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Danzig

Kaum wiederzuerkennen

Der Erhalt deutscher Architektur ist in der Stadt an der Mottlau immer weniger gefragt – dafür entstehen zunehmend gesichtslose Luxusappartements

Nils Aschenbeck
27.03.2020

Frühere deutsche Städte in der Republik Polen sind nach Jahren des Wachstums kaum wiederzuerkennen. An den Rändern der Altstädte wächst ein Hochhaus nach dem anderen. An den vielen neuen Autobahnen wuchern Gewerbegebiete und Industriehallen, so hat Amazon in Stettin und Breslau riesige Logistikzentren hochgezogen.

In den Vororten der Boom-Städte, einst grau und heruntergekommen, entstehen glänzende neue Wohngebiete. Auch Luxusappartements werden in großer Anzahl errichtet – Käufer gibt es genug. Gerade Danzig, das mit Gdingen und Zoppot eine Metropolregion mit 1,2 Millionen Einwohnern bildet, verändert sich dramatisch. Appartementblöcke, Einkaufszentren und neue Hotels breiten sich vor allem in Richtung der alten Werften aus. Sogar auf den Luftbildern der Internetsuchmaschine Google sieht man deutlich, wie sich die Bagger durch die alten Industriefragmente fressen, um Platz für das Neue zu schaffen.

So der Stand der Dinge im Frühjahr 2020: Der Aufschwung beginnt die Hinterlassenschaften der Werften und der Häfen zu verdrängen. Eine reiche historische Hafenarchitektur, überwiegend in deutscher Zeit und vor 1914 entstanden, reich dekoriert und immer noch schön anzusehen, steht zur Disposition.

Wenn man in Danzig von der Altstadt zum Solidarność-Museum wandert, sieht man auf Anhieb die vielen Baukräne, die vielen Werbeschilder für neue Immobilien und auch die schon fertigen Appartementblöcke, die kaum anders ausschauen als in Berlin oder Stockholm. Doch noch immer beginnt hinter dem Museum die Zone der historischen Architektur der einst stolzen Danziger Werften – gründerzeitliche Backsteinbauten im Rundbogenstil oder auch in klassizistischen Formen, daneben zahlreiche Kräne.

Verspäteter Strukturwandel

Ende 2018 wurden an die alten Bauten, die schon teilweise leer stehen und verfallen, Info-Tafeln angebracht. Man kann das Quartier jetzt durchwandern und erhält Informationen zur Geschichte der meist aus deutscher Zeit stammenden Architektur. Anders als in den von allen Zeugnissen der Arbeit bereinigten Hafenquartieren in Hamburg oder Bremen sind in Danzig der Schiffbau und die harte alltägliche Arbeit präsent: rostende Rümpfe liegen zwischen den Hallen, warten auf eine neue Aufgabe, die sie wohl nie mehr bekommen werden; auf den Helgen liegen immer noch Schiffe und werden repariert.

Die große Zeit der Werften ist vergangen, sie kämpfen längst ums Überleben, viele ihrer ehemaligen Hallen werden nicht mehr genutzt. Manche von ihnen wurden von jungen Danzigern in Musikklubs verwandelt. Vor allem an der Ulica Elektrykow trifft sich an Sommerabenden die Danziger Kulturszene. Auch ein Containerdorf mit Cafés, Restaurants und einem Stadtstrand ist hier entstanden.

Später als in vielen westeuropäischen Städten hat in Danzig der Strukturwandel weg von der Hafenwirtschaft und weg von den Werften hin zu Dienstleistungen und abendlichen Vergnügungen eingesetzt. In Kopenhagen, Hamburg oder Bremen ist die Transformation zu modernen Szene-Stadtteilen mit Büros, Museen und auch Wohnungen längst abgeschlossen.

Anders als in Danzig wurde im Westen der Wandel meist lange diskutiert, städtebauliche Wettbewerbe und Gutachten schlossen einander an. Mühsam gefundene Kompromisse zwischen Denkmalschutz und neuer Architektur waren die Folge. Die Hamburger Elbphilharmonie, in der ein historischer Speicher mit einer modernen Konzertarchitektur kombiniert wurde, ist das leuchtende Beispiel für lange gesuchte Lösungen in der Umwandlung der alten Hafenreviere.

In Danzig hingegen scheint niemand mehr die Zeit zu haben, kluge Kompromisse zwischen Alt und Neu zu suchen. Mit den wuchernden Appartementblöcken werden Tatsachen geschaffen. Diejenigen, die sich für den Erhalt der kaiserlichen Werft- und Industriearchitektur aussprechen, werden als Spinner oder Romantiker abgetan.

Austauschbare Dekorationen

Die Flächen nördlich der Altstadt, direkt an der Mottlau gelegen, gehören heute zu den attraktivsten Flächen der Stadt. Der hohe Wert dieser einst kaum beachteten Standorte führt dazu, dass es die sehenswerten und geschichtsträchtigen Bauten schwer haben, sich gegen die Kapitalinteressen zu behaupten. Unlängst wurde eine Altstadt-Halbinsel mit dem City-Center, das neben anderen Nutzern das Holiday-Inn-Hotel beherbergt, zu großen Teilen neu bebaut.

Die Architektur erscheint weiß, kalt glänzend und rundherum schick. Zwar soll sie mit ihren Giebeln an historische Speicherbauten erinnern, doch die Bezüge zur alten Stadt sind mager und beliebig, in die Fassaden integrierte Fragmente alter Bauten wirken trotz ihrer authentischen Einmaligkeit wie austauschbare Dekorationen.

Heute wird gerne übersehen, dass es gerade die Bauten aus der Kaiserzeit sind, die in Ziegel und mit zahlreichen Ornamenten und Mauerbändern ausgeführten Industriehallen, welche die Basis der Attraktivität der stadtnahen alten Hafenquartiere bilden – nicht nur in Danzig. Die alte Architektur ist neben der Nähe zum Wasser der Hauptgrund, weshalb es die Menschen in die alten Häfen zieht.

Ein sentimentales Stillhalten leistet sich in Danzig kaum jemand. Das Verdrängen des Alten, des Überkommenen schreitet in Danzig so schnell voran, dass es bis heute nicht einmal eine umfassende Dokumentation der Industriearchitektur gibt. Nun endlich sitzt ein Autor an einem zusammenfassenden Werk über die Geschichte der kaiserlichen Bauten. Bevor das Werk erscheint, werden – so steht zu befürchten – viele der ganz authentisch erhaltenen Bauten verschwunden sein, unwiderruflich geopfert dem Boom des zweiten und dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts.


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