22.09.2025

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1. Ein Güterwaggon aus dem Jahr 1920, 2. Im Hammerwerk wurden die Teile zurechtgehämmert, 3. in der Gießerei wurden in den Formen die einzelnen Metallteile hergestellt, 4. Eisener Durchgangswaggon Klasse 3 aus dem Jahr
Bild: Bildarchiv Ostpreußen1. Ein Güterwaggon aus dem Jahr 1920, 2. Im Hammerwerk wurden die Teile zurechtgehämmert, 3. in der Gießerei wurden in den Formen die einzelnen Metallteile hergestellt, 4. Eisener Durchgangswaggon Klasse 3 aus dem Jahr

Königsberg

Kluges Unternehmertum: Waggonfabrik L. Steinfurt

Die Wirtschaftschronologie einer ostpreußischen Erfolgsgeschichte

Wolfgang Kaufmann
22.09.2025

Zu den bekanntesten und größten Industriebetrieben in der ostpreußischen Hauptstadt Königsberg zählte die Waggonfabrik L. Steinfurt, deren Geschichte bis zum 13. Januar 1830 zurückreichte. Damals gründete der 25 Jahre alte Benjamin Leopold Steinfurt nach dem Besuch der Gewerbeakademie in Berlin eine Metallspritzen- und Maschinenfabrik in der Badergasse, die hydraulische Pressen, Pumpen und Spritzdüsen herstellte. 1832 expandierte das kleine Unternehmen zum ersten Mal, was durch Darlehen aus dem Freundes- und Verwandtenkreis aber erst möglich wurde. Doch nur ein Jahr später, nämlich 1833, zeigte Steinfurt dann auf der zweiten Kunst- und Gewerbeausstellung in Königsberg das Modell einer Dampfmaschine aus eigener Produktion.

Zehn Jahre danach reichte der Platz in der dicht bebauten innerstädtischen Badergasse schon nicht mehr aus, weshalb der Betrieb auf ein neues Grundstück am Weidendamm östlich des Königsberger Doms umziehen musste, wo auch eine eigene Gießerei entstand. Ab 1845 wurden hier Dampfmaschinen und Dampfkessel sowie weiterhin auch Pumpen und Pressen produziert. 1856 erfolgte zudem der Bau des ersten und einzigen Dampfschiffs der Metallspritzen- und Maschinenfabrik mit 50 Tonnen Tragfähigkeit, welches binnen sechs Monaten vom Stapel lief.

Nach dem Tode des Firmengründers im Jahr 1864 führte dessen Sohn Leopold Steinfurt das Unternehmen fort. Dieses nahm 1865 unter neuerlicher Erweiterung der Anlagen den Bau von Eisenbahnwaggons auf, woraus schließlich die Umbenennung des Betriebes in Waggonfabrik L. Steinfurt resultierte.

Als erstes lieferte das Werk 50 offene Güterwagen an die Königlich Preußische Ostbahn, deren Streckennetz seit 1860 von Berlin bis zur russischen Grenze reichte. Nach der Übertragung der Firmenleitung an den Maschinenbauingenieur Fritz Heumann gingen 1867 weitere Bestellungen der Ostbahn und der Rheinisch-Westfälischen Eisenbahnen ein. Der Waggonbau wurde somit zu einer einzigen Erfolgsgeschichte, in der nach nur fünf Jahren nach Beginn der Produktion bereits der 500. Güterwaggon die Fabrikhallen verließ.

Am 1. April 1871 wurde das Erfolgsunternehmens in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt, welche die Steinfurtschen Erben mit 80.500 Talern auszahlte. Nur ein Jahr später begann die Produktion der ersten Personenwaggons für die Ostpreußische Südbahn von Pillau nach Königsberg. Doch in der Zeit der Gründerkrise ging der Umsatz drastisch zurück, woran auch der Bau von Wagen für die Königsberger Pferdestraßenbahn nichts Wesentliches änderte. Doch die Geschäftszahlen verbesserten sich ab 1882 wieder. Zwei Jahre später überstieg der Umsatz dann sogar schon die magische Grenze von einer Million Mark.

Expansion und Vergrößerung
1886 wurde Heumann Alleininhaber der Firma und beteiligte sich an einem Lieferanten-Kartell von 14 norddeutschen Waggonfabriken, das regelmäßige Bestellungen der preußischen Eisenbahnverwaltung erhielt. Um der wachsenden Zahl von Aufträgen gerecht zu werden, zog das Unternehmen zwischen 1903 und 1909 auf ein wiederum größeres Areal in der Arndtstraße an den Pregelwiesen im Stadtteil Rathshof um, wo es sowohl über einen Bahnanschluss als auch über Ladebrücken am Fluss verfügte. Das erleichterte die enorme Aufstockung des Maschinenparks für die Holz- und Metallbearbeitung, weswegen anschließend nicht mehr nur Güter-, Personen- und Spezialwaggons aller Art, sondern auch Lkw-Anhänger, Autokarosserien und Möbel produziert werden konnten.

Nach dem Tode von Fritz Heumann im November 1905 wurde die Firma im April 1906 in eine GmbH überführt, als deren Geschäftsführer Heumanns Sohn Felix fungierte. Die weitere Expansion endete während des Ersten Weltkrieges aufgrund unzureichender Material- und Brennstofflieferungen.

Weil wegen des Versailler Diktates unzählige Eisenbahnwaggons an die Siegermächte übergeben werden mussten, erlebte das Waggon-Werk ab 1920 einen Aufschwung infolge der nötigen Neubestellungen seitens der Reichsbahn. Dieser ermöglichte die erneute Umwandlung – diesmal in eine Aktiengesellschaft mit 14 Millionen Mark Grundkapital, was am 18. Oktober 1922 entsprechend verkündet und registriert wurde.

Die Produktion lief bis 1944
Diesem vermeintlich freudigen Ereignis folgte dann aber die bittere Ernüchterung im Jahr darauf. Angesichts der Hyperinflation und wegbrechender Aufträge nach dem Ende der Reparationsleistungen geriet die traditionsreiche Waggonfabrik
L. Steinfurt AG in wirtschaftliche Turbulenzen. An deren Ende stand aber eine erneute Konsolidierung, die auch durch die Weltwirtschaftskrise nicht unterbrochen wurde: So kam es im hundertsten Jahr des Bestehens des Unternehmens zur Auslieferung des 30.000. Waggons.

Die Produktion auf dem Gelände in Rathshof, wo inzwischen auch noch Guss- und Schmiedeteile, Holzelemente für Bau- und Tischlerzwecke sowie Metallkonstruktionen aller Art hergestellt wurden, ging bis zum August 1944 unverändert weiter.

Am 8. April 1945 besetzten sowjetische Truppen das Werksgelände, sorgten aber ab dem 18. Februar 1946 für eine Wiederinbetriebnahme der Produktion unter dem neuen Namen „Wagonsawod“.

Die Waggonfabrik L. Steinfurt AG jedoch wurde 1956 pro forma nach Hamburg verlagert und zwölf Jahre später wegen Vermögenslosigkeit aus dem Handelsregister gelöscht.


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