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Tschechoslowakei

Kinder in den Wirren der Nachkriegszeit

Der Prediger Přemysl Pitter und die Lehrerin Olga Fierz setzten sich für arme und verwahrloste Waisen ein

Dagmar Jestrzemski
05.03.2024

Im Jahr 1992, mehr als vierzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, erschien posthum das Buch von Olga Fierz mit dem Titel „Kinderschicksale in den Wirren der Nachkriegszeit. Rettungsaktion für deutsche und jüdische Kinder 1945–47 in der Tschechoslowakei“ in tschechischer Sprache. Seit 2017 liegt die zweite deutsche Ausgabe vor.

Die in der Schweiz geborene Autorin und Lehrerin Olga Fierz (1900–1990) war von 1929 an die treue Helferin des tschechischen Humanisten und Predigers Přemysl Pitter (1895–1976) bei seinem uneigennützigen Hilfsdienst für notleidende Kinder in der Tschechoslowakei. Beide verstanden ihre lebenslange religiöse, soziale, organisatorische und pädagogische Arbeit auch als ein Zeichen für Frieden und Völkerverständigung. Dazu äußerte sich Pitter in seiner 1970 veröffentlichten Autobiographie mit dem Titel „Unter dem Rad der Geschichte“. 1933 eröffnete Pitter in Prag das Milíč-Haus als Kindertagesheim für arme und verwahrloste Kinder. Jüdische Kinder durften nach der Errichtung des nationalsozialistischen Protektorates im März 1938 nicht im Milíč-Haus erscheinen. Unter Lebensgefahr versorgten seither Pitter und Fierz die ihnen bekannten Kinder abends mit Nahrungsmitteln.

Unmittelbar nach Kriegsende im Mai 1945 brachten sie erstmals 25 schwer traumatisierte jüdische Kinder aus allen Landesteilen in einem von vier leerstehenden Schlössern südöstlich von Prag unter, die ihnen der Revolutionsrat als Erholungsheime für verwaiste jüdische Kinder zugewiesen hatte. Hartnäckig und schließlich erfolgreich setzte sich Pitter bei den Behörden dafür ein, auch brutal behandelte und kranke deutsche Kinder aus der Hölle der berüchtigten Internierungslager für Deutsche in den Schlössern aufnehmen zu dürfen.

Mehr als 400 deutsche Kinder wurden durch diese Hilfsaktion gerettet und liebevoll von den deutschen und tschechischen Mitarbeitern betreut. Die Kinder wären aufgrund der furchtbaren Zustände in den überfüllten Lagern vermutlich gestorben. Fierz hat bis 1988 zahlreiche Einzelschicksale dieser Kinder in eindrücklicher Erzählung nachgezeichnet. Insgesamt waren über 800 erholungsbedürftige Kinder über kürzere oder längere Zeit in den Schlössern untergebracht.

Die Kinder hatten keine Ahnung von der Gefahr
Unterdessen lebten die Erwachsenen in den Heimen und Pitter selbst wegen zunehmender Drangsalierung in Unsicherheit: „Die Kinder hatten keine Ahnung davon, wie viele Verhöre, nächtliche Hausdurchsuchungen, Demütigungen und Hindernisse ,Onkel' Pitter überstehen muss, als Belohnung dafür, dass er dieses Märchen (die Kinder hatten das Märchen Schneewittchen nachgespielt) ins Leben gerufen hat. Eine tschechische Zeitung schrieb, dass ,Hitlerjugend sich in dem herrlichen Gebäude herumtreibt, wo tschechische Kinder ihre verlorene Gesundheit wiederfinden könnten.' Das Blatt forderte die Behörden auf, einzugreifen und Ordnung zu schaffen.“

Um seiner Verhaftung zuvorzukommen, flüchtete Pitter 1951 in die Bundesrepublik. Bis 1962 wirkte er mit Olga Fierz an seiner Seite als Seelsorger und Sozialarbeiter im Aussiedlerlager „Valka“ für gestrandete Ostflüchtlinge in Nürnberg-Langwasser. Ab 1962 lebten beide in der Schweiz, wo sich ihnen neue Arbeitsfelder eröffneten. Auf Bitten von Freunden in der Tschechoslowakei veröffentlichte Fierz nach Pitters Tod einzelne Berichte über die Rettung der Kinder, mit denen sie zum Teil noch Kontakt hielt, in einem tschechischen Blatt, das sie aus seinem Nachlass herausgab.

1966 erhielt Pitter und etwas später auch Olga Fierz den israelischen Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“. 1997 ehrte die sudetendeutsche katholische Ackermann-Gemeinde Pitter mit einer Stele an der Stelle des früheren Valka-Lagers. Sie trägt die Inschrift: „Wegbereiter der Versöhnung zwischen Tschechen und Deutschen aus dem Geiste des Evangeliums“. Die Unesco erklärte Pitter zur „Persönlichkeit von Weltformat“. In Deutschland und der Tschechischen Republik sind Pitter und Olga Fierz außer in Theologenkreisen weitgehend unbekannt.

Olga Fierz: „Kinderschicksale in den Wirren der Nachkriegszeit. Rettungsaktion für deutsche und jüdische Kinder 1945–47 in der Tschechoslowakei“, Vitalis Verlag Prag 2017, gebunden, 247 Seiten, 19,90 Euro


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Kommentare

Peter Faethe am 27.03.24, 22:47 Uhr

Die deutschen Angaben sind voller Lücken.
Vor ca. 50 Jahren war ich in Prag in einer Ausstellung: „Kinderzeichnungen in Theresienstadt“ - viele bunte, von Kindern vor 1945 gezeichnete und getuschte Bilder.
BTW: Es gab im Lager Theresienstadt mehrfach Kontrollbesuche von Delegationen des Internationalen Roten Kreuzes – vor 1945 selbstverständlich.
Deutschen Journalisten ist offenbar unbekannt oder durch Selbstzensur
zu erwähnen versagt, dass nach 1945 in Terezín (so der tschechische Ortsname) viele Deutsche eingesperrt wurden – vor allem Frauen und Kinder.
Kontakte zum internationalen Roten Kreuz gab es nach 1945 nicht.
Ebensowenig Kinderzeichnungen.

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