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Kultur

Kasseler Skandal-Schau

Antisemitismusvorwürfe überlagern die 15. documenta – Daneben besticht sie allenfalls als Ramschladen von Banalitäten

Veit-Mario Thiede
01.07.2022

Die Kasseler Weltkunstausstellung documenta ist auch nicht mehr das, was sie einmal war, nämlich eine Hochleistungsschau der Solo-Künstler. Die 15. Ausgabe der alle fünf Jahre stattfindenden Ausstellung stellt dafür erstmals Künstler-Kollektive in den Mittelpunkt. Diese Entscheidung traf das neunköpfige indonesische Kollektiv ruangrupa, dem die Findungskommission der documenta die künstlerische Leitung übertragen hat.

Das Kollektiv ruangrupa wiederum verstärkte sich um das aus einer Israelin und vier weiteren Frauen bestehende „lumbung-Team“ und 14 vornehmlich aus dem globalen Süden, also Afrika, Asien und Südamerika stammende Künstler-Kollektive, die „lumbung-members“. Diese drei Personenkreise haben weitere Akteure zur Teilnahme an der documenta fifteen (d15) eingeladen. Und die heißen nicht wie üblich „documenta-Künstler“, sondern in gendergerechter Anbiederung „lumbung-Künstlerinnen und -Künstler“.

Was soll dieses dauernde „lumbung“? Es ist der indonesische Begriff für eine Reisscheune, in der überschüssige Ernte zum Wohle der Gemeinschaft gelagert wird, und bezeichnet im Sinne von ruangrupa das künstlerische Modell der d15. Das beruht auf Kollektivität, gemeinschaftlichem Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung. Hinzu gesellen sich die lumbung-Werte: Freundschaft, Humor, Großzügigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration.

Multikulturelle Dauerparty

Traditionell ist das Fridericianum der zentrale Ausstellungsort der documenta. Während der d15 heißt es „Fridskul“, weil eine Schule der besonderen Art eingezogen ist. In ihr laufen Workshops, Seminare und Karaoke-Veranstaltungen. Besonders wichtig ist „nongkrong“, das gemeinschaftliche Abhängen als Methode zum Austausch von Ideen, Wissen und Fertigkeiten. Im weiten Saal steht ein aus Holzkisten errichtetes Klassenzimmer, gefolgt von Sofas, einer Hängematte und einer Küche, denn hier wohnen und arbeiten gemeinschaftlich mehrere Künstler-Kollektive. Die Ausstellungsbesucher werden in die Aktivitäten einbezogen.

Die d15 ist auf 32 Schauplätze verteilt, die von rund 1500 Künstlern bespielt werden. Einer der größten Präsentationsorte ist das vom Bahntechnik-Hersteller Hübner aufgegebene Areal. In der weitläufigen Werkhalle hat sich etwa die „Fondation Festival sur le Niger“ aus Mali eingerichtet. Unter dem Titel „Le Maaya Bulon“ werden 200 Marionetten und Masken, bemalte Pfähle und eine Vitrine mit Amuletten gezeigt.

„Bulon“ bezeichnet in der malischen Architektur einen Raum, in dem die Gastfreundschaft gepflegt wird. Hier will die Gruppe mit befreundeten Künstlern und Besuchern arbeiten, musizieren und – was sonst soll man mit den documenta-Geldern tun? – feiern. Auch an vielen anderen Schauplätzen bekommt man den Eindruck, dass die d15 eher ein exotisches Kulturfestival als eine ernst zu nehmende Kunstausstellung ist.

Auf dem ruinös wirkenden WH22, einem 2500 Quadratmeter großen Grundstück am Kasseler Hauptbahnhof in der Werner-Hilpert-Straße 22, befindet sich als Dauereinrichtung die „Lolita-Bar“. Neu eingezogen ist Kunst. Und die war, obwohl sie noch keiner der Protestierenden gesehen hatte, Auslöser für die seit Monaten gegen die d15 vorgebrachte Verdächtigung des Antisemitismus.

Ins Visier genommen wurde insbesondere die zu den lumbung-members gehörende Gruppe „The Question of Funding“, die ihren Sitz im Gazastreifen hat. Dem Kollektiv warf man vor, mit der Initiative „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“ (BDS) zu sympathisieren, deren Ziel die wirtschaftliche und kulturelle Isolation Israels ist.

Der Bundestag hat die BDS-Bewegung als antisemitisch eingestuft. Die künstlerische Leitung verwahrte sich gegen die Antisemitismusvorwürfe und forderte die Kritiker auf, sich erst einmal die Ausstellung anzusehen. Und da stellt sich nun heraus, dass der documenta-Beitrag von „The Question of Funding“ lediglich darin besteht, die im Gazastreifen ansässige Künstlergruppe „Eltiqa“ zur Teilnahme an der d15 eingeladen zu haben.

Antisemitismus auf der documenta

Die Mitglieder stellen Zeichnungen und Gemälde aus, unter denen Mohammad Al Hawajris Serie „Guernica Gaza“ (2010–2013) noch das meiste Aufsehen erregt. Er bezieht sich vermutlich auf Picassos berühmtes Antikriegsgemälde „Guernica“. Hawajris am Computer erarbeitete Drucke nutzen bekannte Gemälde als Vorlagen, in die er Explosionen und Kriegsruinen aus dem Gazastreifen einkopiert, sodass etwa Vincent van Goghs „Kartoffelesser“ zu friedliebenden, unter den israelischen Angriffen leidenden Palästinensern werden. Nun ja.

Der aus Bangladesch angereiste „Britto Arts Trust“ hat neben der documenta-Halle den mit einer schmucken Bambusarchitektur ausgestatteten „Organic Kitchen Garden“ eingerichtet. In der zugehörigen Wohnküche werden Mahlzeiten zubereitet und Geschichten erzählt. Das gasfreundliche Vorhaben des Kollektivs sieht vor, an den 100 Tagen der documenta 100 Esskulturen aus 100 Nationen zu präsentieren.

Wie dieser geschmackvolle Beitrag sind auch viele andere nicht nur zum Ansehen, sondern zum Benutzen und zur Teilhabe gedacht. So hat das kolumbianische Kollektiv Más Arte Más Acción in Zusammenarbeit mit dem Atelier van Lieshout in der Karlsaue ein urtümlich aussehendes Fahrzeug mit einer Vorrichtung zum Holzhäckseln aufgestellt. Werkstoff der Arbeitsgemeinschaft war von Borkenkäfern befallenes Holz, das sie zu Mobiliar und dem „MAMA.doc.space“ genannten Aufführungsraum für Filme und Performances verarbeitet haben.

Für großes Aufsehen sorgt das mit weit über 1000 Pappkameraden vertretene indonesische Kollektiv „Taring Padi“. Die vor und im Hallenbad Ost gezeigten Figuren und bemalten Banner bilden eine Retrospektive auf das Schaffen des Kollektivs seit 1998. Sie sind Produkte der offenbar fröhlichen indonesischen Protestkultur, in der Politiker und Soldaten als uniformierte Ratten und Schweine dargestellt werden. Inzwischen kommen die Figuren und Banner nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch auf Festumzügen und Musikveranstaltungen zum Einsatz.

Schweinisches Skandalbild

Im Vorfeld der d15 hat das Kollektiv Arbeitsgruppen in Australien, den Niederlanden und Deutschland organisiert. Die dabei angefertigten Pappfiguren standen vor der documenta-Halle und waren thematisch äußerst vielgestaltig. Eine weiße Pappfrau mit grünen Haaren verkündet „All Lives Matters“, dafür wäre ein westlicher Künstler angefeindet worden, hätte er eine solche Anspielung auf die exklusive „Black Lives Matters“-Bewegung vorgenommen. Andere wenden sich gegen Krieg, das Fällen von Bäumen oder sind auch mal einfach nur komisch.

Letzteres gilt allerdings nicht für das riesige Banner, welches Taring Padi neben der documenta-Halle aufgerichtet hat und das die Antisemitismusvorwürfe plötzlich zu einem politischen Flächenbrand entfacht hat (siehe Kasten unten).

Auf diesem bereits 2002 angefertigten Wimmelbild mit dem Titel „People's Justice“ entdeckte ein aufmerksamer Betrachter während des Eröffnungswochenendes neben einem Teufel mit roten Hörnern eine schmächtige Gestalt, die mit drei gelben spitzen Raffzähnen und Schläfenlocke ausgestattet – und so als Jude gekennzeichnet ist. Merkwürdigerweise trägt die Gestalt einen Hut, auf dem SS-Runen prangen. In eine Gruppe von Uniformierten hat sich ein schweinsköpfiger Vertreter des israelischen Auslandsgeheimdienstes „Mossad“ eingereiht, der einen Davidstern trägt.

Am frühen Abend des dritten Ausstellungstages ließ die künstlerische Leitung der d15 das offenkundig antisemitische Werk mit einer schwarzen Plane verhüllen. Zur Abhängung am Abend des vierten Tages fanden sich etwa 300 Schaulustige, documenta-Künstler und Aktivisten ein. Es wurde applaudiert, gebuht und „Free Palestine“ skandiert. Mit Taring Padi sympathisierende Künstler nahmen die vom Kollektiv auf dem Platz vor der documenta-Halle verteilten Pappfiguren aus den Ständern und demonstrierten mit ihnen für die Freiheit der Kunst. Schaulustige nutzten das Durcheinander dazu, Pappfiguren zu klauen. Beschämendes Ergebnis der Abhängaktion: Nicht nur das Wimmelbild ist verschwunden, sondern auch die von niemandem als antisemitisch verdächtigten Pappfiguren. Zu personellen Konsequenzen haben diese wiederholten Skandal-Vorfälle bislang nicht geführt.

• Bis 25. September, geöffnet täglich von 10 bis 20 Uhr. Tageskarte 27 Euro.
www.documenta-fifteen.de


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Kommentare

Chris Benthe am 03.07.22, 14:26 Uhr

Die documenta braucht offenbar "die Welt", indes, die Welt braucht die documenta nicht, brauchte sie noch nie. 99 % der Bevölkerung interessiert diese Veranstaltung so viel wie eine Schlammpfütze in Niederkrüchten.

Berlin 59 am 03.07.22, 11:53 Uhr

"Das gasfreundliche Vorhaben des Kollektivs sieht vor," Ich denke das das kein Freudscher Versprecher ist.

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