15.06.2025

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Gudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) kurz vor der Ankunft in der JVA Stuttgart-Stammheim
Bild: SWR/Hendrik HeidenGudrun Ensslin (Lilith Stangenberg) kurz vor der Ankunft in der JVA Stuttgart-Stammheim

Geschichte

Kein Platz für Revolutions-Folklore

Zum 50. Jahrestag der Stammheim-Prozesse widerlegt ein Dokudrama der ARD den Opfer-Mythos der RAF und ihrer Sympathisanten

Anne Martin
17.05.2025

Die Gefangenen rauchen Kette und dozieren in einem Polit-Kauderwelsch, das mit unflätigen Schimpfwörtern durchsetzt ist. Polizisten sind grundsätzlich „Bullenschweine“, der Justizbeamte, der ihnen als ständige Aufsicht zugeteilt wurde, ein „Arschloch“. Ihr Lebensraum: Zellen und Flur im siebten Stock der Justizvollzugsanstalt Stammheim bei Stuttgart.

Direkt nebenan, in einer eigens gebauten Mehrzweckhalle, wird ihnen vom Mai 1975 bis zum April 1977 der Prozess gemacht. Fast 1000 Zeugen und 80 Sachverständige wurden seinerzeit geladen, 15.000 Seiten mit Wortprotokollen angefertigt, 40.000 Beweismittel gesichert.

20 Millionen Mark Prozesskosten liefen auf. Alle drei Angeklagten – Ulrike Meinhof hatte sich am 9. Mai 1976 in ihrer Zelle erhängt – werden zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt.

Von den ersten Kaufhausbränden 1968 bis zur Entführung der Lufthansa-Boeing „Landshut“ im Oktober 1977 hatte die Rote Armee Fraktion mitsamt ihrer Komplizen eine Blutspur durch das Land gezogen. Was der Journalist und RAF-Experte Stefan Aust sowie Regisseur Niki Stein in ihrem Dokudrama „Stammheim – Zeit der Rache“ (19. Mai um 20.15 Uhr, Das Erste) zeigen, ist der intime Blick in ein geschlossenes System, das aus heutiger Sicht wahnhaft erscheint. Die eindrucksvolle Collage aus geheimen Kassibern, Interviews, Originalaufnahmen und Spielszenen entlarvt den Mythos um die vermeintlichen Freiheitskämpfer und Märtyrer gründlich.

Nein, Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Ulrike Meinhof waren keine Idealisten, die das Volk von Faschismus und Imperialismus, dem „Schweinesystem“, befreien wollten. In Stammheim saßen kaltblütige Kriminelle ein, die den Kontakt zur Realität schon lange verloren hatten. Und nein, sie waren keine Opfer eines repressiven Staates, auch wenn sie sich gerne so gerierten. Die Gefangenen, so zeigt es der akribisch recherchierte Film, verfügten in ihren Zellen über Radios, Fernseher, Bücher, Schreibmaschinen und durften sich beim sogenannten „Umschluss“ ausgiebig auf den Fluren treffen. Als Baader von seinem Anwalt auf den Foltervorwurf angesprochen wird, lehnt er sich lässig zurück und grinst mit Blick auf den Vollzugsbeamten: „Wir sehen das eher sportlich.“

Dieser Justizbeamte Horst Bubeck (Moritz Führmann), der später auch im Untersuchungsausschuss vernommen wird, übernimmt in dem Dokudrama eine Schlüsselrolle. Er erträgt die Beschimpfungen der Inhaftierten mit erstaunlichem Gleichmut, zeigt sogar Empathie. Als die widerstrebende Gudrun Ensslin während ihres Hungerstreiks zwangsernährt wird, meint Bubeck die „brennenden Wund- und Schabestellen in ihrem Schlund, ihrem Rachen, in meinem eigenen Hals zu spüren“. 45 Kilo wiegt die Pfarrerstochter zum Schluss, eine selbst ernannte Jeanne d'Arc, die sich von ihrem Geliebten Andreas Baader manipulieren lässt wie ein Revolutions-Groupie.

Ein Korb Erdbeeren für Raspe
Die Desperados, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen wollen, erheben sich über ihre Bewacher und mobben ihre Mitgefangene Ulrike Meinhof nach allen Regeln der Kunst. Meinhof, einst mit dem „Konkret“-Chefredakteur und späteren PAZ-Kolumnisten Klaus-Rainer Röhl verheiratet und gern gesehener Gast in Hamburgs feinen Kreisen, ist der intellektuelle Kopf der RAF, wird von ihr aber wegen ihres bourgeoisen Hintergrunds verachtet.

Vor allem Ensslin lässt keine Gelegenheit aus, die Kampfgefährtin zu verhöhnen: „Du scheinheilige Sau. Das Messer im Rücken der RAF bist du.“ Lilith Stangenberg spielt Ensslin mit verfilztem Haar, glimmender Zigarette, spröder Stimme und Lust an der Vernichtung. Als Meinhof eines Tages mit modischer roter Bluse erscheint, wird sie von ihren Kameraden niedergemacht. „Schöne Bluse, darin ein Aschenputtel“, ätzt Ensslin.

Meinhof verfällt später zusehends, tritt vor Gericht als gebrochene Frau auf. Am 9. Mai 1976 entzieht sie sich dem Prozess durch Selbstmord. Für ihre Zellengenossen und deren Sympathisanten war dies der Vorwand für einen bis heute andauernden Opferkult, den Aust („Der Baader Meinhof Komplex“) eindrucksvoll widerlegt. Im Film lässt er aus Meinhofs Texten zitieren: „Auch uns töten wir, wenn es nottut.“

Mitgefühl ist den Stars der „Baader-Meinhof-Bande“ fremd. Das betrifft ihre Opfer wie den Anfang September 1977 entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer als auch ihre Angehörigen. Als Jan-Carl Raspe im Gefängnis von seiner Mutter besucht wird, versuchen Baader und Ensslin ihn von einem Treffen abzuhalten. Raspe geht trotzdem, kehrt mit einem Korb Erdbeeren zurück, aus dem sich Baader als erster bedient.

Als Baaders Mutter eines Tages mit dessen zehnjähriger Tochter in der Anstalt erscheint, ist der geradezu entsetzt und flüchtet aus dem Besucherraum. Ensslin gibt ihren 1967 geborenen Sohn Felix an Pflegeeltern ab, die Meinhof-Zwillinge Regine und Bettina werden von RAF-Sympathisanten nach Sizilien verschleppt, dort vom Journalisten Aust aufgespürt und zu ihrem Vater nach Hamburg zurückgeführt.

Das Ende wird wie in einem Showdown nacherzählt: Die am 13. Oktober 1977 von arabischen Terroristen entführte Lufthansa-Boeing „Landshut“ wird nach einem fünftägigen Irrflug auf dem Flughafen Mogadischu von der GSG 9 befreit. Das geplante Freipressen der Stammheim-Häftlinge ist damit gescheitert. Noch in derselben Nacht nehmen sich die Terroristen in ihren Zellen das Leben – Ensslin wird erhängt aufgefunden, Ras­pe und Baader haben sich erschossen, nur Irmgard Möller überlebt schwer verletzt. Die Leiche von Schleyer wird am Tag darauf im Kofferraum eines Autos bei Mülhausen im Elsass gefunden.

34 Opfer forderte das Morden, darunter auch Fahrer, Personenschützer, Polizeibeamte, völlig Unbeteiligte. Von ihnen und ihren heute erwachsenen Kindern erzählt die dem Film nachfolgendende Dokumentation „Im Schatten der Mörder – Die unbekannten Opfer der RAF“ um 21.45 Uhr.


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