28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden

Nachruf

Kirchenlehrer ganz im Dienst der Wahrheit

Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. ist tot. Vor allem durch seine Schriften wird er jedoch auch künftigen Generationen weiterhin präsent sein. Eine Würdigung eines außergewöhnlichen Lebens und theologischen Schaffens

Martin Lohmann
31.12.2022

An ihm schieden und scheiden sich die Geister. Das konnte man auch in den letzten Tagen seines irdischen Lebens in zahlreichen Kommentaren und Wortmeldungen beobachten, vor allem in Deutschland. Es scheint verständlich, dass jemand, der sein ganzes Leben der Suche und Treue zur Wahrheit widmete, der zweifellos mit einem luziden Geist und einer stets demütigen Geistesgröße gesegnet war, Bewunderer und Gegner gleichermaßen faszinierte. Schließlich forderte seine Theologie der Weite und Klarheit heraus und ließ keinen Raum für Gleichgültigkeit. Dafür umso mehr Einladung zur Entscheidung. Jetzt ist der Jahrhunderttheologe und große Deutsche Joseph Ratzinger ins himmlische Haus des Vaters, wie die Christen glauben, gegangen. Im gesegneten Alter von 95 Jahren endete das irdische Leben von Benedikt XVI. Am Karsamstag 1927 erblickte er das (vor)österliche Licht der Welt, am Silvestertag 2022 wurde er ins lichtreiche himmlische Jerusalem gerufen.

„Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht.“

Seine Botschaft wird bleiben. Sie wird wirken und sich vermutlich weiter entfalten. Gleich zu Beginn seines Pontifikates 2005, das mit seinem Amtsverzicht 2013 endete, formulierte der Nachfolger des heiligen Papstes Johannes Paul II., was für ihn Lebensmotto wie Frohbotschaft zum Weiterreichen war: „Und erst wo Gott gesehen wird, beginnt das Leben richtig. Erst wo wir dem lebendigen Gott in Christus begegnen, lernen wir, was Leben ist. Wir sind nicht das zufällige und sinnlose Produkt der Evolution. Jeder von uns ist Frucht eines Gedanken Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken.“ 

Mit diesem Zeugen der Wahrheit ist ein Großer und ein vom Glauben ganz Durchseelter dorthin gegangen, wo Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen werden kann und das Leben in ganz besonderer Weise wirklich richtig beginnt. Der hochbegabte Joseph Ratzinger begab sich schon als junger Theologe auf die ebenso konsequente wie einfühlsame Suche nach der Wahrheit. Professor in Bonn, Münster, Tübingen und Regensburg, Konzilstheologe als enger Berater des Kölner Erzbischofs und Konzilsvaters Josef Kardinal Frings, als Erzbischof von München und Freising sowie dann als Vertrauter und rechte Hand des Heiligen Johannes Pauls II. Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan, bevor er 2005 zum Nachfolger auf dem Stuhle Petri und unmittelbarer Nachfolger von Johannes Paul gewählt wurde. Joseph Ratzinger blieb auch als Benedikt XVI. sich und vor allem dem Gottessohn treu. Demütig, sensibel, leise und in einer dichten und gehaltvollen Sprache, die für jeden verständlich war. 

In einem längeren Fernsehgespräch 1998 mit dem Autor dieses Nachrufs im Bayerischen Fernsehen wurde Joseph Ratzinger auch nach seiner Vorbereitung auf den Tod gefragt. Seine damaligen Antworten geben angesichts seines Todes am 31. Dezember 2022 einen geradezu intimen Einblick in das Denken des damaligen Kardinals, das ebenso den späteren Pontifex und vor allem den emeritierten Papst in seinem Kloster in den Vatikanischen Gärten, wo er sich knapp zehn Jahre genau darauf vorbereitete. Seine Antwort auf die Frage, ob nicht auch die von ihm so geliebte und stets ehrfürchtig gefeierte Liturgie eine Art Vorbereitung auf den Tod, auf das Sterben sei, sagte Ratzinger: „Ich würde sagen, Liturgie ist zunächst einmal die Vorbereitung auf die Auferstehung. Die alten Mönche haben das ja so aufgefasst, dass man in der Liturgie sozusagen ein Stück vom Paradies vorwegnimmt, weil man nämlich bei dem mittut, was im Himmel geschieht, sich um den Herrn versammeln und mit ihm singen – und er zeigt sich uns selbst und gibt sich uns selbst. Insofern ist das also der Einbruch des Lebens und nicht des Todes. Aber man kann es auch von der anderen Seite her betrachten und sagen, damit werden wir auch reif dafür, sozusagen den jetzigen Status nicht als das Letzte anzusehen, sondern zu wissen, dass das Leben auf andere Weise weitergehen wird und dass wir es so leben müssen, dass wir uns darauf freuen können.“  

Tiefe Gedanken über letzte Fragen 

Und wie bereitete er sich auf das Sterben und den Tod vor? Seine Antwort damals: „Ich versuche einfach, meine Aufgabe recht zu tun und die Beziehung zum lebendigen Gott nicht zu verlieren. Dann, denke ich, ist man auf dem richtigen Weg, wenn man nämlich auf dem Weg zum richtigen Leben ist, dann ist man auf dem richtigen Weg zum Sterben.“ 

Ob er Angst vor dem Tod habe? „Ja, irgendwie schon, weil natürlich das Bewusstsein, dass man vieles auch falsch gemacht hat, daß man Sünder ist, wie die Sprache der Kirche es ausdrückt, je älter man wird, um so stärker da ist, um so stärker sieht man auch das Versagen im eigenen Leben, um so realistischer erkennt man, wo man zurückgeblieben ist, gerade auch anderen Menschen gegenüber, denen man etwas schuldig war. Diese Negativseiten des eigenen Kontos können Furcht erregen. Aber ich halte mich dann an den heiligen Ambrosius, der gesagt hat, ich habe trotzdem keine Furcht vor dem Gericht, obwohl ich ein großer Sünder bin, denn ich weiß, daß wir einen sehr guten Herrn haben.“

Von Gott mache er sich kein Bild, aber „ich stelle ihn mir in Christus vor und dann eben als den, in dem alles, was wir als Menschen wollen, uns wirklich geschenkt und erfüllt werden wird, indem wir dann endlich uns selbst verstehen werden und auch die Leiden dieser Welt ihren Sinn erhalten werden, als die große Antwort sozusagen.“ 

Zeitlebens auf der Suche 

Bewegend fiel damals auch seine Antwort auf die Frage aus, ob er ein Suchender sei: „Das würde ich schon sagen, ja. Denn auch wenn man gewiss ist, das Letzte gefunden zu haben – dass es Gott gibt und dass er selbst sich in Christus gezeigt hat – ist damit ja nicht einfach die Suche abgeschlossen, sondern es ist so, wie die Psalmen sagen: Ich suche dein Angesicht, Herr. Das muss man ja immer neu finden, sich immer tiefer hineinfinden. Ich glaube, wer selbst versucht, den Weg des Glaubens zu gehen, der kann sagen, dass die Furcht Jaspers verkehrt ist. Jaspers meinte: Wer gläubig ist, kann nicht mehr philosophieren, weil er ja schon die Gewissheit hat, er kann gar nicht mehr fragen. Augustinus, Gregor von Nyssa haben sehr tief aus ihrer eigenen Glaubenserfahrung gesagt, was ich aus der meinen auch sagen kann – dieses Finden ist ja ein Finden in einen unendlichen Abgrund hinein und gibt dem Suchen seine Richtung, aber es löscht es nicht aus, sondern gibt ihm überhaupt einen Sinn.“ 

Bis zuletzt blieb er jene bisweilen zerbrechlich erscheinende Persönlichkeit, die dem Streit lieber aus dem Weg ging und den Widrigkeiten einer von Unehrlichkeit und Gebrochenheit durchzogenen Falschheit des gelebten Seins fast schon scheue Fragezeichen entgegensetzte. Sein bischöflicher Wahlspruch war und blieb das Credo seines eigenen Auftrags: Wir sind Mitarbeiter der Wahrheit, „Cooperatores Veritatis“. Dies hatte sich ihm selbst bis ins die letzte Zelle seiner Lebens-DNA eingewurzelt. Nichts und niemand konnte ihn davon abbringen, dass diese Befähigung jedem Menschen geschenkt sei. 

Bei Ratzinger konnte man immer wieder vor allem in seinen Texten erleben, wie in einer wahrhaftigen Sprache höchste Erkenntnisse und Verheißungen mit poetischer Liebenswürdigkeit und Klarheit dazu einladen, selbst und ohne überbordende Anstrengung geradezu leicht in höchste Geisteswelten aufzusteigen. Allein die Enzyklika „Deus Caritas Est“ (Gott ist die Liebe) ist nicht nur ein Bekenntnis, sondern eine sensibel wortreiche Hinführung zu Gott selbst. „Bekehrung – das erste Wort des Christentums – kann nur verkündigen, wer selbst von ihrer Notwendigkeit berührt worden ist und darum die Größe von Gnade begriffen hat“, schrieb er zum Beispiel 1998 in „Diener eurer Freude“. Vieles, ja beinahe alles, was man in seinen Büchern lesen kann, öffnet Horizonte der Weite für Geist und Seele. 

Warnungen vor einem anmaßenden Zeitgeist 

Benedikt XVI., der Papst aus Bayern, warnte 2011 im Deutschen Bundestag vor der „sich exklusiv gebenden positivistischen Vernunft, die über das Funktionieren hinaus nichts wahrnehmen“ könne, und „den Betonbauten ohne Fenster, in denen wir uns Klima und Licht“ selber zu geben können einbilden. Doch dabei „können wir uns doch nicht verbergen, dass wir in dieser selbstgemachten Welt im Stillen doch aus den Vorräten Gottes schöpfen, die wir zu unseren Produkten umgestalten. Die Fenster müssen wieder aufgerissen werden, wir müssen wieder die Weite der Welt, den Himmel und die Erde sehen und all dies recht zu gebrauchen lernen.“ Wer wieder in die Weite, in das Ganze zurückfinden wolle, und wer dabei nicht möchte, dass die Vernunft wieder ihre Größe findet, ohne ins Irrationale abzugleiten, müsse nicht zuletzt die Ökologie, die Natur des Menschen wieder zulassen und neu entdecken. „Wir müssen auf die Sprache der Natur hören und entsprechend antworten.“ 

Und das bedeute im Blick auf den Menschen, dass er selbst seine Natur achtet und respektiert, sie keinesfalls beliebig manipulieren dürfe. „Der Mensch ist nicht nur sich selbst machende Freiheit. Der Mensch macht sich nicht selbst. Er ist Geist und Wille, aber er ist auch Natur, und sein Wille ist dann recht, wenn er auf die Natur hört, sie achtet und sich annimmt als der, der er ist und der sich nicht selbst gemacht hat. Gerade so und nur so vollzieht sich wahre menschliche Freiheit.“ 

Diener der Wahrheit in Liebe 

Wie ein roter Faden zieht sich die Verknüpfung von Vernunft und Wahrheit und Schönheit durch seine Botschaften. Joseph Ratzinger, Benedikt XVI. war verständlich, unbequem, klar und einladend. Vor allem aber war er ein edler Mensch, bei dem man in geradezu musikalischer Harmonie erfahren und lernen konnte, wie aufbauend und lebensfroh, ja, wie befreiend und stärkend die Liebe zur Wahrheit sein kann. Vater Benedikt war wahrhaftig ein Diener der Wahrheit in Liebe. Er war und bleibt ein Kirchenlehrer, ein lichtreicher Diener der Wahrheit, die das Tor zur wirklichen Freiheit aufschließt. Und diese Wahrheit verband er stets mit einer Liebe, die in die Tiefe wie die Höhe gleichermaßen geht und Bestand hat. 

Beide Aussagen aus der Heiligen Schrift verkörperte der Theologe, Wissenschaftler und Seelsorger Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI., der schon früh die Diktatur des Relativismus analysierte und davor warnte, gleichsam nahtlos in seinem Leben: Gott ist die Liebe und: Die Wahrheit wird euch frei machen.

Martin Lohmann ist Theologe, Historiker und Publizist. Er kannte Joseph Ratzinger seit Mitte der 1960er Jahre und ist ihm bis zuletzt immer wieder begegnet. Für Lohmann, der unter anderem zum Neuen Schülerkreis Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. gehört, wurde der jetzt Verstorbene zu einem vertrauten und prägenden „Vater Benedikt“.

 


Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Dann unterstützen Sie die PAZ gern mit einer

Anerkennungszahlung


Kommentare

Jakob Pilgerer am 08.01.23, 15:55 Uhr

Ich habe Papst Benedikt anläßlich seines Besuchs im Eichsfeld im Jahr 2011 in Etzelsbach erlebt, wo er eine meiner Meinung nach sehr bedenkenswerte Predigt zum Umgang mit Verletzungen durch Krieg und Leid gehalten hat. Dabei hat er über den Grund nachgedacht, warum die dortige Marienfigur den vom Kreuz abgenommenen Christus so darstellt, daß die Seitenwunde zu Maria und nicht zum Betrachter gerichtet ist.

Für mich bedeutet dieser Besuch und sein Pontifikat bis heute die Hoffnung, daß sich unser Land trotz, oder gerade wegen der erlittenen Verwundungen aus den Weltkriegen und den daraus resultierenden Diktaturen wieder seinen tiefen christlichen Wurzeln zuwendet wie sie ja auch durch den Rosenstrauch von Hildesheim symbolisiert werden, dessen Aufblühen in jedem Frühjahr diese Hoffnung immer wieder auf neue unterstreicht. Für dieses Erlebnis und seine Gedanken bin ich Papst Benedikt bis heute unsagbar dankbar!

Winfried Abele am 03.01.23, 16:51 Uhr

Dieser Nachruf hebt sich wohltuend ab von der Hetze und Häme, die man teilweise in deutschen Foren findet. Ich habe den damaligen Präfekten der Glaubenskongregation während meiner Studienzeit in Rom in den achtziger Jahren persönlich erleben dürfen und eine theologische Prägung erlebt, für die ich bis heute dankbar bin. Benedikt XVI. war ein grosser Theologe und ein grosser Mensch. RIP.

Chris Benthe am 01.01.23, 10:19 Uhr

Mehr gibt es nicht zu sagen. Ich verneige mich. Ruhe in Frieden, großer Vater Benedikt.

Kommentar hinzufügen

Captcha Image

*Pflichtfelder

Da Kommentare manuell freigeschaltet werden müssen, erscheint Ihr Kommentar möglicherweise erst am folgenden Werktag. Sollte der Kommentar nach längerer Zeit nicht erscheinen, laden Sie bitte in Ihrem Browser diese Seite neu!

powered by webEdition CMS