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Die Staatsoberhäupter Polens, Andrzej Duda, und der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj (vorne), zelebrieren beim ukrainischen Unabhängigkeitstag im August in Kiew ihre Freundschaft, während beide Länder zugleich außenpolitisch einen Konfrontationskurs fahren
Foto: IMAGO/ZUMA Press WireDie Staatsoberhäupter Polens, Andrzej Duda, und der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj (vorne), zelebrieren beim ukrainischen Unabhängigkeitstag im August in Kiew ihre Freundschaft, während beide Länder zugleich außenpolitisch einen Konfrontationskurs fahren

Wolhynien

Keine Versöhnung in Sicht

Wegen eines Massakers im Zweiten Weltkrieg: polnisch-ukrainische Beziehungen auf dem Tiefpunkt

Wolfgang Kaufmann
28.10.2024

Im Mai 2022 sagte der polnische Präsident Andrzej Duda unter dem Beifall seines ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj: „Es wird keine Grenze mehr zwischen unseren Ländern, Polen und der Ukraine, geben, weil wir gemeinsam auf diesem Land leben und unser gemeinsames Glück und eine gemeinsame Stärke aufbauen, die es uns ermöglicht, jede Gefahr und jede mögliche Bedrohung abzuwehren.“

Von solcher Harmonie ist jetzt kaum noch etwas übrig. Das resultiert unter anderem aus dem Streit um die ukrainischen Agrareinfuhren in die Europäische Union, welche die polnischen Bauern ruinieren, und den Vorwürfen Kiews an Warschau, dieses leiste zu wenig Militärhilfe und unterstütze die Bemühungen der Ukraine um einen EU-Beitritt nicht nachdrücklich genug.

Darauf reagierte das politische Polen quer durch alle Parteien mit dem Hinweis auf die Massaker in Wolhynien und Ostgalizien, die im Februar 1943 begannen und bis Kriegsende andauerten. Damals ermordeten Angehörige der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA) je nach Quelle zwischen 50.000 und 100.000 Polen im Rahmen von ethnischen Säuberungen. Deren Ziel bestand darin, die nicht-ukrainische Bevölkerung in der Region zu eliminieren, um so die Schaffung eines rein ukrainischen Staates zu ermöglichen. Warschau macht seine Unterstützung für den EU-Beitritt der Ukraine nun von der formellen Entschuldigung Kiews für die Massaker abhängig.

Außerdem kritisiert es die anhaltende Verehrung von jenen Ukrainern, welche Seite an Seite mit der deutschen Wehrmacht oder der Waffen-SS gekämpft und dabei auch Massenmorde an Juden gefordert beziehungsweise in die Wege geleitet hätten. Als Beispiel nennt Polen den Organisator der Vernichtung von 5000 Juden in Dubno und Riwne, Wassil Lewkowytsch, den Chefredakteur der antisemitischen Zeitung „Wolhynien“, Ulas Samtschuk, den OUN-Aktivisten Wassily Halasa sowie Wolodymyr Kubijowytsch, der zu den Initiatoren der Gründung der 14. Waffen-SS-Grenadier-Division Galizien zählte und nach dem 2023 eine Straße in Kiew benannt werden sollte, was dann am Ende aber an Protesten aus Israel scheiterte.

Die Ukraine verweigert die von Polen geforderte Entschuldigung jedoch beharrlich und spricht lediglich von der „Tragödie von Wolhynien“. Darüber hinaus verweist sie auf die aus Rache verübten Massaker an Ukrainern durch Angehörige der polnischen Armia Krajowa sowie die Akcja Wisła (Aktion Weichsel), in deren Verlauf 1946/47 etwa 500.000 Ukrainer enteignet und in die UdSSR oder die ehemaligen deutschen Ostgebiete deportiert wurden.

„Massaker“ oder nur „Tragödie“
In diesem Zusammenhang verursachte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba einen handfesten Eklat, als er Ende August bei einer Podiumsdiskussion mit seinem polnischen Amtskollegen Radosław Sikorski mit folgendem Satz an die Opfer der Akcja Wisła erinnerte: „Tatsache ist, dass all diese Ukrainer gewaltsam aus den ukrainischen Gebieten vertrieben und anderswo angesiedelt wurden.“ Dass Kuleba heutige polnische Gebiete als „ukrainische Gebiete“ bezeichnete, löste in der Republik Polen einen Sturm der Entrüstung aus, in dessen Verlauf auch gefordert wurde, Kuleba dort zur Persona non grata zu erklären.

Daraufhin versuchte das Kiewer Außenministerium die Wogen zu glätten, indem es verlautbarte: „Wir bedauern, dass einige Kräfte, die nicht an freundschaftlichen ukrainisch-polnischen Beziehungen interessiert sind, versuchen, die Worte des Ministers in den Kontext angeblicher Gebietsansprüche zu stellen, die der ukrainische Außenminister nie geäußert hat und auch nicht ausdrücken wollte.“ Trotzdem musste Kuleba am 5. September zurücktreten.

Doch damit war der Streit keineswegs beigelegt, wie der nachfolgende Besuch des polnischen Außenministers Sikorski bei Selenskyj zeigte. Nach außen hin plädierte Sikorski nun zwar dafür, sich „darauf zu konzentrieren, eine gemeinsame Zukunft aufzubauen, damit keine Dämonen unsere Gesellschaften spalten“, aber hinter verschlossenen Türen wurde der Konflikt ganz offensichtlich weiter ausgetragen. Laut dem führenden polnischen Internetportal „Onet“ haben Teilnehmer der Gespräche berichtet, die Stimmung zwischen den beiden Politikern sei so extrem aufgeheizt gewesen, dass „man von einem Streit sprechen kann“.

Außerdem meldete „Onet“, die polnische Regierung wolle die Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft zum 1. Januar 2025 nutzen, um zusätzlichen Druck auf Kiew auszuüben, was die Frage der Entschuldigung für die Massaker in Wolhynien und Ostgalizien betreffe. In diesem Zusammenhang zitierte das Portal einen hochrangigen Vertreter des Warschauer Außenministeriums mit den Worten: „Die Ukrainer haben eine lange Liste von Forderungen, während wir nur eine einzige haben. Sie müssen begreifen, dass wir uns auf einer für beide Seiten vorteilhaften Basis einigen müssen. Bisher ist ihnen das nicht gelungen.“

Angesichts solcher Forderungen dürfte es wohl auch mittelfristig zu keiner Verbesserung der angespannten polnisch-ukrainischen Beziehungen kommen.


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