Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung
Vor 75 Jahren, am 4. Juli 1946, wurde Ostpreußens Hauptstadt Königsberg von der Sowjetunion in Kaliningrad umbenannt. Gedanken über den Versuch der Tilgung einer europäischen Metropole aus der Geschichte
Ostpreußen und seine Hauptstadt Königsberg haben 1945 eine fast 700-jährige Geschichte verlassen und neue Geschichten beginnen müssen, die inzwischen ein Dreivierteljahrhundert alt sind. Ostpreußen als regionale Einheit hat aufgehört zu bestehen. Es lebt fort in der Erinnerung derer, die dort ihre Heimat haben, und in zahlreichen Geschichtsbüchern. Die aktuelle Realität zeigt dem Blick auf die Europakarte einen litauischen, einen polnischen und einen russischen Teil des alten Ostpreußen, teilweise mit ahistorischen Bezeichnungen, insbesondere in der russischen Kaliningradskaja Oblast.
Die traditionelle Geschichte Ostpreußens wurde bereits zuvor von den Nationalsozialisten in ihrem Sinne verfälscht, als ostpreußische Städte wie Stallupönen Willkürnamen wie Ebenrode erhielten, also vermeintlich deutsche Bezeichnungen, die man einer deutschen Geschichte Ostpreußens aus nationalistischen Gründen schuldig zu sein vermeinte. Die Russen setzten die nationalsozialistische Sicht auf ihre Weise fort und nannten Stallupönen jetzt Nesterow zum Zeichen eines russischen Neubeginns.
Der Anfang vom Ende
Die Jahre 1945/46 bilden die tragische zeitliche Mitte der 150 Jahre, die seit der Reichsgründung und der Kaiserkrönung vom 18. Januar 1871 bis ins Jahr 2021 vergangen sind. Dieser historische Akt nach dem Deutsch-Französischen Krieg nahm zwar Bezug auf die Selbstkrönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrichs III. in Königsberg zum König Friedrich I. in Preußen am 18. Januar 1701, war aber in jeder Hinsicht ein völlig anderes Ereignis. Merkwürdig war schon, dass man für diesen Akt der nationalen Selbstrepräsentation als Ort Versailles aussuchte, das bedeutendste Schloss der Könige Frankreichs, des gerade besiegten Feindes.
Ein halbes Jahrhundert später sollte sich dieser grobe politische Fauxpas rächen: Das im Ersten Weltkrieg von den europäischen Mächten und den USA niedergerungene Deutschland und seine Verbündeten wurden mit den Pariser Vorortsverträgen der Alliierten gedemütigt, so Deutschland mit dem Versailler Vertrag (1919) und Ungarn mit dem Vertrag von Trianon (1920).
Die Reichsgründung 1871 bedeutete aber auch das sukzessive Verschwinden Preußens im Deutschen Reich. Die bleibende Streitfrage ist bei diesem Vorgang, was schließlich die Alliierten im Jahre 1947 dazu veranlasst haben mag, den Staat Preußen durch ein „Kontrollratsgesetz“ „aufzulösen“. War es die schon damals stark kritisierte Germanisierungspolitik des Deutschen Reiches gegen Polen? War es die unbewiesene und unhaltbare Kriegsschuldfrage des Ersten Weltkrieges? War es das Versagen Preußens und des Reiches in der Weimarer Republik? Oder war es schließlich der definitive Verrat an allem, was Preußen an Tradition, Geschichte, Kultur und Werten bis heute ausmacht, durch das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten und seinen im Zweiten Weltkrieg demonstrierten „Militarismus“?
Allein der letzte Gesichtspunkt reicht sicher aus. Aber die Argumentation ist dennoch falsch. Eine historisch gewachsene und über Jahrhunderte geachtete Größe wie Preußen wird durch Verrat nicht einfach obsolet. Die Verräter wurden obsolet und verschwanden, längst geschmäht, auf dem Kehrichthaufen der Geschichte. Preußen nicht.
Von der Hanse und der Reformation über die Aufklärung und die Preußischen Reformen bis hin zu den Königsberger Naturwissenschaften, zu Literatur und Kunst lebt Preußen weiter im Gedächtnis der Menschheit. Bis heute steht es in reichhaltiger Gestalt wie auch das traditionsreiche Königsberg als seine Hauptstadt am Pregel mit seiner jahrhundertelangen Geschichte unzerstörbar vor den Augen der Welt.
Geistloser Akt der Siegermächte
Deswegen war es nicht nur ein geistloser Akt der Siegermächte, Preußen aufzulösen, sondern es war auch ein Akt geschichtsloser Ignoranz, Königsberg vor 75 Jahren nach einem sowjetischen Politiker zu benennen, der zwar ein getreuer Lakai des Diktators Josef Stalin war, der ansonsten aber weder Charakter noch die geringste Qualität aufwies, dem einmaligen Rang Königsbergs auch nur näherungsweise zu entsprechen. Als „Kaliningrad“ gehört die altehrwürdige Stadt seit 75 Jahren in eine Welt, die nicht mehr zur weiterlebenden preußischen Tradition zu zählen ist.
Unverändert bleibt der Satz bestehen, den der Archivar und Historiker Fritz Gause am Ende des dritten Bandes seiner „Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen“ als Kommentar zur Ausreise der letzten Königsberger 1948 schrieb: „Die siebenhundertjährige Geschichte Königsbergs nahmen die Ausreisenden mit in ihr Vaterland. Was sie hinter sich ließen, war Kaliningrad.“
Die Beharrlichkeit der Königsberger
Seit über 70 Jahren haben die Königsberger mit der Stadtgemeinschaft Königsberg (gegründet 1949), mit der Patenstadt Duisburg (seit 1951), mit dem „Königsberger Bürgerbrief“ (seit 1960), mit dem Museum Stadt Königsberg (1968–2016) und den großen Kant-Ausstellungen 2004 und 2010 sowie mit der Stiftung Königsberg (gegründet 2003) die Geschichte ihrer Stadt fortgeschrieben, ihr bis ins 21. Jahrhundert bleibende Gestalt und Präsenz verliehen und so manches Neue an Geschichte und Kultur hinzugefügt, das Bild Königsbergs also reicher und vollständiger gemacht.
Seit dreißig Jahren, seit der Öffnung der Oblastj nach über 40-jähriger „Quarantäne“, hat es auch ständige Versuche einer friedlichen deutsch-russischen Zusammenarbeit gegeben, von denen das 450. Jubiläum der Albertina im Jahre 1994 an besten gelungen ist. Das Stadtjubiläum 2005 feierten die Regierung der Russischen Föderation mit dem Oblastj-Gouvernement als „60 Jahre Kaliningrad“, die Königsberger mit Kaliningrader Bürgern als „750 Jahre Königsberg“ getrennt.
Auch die erste Kant-Ausstellung nach dem Krieg in Königsberg 2009, mit russischem Katalog, blieb ein kaum erwidertes Angebot von Seiten der Königsberger an Kaliningrad. Erst der Königsberger Stammzellen-Kongress von 2018 wurde wieder ein echtes deutsch-russisches wissenschaftliches Ereignis wie das Universitätsjubiläum. Was die Zukunft bringen wird, hängt weniger von den zahlreichen Kaliningrader Freunden der Königsberger ab als von der politischen Großwetterlage zwischen Europa und der Russischen Föderation.
Was von Königsberg bleibt
Von einer preußischen Prägung der Stadt kann heute, außer bei einigen verbliebenen Vierteln, kaum mehr gesprochen werden, dafür aber von einer uniformen modern-großstädtischen Entwicklung und zusätzlich von einer russisch-orthodoxen Ausrichtung der ehemals evangelisch und katholisch erkennbaren Stadt, an die nur noch der Dom auf dem Kneiphof erinnert.
Mit dem Blickwechsel der Kaliningrader nach Osten geht auch eine Mentalitätsveränderung einher, die auch das Verhältnis zu den benachbarten Polen und Litauern beeinflusst, die zur Europäischen Union gehören.
75 Jahre sind ein Menschenleben. Königsberger wird es bald nicht mehr geben. Damit geht auch die authentische Sicht auf die Stadt in die Geschichte ein. „Wer schreibt, der bleibt“, sagt ein altes Sprichwort. Die Königsberger haben das ihrige dafür getan, dass ihre Stadt nicht vergessen wird, wie immer auch die weitere Entwicklung im russischen Kaliningrad vonstattengeht.
Die Gemeinsamkeit der ersten Jahre zwischen Russen und Deutschen nach der Öffnung der Oblast 1991 kann jederzeit wieder aufgenommen und fruchtbar weiterentwickelt werden. Grundlagen sind der in Lüneburg entstehende Neubau der Königsberg-Abteilung, die Kant-Ausstellung 2024 zum 300. Geburtstag des großen Weltweisen, die Garantie zukünftiger Zusammenarbeit mit dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg über die Stiftung Königsberg im Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, vor allem aber die durch neue, junge Mitglieder des Stadtgemeinschaftsvorstandes gesicherte Zukunft Königsbergs noch für viele Jahre.
• Klaus Weigelt ist Vorsitzender der Stadtgemeinschaft Königsberg e.V. Zu seinen Büchern gehört u.a. „Im Schatten Europas. Ostdeutsche Kultur zwischen Duldung und Vergessen“ (Westkreuz-Verlag 2019).
www.stadtgemeinschaft-koenigsberg.de
Kersti Wolnow am 10.07.21, 11:48 Uhr
Es ist bekannt, daß die Hintergrundmächte nicht nur sehr brutal und grausam sind, sie verhöhnen meist auch noch ihre Opfer, was mit der Namensgebung geschah. Ich hörte, daß St. Petersburg zwar umbenannt wurde, aber der Oblast immer noch Leningradskaja ist. Ein Zeichen für mich, daß Putin dazugehört. Rußland ist seit 1917 von diesen Mächten besetzt, die USA seit 1913. Seitdem versuchen sie, beide Hälften zu einer Macht zusammenzufügen. Und alle gucken zu.
sitra achra am 04.07.21, 11:41 Uhr
Wenn ich an Königsberg denke, fällt mir als Fanal die grausame Eroberung von Metgethen durch die von deutschem Blut triefende Rote Armee ein und das Todes- KZ für die verbliebenen Königsberger ein.
Aber der hehre Namensgeber der neuen Stadt verkörpert ja in Perfektion den russischen Humanismus und die wertvolle russische Kultur, die wir ganz und gar nicht missen wollen. Besonders die Polen scheinen davon sehr angetan zu sein. Kalinin, welch ein Geistesriese und Vorbild für alle Menschenschlächter!