Kapitän Johann Magner, der hier seit der Wende fährt und schon lange vorher mit Binnenfrachtern die Sund- und Boddenhäfen anlief. Eine entsprechende praktische Revierprüfung bzw. -auffrischung müssen die Seelotsen allerdings nicht nachweisen.

Der Verfasser selbst ist an Bord MS „Fréderic Chopin“ auf der Peene mitgefahren, die keine Seeschifffahrtsstraße ist, wobei ein Seelotse ohne jegliche Revierkenntnis, vorschriftswidrig vom Amtsnautiker so angeordnet, mitfahren musste, denn die Peene ist keine Seeschifffahrtsstraße. Als jemand, der die Peene mit Fracht- und Flusskreuzfahrtschiffen bis Malchin befahren hat, konnte sogar der Autor den Lotsen beraten, abgesehen vom Kapitän, dessen Patent auch die Peene miteinbezieht.

Irre Vorschriftenreiterei

Einige Kapitäne, die im Revier des WSA Stralsund seit der Wende unfallfrei fahren, erwägen sogar eine Klage gegen die WSV anzustrengen, die – als den Lotsen vorgesetzte Bundesbehörde – hierfür verantwortlich zeichnet.

Der Vorgänger des jetzigen Amts-Nautikers habe es, so sein frisch gebackener Nachfolger, nicht für nötig befunden, die bestehenden Vorschriften konsequent anzuwenden. So war es von Kapitän Peter Grunewald des MS „Sans Souci“ zu hören, der auch für seine Kollegen das Wort ergriffen hat und bereits einen WSV-Gesprächstermin gehabt hat. Die Argumente von Grunewald wurden mit „Vorschrift ist Vorschrift“ einfach abgebügelt, berichtete er verärgert.

Selbst die Fährkapitäne der Weißen Flotte/Reederei Hiddensee, die tagtäglich ihre Route mehrfach befahren, müssen je zwölf Fahrten auf den einzelnen Streckenabschnitten nachweisen und eine Lotsbefreiungsprüfung ablegen. Das ist für die Flusskreuzfahrtschiffe, die das Revier weniger häufig befahren, nicht zu leisten. Folglich müssen die Kapitäne jedes Jahr wieder Lotsen nehmen. Das wird dazu führen, dass unsere Häfen noch weniger Schiffe anlaufen.

Touristische Strukturen zerstören

Hier werden bewusst maritim-touristische Strukturen zerstört, die eigentlich ausgebaut und gefördert werden sollen. Darüber hinaus sind viel zu wenig Lotsen (sieben) vorhanden, um ständig bereitzustehen für die Begleitung von Flusskreuzfahrtschiffen im Revier. Das wiederum könnte zu Stoßzeiten während der Hochsaison zu Staus führen, weil die Schiffe nicht besetzt werden können. Ihre Fahrpläne wären dann hinfällig mit entsprechen Folgen für freie Liegeplätze und Gäste.

Die Kapitäne schlagen vor, dass sich alle Beteiligten zusammensetzen, um einvernehmliche Lösungen zu finden.

• Info Das deutsche Lotswesen unterteilt sich in neun verschiedene Brüderschaften. Reviere Seelotsen: Ems; Weser II/Jade; Weser I; Elbe; Nord-Ostsee-Kanal I; Nord-Ostsee-Kanal II; Wismar, Rostock, Stralsund. Reviere Hafenlotsen: Hafenlotsen Hamburg; Hafenlotsen Bremerhaven


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