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Fabian Reicher/Anja Melzer: „Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen“, Westend Verlag, Frankfurt/M. 2022, broschiert, 240 Seiten, 18 Euro
Fabian Reicher/Anja Melzer: „Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen“, Westend Verlag, Frankfurt/M. 2022, broschiert, 240 Seiten, 18 Euro

Radikaler Islam

Kinder in den Fängen des IS

Der Wiener Sozialarbeiter Fabian Reicher berichtet über seine Arbeit mit radikalisierten Jugendlichen, die sich im Dschihad gegen den Westen wähnen

Dirk Klose
12.11.2022

Der Ukrainekrieg überdeckt gegenwärtig fast alle anderen Probleme. Der radikale Islam ist kaum noch ein Thema, obwohl die Ideologie des Islamischen Staates (IS) nach wie vor virulent ist. Wovor Verfassungsschützer immer wieder warnen: Viele geflüchtete Jugendliche, die in Westeuropa isoliert von der Gesellschaft und in einer Art Getto leben, sind überaus anfällig für dessen radikale Parolen.

Der in Wien als Streetworker mit solchen Jugendlichen arbeitende Fabian Reicher berichtet in seinem sowohl alarmierenden als auch Hoffnung machenden Buch „Die Wütenden. Warum wir im Umgang mit dschihadistischem Terror radikal umdenken müssen“ über seine Arbeit mit Jugendlichen arabischen oder tschetschenischen Ursprungs, die in völliger Emphase für die Parolen des IS gelebt haben. In einer radikalen Anti-Haltung hatten sie sich gegen die Gesellschaft abgekapselt und von wilden Kämpfen für die „gerechte Sache“ eines globalen Dschihad geträumt. Reicher schreibt, wie mühsam es ist, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Das gelingt nur unter einer Voraussetzung: „Als Jugendsozialarbeiter muss ich immer auf der Seite der Jugendlichen stehen.“

Dem Autor war das Milieu der Asylsucher vertraut, und doch ist er schockiert über die enorme Resonanz der mitten in Europa leicht zugänglichen Propaganda-Videos des IS. Letzterer stellt sich kompromisslos gegen die herrschende Ordnung und rechtfertigt jeden Kampf gegen die „Ungläubigen“. Viele Jugendliche haben sich mit für europäische Leser kaum vorstellbaren Hass- und Gewaltphantasien vollgesogen, über unzählige Kanäle sind Folter und grausame „Hinrichtungen“ verbreitet.

Es sind keine Geschichten mit Happy End, die der Autor hier ausbreitet, aber doch scheint es ihm gelungen zu sein, seinen jugendlichen Gegenübern, von denen einige drauf und dran waren, in Syrien für den IS zu kämpfen, ein Leben in einem europäischen sozialen Umfeld zu öffnen. Reicher spricht von einer Pädagogik der Wütenden. Diese will Gewaltbereitschaft und ihren Ursachen auf den Grund gehen, was auch bedeutet, das eigene Weltbild zu hinterfragen, also umzudenken.

Mitunter liest sich Reichers' so nachdenklich machender Bericht wie ein Lehrbuch, wie man mit marginalisierten Gruppen umgehen sollte, mit Menschen, die schon als Kleinkinder erlebten, wie Eltern und engste Angehörige ermordet wurden, und die auch in Europa Außenseiter blieben.


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