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Kultur

Kauziger Außenseiter

Ein 80-jähriges Regie-Phänomen – Eine Kinodokumentation erklärt den Autorenfilmer und „radikalen Träumer“ Werner Herzog

Harald Tews
22.10.2022

Dass Propheten im eigenen Land nichts gelten, muss den Regisseur Werner Herzog Ende der 1990er Jahre dazu bewogen haben, in die USA auszuwandern. Seit er in Hollywood lebt, blüht er förmlich auf. Abgesehen davon, dass er mit Stars wie Nicole Kidman, Willem Defoe und Nicolas Cage gedreht hat, ist er dort selbst zu einer omnipräsenten, landesweit bekannten Persönlichkeit geworden. Seine sonore Stimme, die im Englischen den deutschen Akzent hegt und pflegt, hat ihm seinerseits Filmrollen eingebracht, so in dem Actionkracher „Jack Reacher“, in dem „Star Wars“-Ableger „The Mandalorian“ oder mit Sprechrollen in vier Episoden der Trickserie „Die Simpsons“.

Von dieser zweiten Karriere des Werner Herzog hat man in Deutschland bislang kaum Notiz genommen. Hierzulande gilt er als Bändiger von Klaus Kinski, dessen streitlustiges Temperament er in den 70er und 80er Jahren für fünf Filme nutzte, darunter seine wegweisenden dokumentarischen Abenteuerstreifen „Aguirre, der Zorn Gottes“ und „Fitzcarraldo“. Kinskis legendäre Zornesausbrüche an den Drehorten im lateinamerikanischen Urwald hat Herzog 1999 in „Mein liebster Feind“ filmisch dokumentiert. Aus Anlass seines 80. Geburtstag, den der Regisseur am 5. September gefeiert hat, ist Herzog nun selbst zum Mittelpunkt einer Kinodokumentation geworden.

Mit etwas Verspätung zum runden Jubiläum erreicht am 27. Oktober Thomas von Steinaeckers Film „Werner Herzog – Radical Dreamer“ die deutschen Kinos. Der Titel „radikaler Träumer“ ist programmatisch und irreführend zugleich. Denn in der Traumfabrik Hollywoods überrascht Herzog mit der Aussage, dass er niemals träumt, auch nicht im Schlaf. Andererseits werden bei ihm Träume wahr, etwa wenn er in „Fitzcarraldo“ ein tonnenschweres Schiff von Indios über den Hügel eines Isthmus schleppen lässt. Nichts ist unmöglich in Herzogs Welt.

Mit Luftgewehr angeschossen

Darin geht er auch persönlich bis an seine Grenzen. Andere fressen einen Besen, Herzog einen Schuh. Die Dokumentation erinnert an eine Wetteinlösung, die mit dazu beigetragen hat, dass Herzog selbst zu einer kuriosen Marke geworden ist, nachdem er ähnlich wie Charlie Chaplin in „Goldrausch“ einen seiner Lederschuhe gewürzt, gekocht und verzehrt hat. Und sie zeigt jenen Moment, als der Regisseur auf den Hügeln Hollywoods während eines Interviews von der Kugel eines Luftgewehrs angeschossen wurde, um danach unbekümmert das Gespräch fortzusetzen. War ja alles halb so schlimm.

Auch darin ist er radikal, dass er eigene Opfer in Kauf nimmt, um ans Ziel zu gelangen, um – bildlich gesehen – das Schiff über den Berg zu ziehen. Körperliche Strapazen, die er seinen Akteuren abverlangt, erleidet er selbst mit. Ein Abenteurer war er schon immer. Das zeigt sich auch bei seinem radikalen Neuanfang in den USA, in die er nur mit einer Zahnbürste in der Jackentasche gereist ist, als er in Deutschland ohne Kinski keinen erfolgreichen Film mehr zustande brachte und es durch die bürokratisch verfilzte Filmförderung immer schwieriger wurde, einen Film so finanziert zu bekommen, dass Herzog das alleinige Sagen hatte.

Der Filmer und Buchautor von Steinaecker macht sich in seiner Herzog-Doku auf die Suche nach dieser Radikalität. Dabei reist er mit Herzog bis an die Grenze zu Tirol, wo der Regisseur mit Mutter und Brüdern in den Kriegsjahren Zuflucht aus dem ausgebombten München fanden. Vor einem Wasserfall, bei dem er als Kind spielte, überrascht er mit dem Bekenntnis: „Dieser Wasserfall, das bin ich.“ Hier begann sein Erzählfluss als einer der erfolgreichsten deutschen Autorenfilmer.

Von Steinaecker führt uns in der Doku zu vielen Orten, die dieser Fluss berührte: zur Vulkaninsel Lanzarote, nach Alaska oder Japan, wo Herzog eigene, in den USA äußerst populäre Dokus über forschende Grenzgänger drehte. Angereichert mit Material aus Herzog-Filmen kommt man so einem kauzigen Außenseiter näher, den es so schnell nicht wieder geben wird. Einem, der Yoda aus „Star Wars“ an Ruhe und Weisheit glatt aussticht.


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Kommentare

Ralf Pöhling am 29.10.22, 00:02 Uhr

Guter Mann. Hat gute Filme gemacht. Und das lag mitnichten nur an Klaus Kinski. Echte Filme vor echter Kulisse mit echten Menschen. Kein synthetischer Plastikmist, der nur auf Gewinnmaximierung gepolt ist, sondern auf Authentizität. Kann sich Hollywood mal was von abschauen. Bei Aguirre, Fitzcarraldo oder auch bei der Neuverfilmung von Nosferatu ist der visuelle Eindruck der gewählten Kulissen dermaßen authentisch, dass man das Gefühl bekommt, man sehe einen mittels Zeitmaschine in der jeweils damaligen Zeit gedrehten Dokumentarfilm. Da passt von der zeitgenössischen Kleidung und den Bauten eigentlich alles. Man kann die harte Arbeit und die Torturen, durch die das Filmteam gegangen ist, in den Filmen sehen und förmlich spüren.

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